Uzumaki

„Wer es bei diesem Horror-Manga bis ans Ende schafft, hat Nerven aus Stahl!“ So lässt Carlsen Manga es auf der eigenen Homepage zu „Uzumaki“ verlauten. Wenn das nicht nach einer Herausforderung klingt! Horror aus der Feder von Junji Ito hat seinen eigenen Stil. Dieser Band hier ist kurz vor der letzten Jahrtausendwende in Japan erschienen. Seit 2019 gibt es dank Carlsen Manga die Möglichkeit, sich dem Nervenkitzel zu stellen. Wer ist dabei?

von Daniel Pabst

„Uzumaki“ enthält 656 Seiten und nimmt als Hardcover-Ausgabe ordentlich Raum im Regal ein. Dort platziert, reiht sich der Manga einwandfrei in die opulente deutschsprachige Übersetzung der Mangas von Junji Ito („Gyo“, „Shiver“ und „Tomie“), die seit 2019 bei Carlsen Manga erscheinen. Ursprünglich wurde „Uzumaki“ im „Weekly Big Comic Spirits“ (1998-1999) veröffentlicht. Als Inspiration diente der Manga dem gleichnamigen Horror-Film aus dem Jahre 2000. Als Bonus gibt es in dem Manga ein „Verschollenes Kapitel“ und ein exklusives Nachwort von Junji Ito. Statt eines reinen Textes, ist das Nachwort als Manga gezeichnet worden, sodass uns ein gezeichneter Autor entgegentritt. Bis man auf diese Seiten (ab Seite 648) angekommen ist, vergeht aber eine Weile, denn das hier Gebotene ist Horror der Extraklasse, den man nicht so leicht verdaut …   

Die ersten vier Seiten des Bandes sind (wie die ersten drei Seiten des 7. und 13. von insgesamt 19 Kapiteln) eindrucksvoll – und für einen Manga untypisch – in bunt gestaltet worden. Dort sehen wir eine junge Frau, die von einer Anhöhe hinunter in die Stadt blickt und an dessen Horizont ein schwarzer Leuchtturm steht. Dazu lesen wir ihre Worte: „Das ist Kurouzu. Hier bin ich aufgewachsen … Hier geschahen eigenartige und … schreckliche Dinge, von denen ich erzählen möchte“. Diese Stadt hat 6.000 Einwohner und liegt eingebettet zwischen dem Meer und den Bergen. Die junge Frau namens Kirie Goshima ist Schülerin an der örtlichen Schule am Hang des Berges und nimmt uns fortan an die Hand, wodurch unsere Hände von Seite zu Seite mehr und mehr zittern werden. Gelingt die Herausforderung, „Uzumaki“ (auf Deutsch: „Spirale“) komplett zu lesen?

Zu Beginn ist da lediglich ein leeres Schneckenhaus, das der Vater von Kiries Freund fixiert und besessen studiert, wie es zwischen zwei Steinen an einer Mauer klebt. Merkwürdig? Ja, aber noch nichts allzu Seltsames mag man meinen. Doch nachdem ihr Freund namens Shuichi ihr erläutert, dass er sich in der Stadt „verdreht“ fühlt und mit ihr durchbrennen möchte, um nicht in den Wahnsinn getrieben zu werden, und er Angst hat, dass sie „durchdrehen“ wird, macht sich Unbehagen breit. Was will er sagen, wenn er prophezeit: „Spiralen! Diese Stadt ist verseucht von Spiralen…“? Und was hat der „Schmetterlings-Effekt“ damit zu tun, wenn wir lesen: „Der Flügelschlag eines Schmetterlings kann tausende von Kilometern entfernt einen Wirbelsturm auslösen“?

Bedeutungsschwanger wird es, als wir die Väter der beiden Verliebten beim traditionellen Arbeiten an Keramiken sehen. Dazu passt dann auch der Ausspruch: „Das ist die wahre Kunst der Spirale!“, den Kiries Vater vernimmt. Man merkt gleich hier Junji Itos japanischen Einfluss, da die Töpferei eine alte Kunst in Japan ist und er so wieder mal mit dem Alltäglichen der japanischen Bevölkerung spielt, bis die Gewohnheit schlagartig unterbrochen wird – und sich der Horror unumkehrbar ausbreitet! Auch die gefürchtete Taifun-Saison, beziehungsweise Tornado-Saison wird aufgegriffen, bei der die Natur mit aller Wucht zurückschlägt. Wie genau nur wird Junji Ito die Wirklichkeit und unsere Gedanken hier verdrehen?    

