Lovesickness – Liebeskranker Horror

Junji Itos „Lovesickness – Liebeskranker Horror“ (japanischer Originaltitel: „Shibito no Koi Wazurai“) gewann in diesem Jahr in der Kategorie „Best U.S. Edition of International Material – Asia“ den Eisner Award. Möglich wurde dies durch die englische Übersetzung dieser Manga-Kollektion, in der die titelgebende Geschichte in Japan bereits 1996 veröffentlicht wurde. Jetzt liegt auch die deutsche Übersetzung vor.

von Daniel Pabst

„Lovesickness – Liebeskranker Horror“ vereint fünf Horrorgeschichten aus der Feder von Junji Ito. Die erste Geschichte heißt „Lovesickness“ und hat fünf Kapiteln, welche zusammen 244 Seiten umfassen. Junji Ito schrieb diese Geschichte bereits 1996. Vier Jahre später wurde sie auch als Film adaptiert. Die Seitenanzahl der gesamten Kollektion beträgt 418 Seiten. Die anderen vier Geschichten tragen jeweils die Überschriften: „Die seltsamen Geschwister Hikizuri“, „Das Haus der Phantomschmerzen“, „Die Rippenfrau“ und „Erinnerungen an echte Scheiße“. Erschienen ist dieser Band als Hardcover-Edition, und er führt die schwarzen, unheimlichen Titelcover von Junji Ito mit den grauen – in der Dunkelheit lauernden – Gestalten fort.

In dieser Horror-Manga-Kollektion hat sich Juni Ito das Thema „Liebe“ vorgeknüpft. So erzählt er in „Lovesickness“ zum Beispiel davon, wie sich die Einwohnerinnen einer Stadt von einem „Wesen im Nebel“ vorhersagen lassen, wie sie ihre wahre Liebe finden können. Blind vertrauen sie diesem, wodurch sie sich in ihr persönliches Unglück stürzen. Das verstärkt sich mit der Ankunft des Schülers Ryosuke, der mit seinen Eltern in die Stadt zurückgezogen ist. Als seine besten Schulfreundinnen, unabhängig voneinander, beschließen, Rat beim „Wesen im Nebel“ einzuholen, verwandelt sich das Leben für Ryosuke in einen wiederkehrenden Albtraum.  

In „Die seltsamen Geschwister Hikizuri“ erfahren wir so einiges über das wahnwitzige Familienleben von sechs Geschwistern, denen das Wort „Geschwisterliebe“ fremd ist. Sie leben als Waisen auf einem Grundstück, welches auf dem Friedhof liegt. Was schaurig beginnt, spinnt Junji Ito so weit fort, bis es schwer auszuhalten ist. Anhand der Geschwister werden nämlich die menschlichen Abgründe in Form von Eifersucht und Gewalt illustriert. Das streckt sich über 90 Seiten, unterteilt in die beiden Kapitel „Narumis Freund“ und „Séance“.

In der dritten Geschichte über einen arbeitslosen Mann, der bei einer wohlhabenden Familie einen Job annimmt, ohne zu wissen, wie seine Arbeit aussehen würde, verarbeitet Junji Itos auf 32 Seiten wieder einmal das Thema „Gesundheit“. Wie bereits der deutsche Titel dieser Ausgabe mit „Liebeskranker Horror“ andeutet, verknüpft Ito die Liebe mit der Krankheit. So wird der Mann in „Das Haus der Phantomschmerzen“ dafür bezahlt, die Schmerzen des Kindes seines Arbeitgebers zu lindern. Aus einer zunächst nur sonderbaren Situation wird alsbald eine Partitur des Horrors …

Es folgt die 32-seitige Geschichte „Die Rippenfrau“, welche das Themenfeld „Schönheit“ bespielt. Die für Ito ebenfalls bekannte Frage, wie weit die körperliche Perfektion getrieben werden kann, um das vermeintliche Glück zu finden, hat hier also eine weitere Geschichte erhalten. Als Leserin oder Leser ist das besonders unschön zu lesen – Horror hin oder her. Die fünfte absonderliche Geschichte enthält nur vier Seiten und spielt mit dem jugendlichen Gedanken eines ungewöhnlichen Einkaufs auf einem japanischen Marktstand.

Bei all den Vorschusslorbeeren angesichts des Eisner Awards für die englische Ausgabe dieses Horror-Mangas, fragt man sich nach dem eigenen Lesen, ob diese Auszeichnung für „Lovesickness – Liebeskranker Horror“ hätte erfolgen müssen? Denn die Kollektion enthält Themen und Assoziationen, die in anderen Werken von Junji Ito eindrucksvoller in Szene gesetzt worden sind. Auch die Gesichter der Akteure hat man so bereits zu Genüge gesehen. An dem stetigen Fokus der Zeichnungen auf die Augen und an den immer traurig dreinschauenden Mädchen und Jungen, hat man sich in dieser Kollektion leider schnell sattgesehen.

Doch das ist nicht der Hauptkritikpunkt. Was an „Lovesickness – Liebeskranker Horror“ am meisten aufstößt, ist die Sorglosigkeit, mit der Junji Ito hier sensible Themen behandelt. Durchaus weiß das Gelesene dadurch sehr zu schockieren. Aber es hätte nicht jede Wiederholung des Horrors benötigt. Denn gerade bei der titelgebenden Geschichte wäre der ähnliche Effekt bei den Leserinnen und Lesern ausgelöst worden, wenn einiges gestrichen worden wäre. Hier wirkt der Horror sehr plakativ – und das bei einem so wichtigen Thema, das behandelt wird (auch eine „Triggerwarnung“ sucht man vergeblich). Da hilft auch die aufgedruckte Altersempfehlung „ab 16“ nicht weiter.

Leider überzeugen zudem die „Auflösungen“ nicht. Durch die sehr unterschiedlichen Seitenanzahlen der fünf Geschichten kommt kein richtiger Lesefluss zustande. Kurz stellt sich die Frage, ob man überhaupt noch nach den 244 Seiten von „Lovesickness“ weiterlesen möchte – wirken die anderen Geschichten doch wie Beiwerk. Wenn man sich dennoch für den Kauf dieser Kollektion entscheidet – um zum Beispiel die Junji Ito Reihe im Regal zu komplettieren – dann sollte man das Lesen mit: „Das Haus der Phantomschmerzen“ beginnen.

Leseprobe

Fazit: Junji Ito hat starke Mangas gezeichnet, die das Horror-Genre gekonnt nutzen, um menschliche Abgründe eindrucksvoll in Szene zu setzen und Fragen zu evozieren. Dabei gibt es Titel, die als „must-read“ für Manga-Horror-Fans angesehen werden können. Für die Geschichten in „Lovesickness – Liebskranker Horror“ trifft all das nicht zu. Auch wenn der rote Faden der Geschichten erkennbar ist, so ist der erdachte Horror zu plakativ und verwandelt wirklich sensible Themen in Schockmomente – einzig um zu schockieren. Am Ende bleibt leider weniger hängen, als vielleicht gewollt war. Man greife daher besser zu einem anderen Titel von Junji Ito!

Lovesickness – Liebeskranker Horror
Manga
Junji Ito
Carlsen Manga 2022
ISBN: 978-3-551-74260-5
418 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 24,00

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