Um nicht zu viel vom Horror vorwegzunehmen, und damit man sich selbst ordentlich erschrecken darf, daher im Folgenden nur ein paar Zitate und Beschreibungen aus „Uzumaki“, die Anlass geben könnten, „Uzumaki“ für sich zu entdecken. Es ist – so viel kann bereits festgestellt werden – eine sich ständig windende Geschichte, die sich immer weiter um einen schlingen wird, bis hin zu Junji Itos Nachwort und bis sich der Kreisel zur Seite neigt. Bei dieser Reise wird einem zuweilen richtig schwindlig beim Lesen. Wie angekündigt folgen nun aber die ausgewählten Zitate und Beschreibungen aus „Uzumaki“, um sich selbst ein Bild machen zu können:

„Ich esse keine Suppe ohne Spiralmeeresfrüchte“, sagte er und rührte mit den Stäbchen so lange in der Suppe, bis sich ein Strudel bildete. „Aber was hat das mit der Besessenheit deines Vaters zu tun?“, fragte sie und der Wind wehte stärker. „Ich bin selbst ganz verwirrt. Das waren alles normale Schüsseln und Teller … aber als ich sie in den Brennofen tat, verformten sie sich alle“, sprach er als die Keramiken ein Eigenleben starteten. „Dieser Slum macht alle zu verzerrten Seelen“, und es tauchten zwei verschlungene Schlangen auf. Im städtischen Friseursalon: „Soll ich dir eine Dauerwelle machen? Nein, bitte einfach abschneiden“. „Da ist er! Er kriecht die Wand hoch!“, schrie der Schüler, als sein Mitschüler zur Schnecke wurde. „Sie segeln auf den Stürmen! Wie Schmetterlinge!“. „Die Spirale zieht die Menschen in ihren Bann (…). Alle, die von der Spirale besessen sind, wollen die Aufmerksamkeit anderer“, schloss er, zog sich zurück, und kehrte einzig für seine Liebe zurück.

In welchem Kontext stehen diese Auszüge, und welche schauerlichen Zeichnungen gehören dazu? Das 10. Kapitel trägt – für weitere Bilder im Kopf – den Namen „Moskitos“, in dem wir Mückenschwärme zu Gesicht bekommen, was als Sommerlektüre daher nicht für jede und jeden geeignet scheint! Wer sich allerdings mit der Frage beschäftigen möchte, wie mit Ängsten umzugehen ist, der ist bei „Uzumaki“ am richtigen Platz. Junji Ito wirbelt in diesem Manga so einige Fragen auf, die man als Leser oder Leserin nur allmählich zusammenfegt. Nicht grundlos wird auf die Frage, welchen Horror-Manga man einmal gelesen haben sollte, gerne geantwortet: „Uzumaki“!

Leseprobe

Fazit: Die auf den ersten Blick etwas großspurige Ankündigung von Carlsen Manga hat sich am Ende bewahrheitet. Was man bei „Uzumaki“ zu lesen und zu sehen bekommt, möchte man so nicht noch ein zweites Mal erblicken. Vor allem ist man heilfroh, dass es sich bei Junji Itos Gedankenwelt um Fiktion und damit eine Form des Grusels handelt, die auf Papier gebannt wurde; die man jederzeit zuschlagen kann. Das Gelesene wirkt nach, und sobald man beginnt, den Horror zu abstrahieren, erschaudert man erneut. Wer sich herausfordern möchte oder meint, in Sachen Horror-Genre alles gesehen zu haben, der greife zu „Uzumaki“ – eine furchtbar gute Leseempfehlung, in der die Liebe dem Horror bis zuletzt die Stirn zu bieten versucht und sich alles irgendwie weiterdreht …

Uzumaki
Manga
Junji Ito
Carlsen Manga 2019
ISBN: 978-3-551-75752-4
656 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 28,00

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