Tödliche Schatten

Waffen. Ausrüstung. Wissen. Von diesen hilfreichen Sachen kann ein Shadowrunner nie genug haben. Denn wenn er sehr viel davon hat, besteht zumindest die Chance, dass er genau das dabei hat, was in der jetzigen Situation gebraucht wird. Oder dass er weiß, was los ist, wenn bei einem Run auf eine hochgeheime Forschungsanlage plötzliche Wachen auftauchen, von denen alle Kugeln einfach abzuprallen scheinen.

von Adaon

Mit dem mittlerweile achten Ergänzungsband in Rot für „Shadowrun 5“ geht es wieder allgemeiner zu. Statt weiterer Spezialisierungen in Sachen Matrix und Magie gibt es neue Waffen und Ausrüstung für praktisch alle Charaktere. Und die Kenntnisse über Konzernsicherheit, deren Vorgehensweisen, spezielle Sicherheitstruppen, Söldner und andere militante Gruppen der sechsten Welt sind auch für (fast) jeden Runner nützlich.

Das Buch beginnt mit dem Kapitel „Erweitertes Arsenal“. Eine Auswahl an nicht-tödlichen Waffen, Nahkampfwaffen und ein wortwörtliches Arsenal an Schusswaffen werden geboten, abgeschmeckt mit etwas Waffenzubehör und Informationen über waffenproduzierende Konzerne. Einiges hiervon wird mit Sicherheit auf der Einkaufsliste jedes Runnerteams landen, und die ganze Liste wird wohl jedem Straßensamurai ein Lächeln aufs Gesicht zaubern.

Im nächsten Kapitel, „Ein Blick in die Zukunft“, geht es um die Waffen der nächsten Generation. Wortwörtlich. Gravitationstechnik, Strahlenwaffen und sogar Schutzschilde und Waffen zur geistigen Beeinflussung werden vorgestellt. Manches davon existiert erst in der Theorie, von anderen sind bereits Prototypen im Einsatz. In jedem Fall haben diese Technologien das Potenzial, die Spielwelt deutlich umzugestalten. Und auch spezifische Technik für die Sechsten Welt wird vorgestellt, wie Anti-Magische Panzerung, IC, das nur Technomancer angreift, laufende Versuche, KFS durch die Konzerne nutzbar zu machen, oder Magie, die von jedem erlernt werden kann – bisher allerdings mit eher hässlichen Nebenwirkungen.

Danach geht es im „Gegnerdossier: Konsec“ um die Konzernsicherheit, namentlich die Großen Zehn (beziehungsweise Neun nach dem Zusammenbruch von NeoNET). Das Prinzip der Ganzheitlichen Sicherheits-System-Integration, kurz GSSI, wird vorgestellt. Warum ist das für Runner wichtig? Dieses Prinzip nutzt jeder Konzern. Es umfasst Richtlinien für die physische, Matrix- und astrale Sicherheit und die Maßnahmen zu ihrer Umsetzung. Was sich jetzt wie ein mühseliges Lernprogramm für Regelfanatiker anhört, beschreibt schlicht die in der Sechsten Welt gültigen Sicherheits-Leitlinien der Konzerne – und damit Aufbau und Ablauf der Sicherheitsmaßnahmen, denen sich Runner gegenübersehen. Ein Blick lohnt hier auf jeden Fall. Zur Abrundung werden bekannte und eher unbekannte KonSec-Einheiten vorgestellt und welche Ausrüstung nur ihnen zur Verfügung steht.

„Unkonventionelle Krieger“ stellt zunächst Gruppierungen von Söldnern vor, deren Ausrüstungstandard (sofern vorhanden) und Vorgehensweisen sowie wo auf der Welt sie eingesetzt werden. Danach werden Piratengruppierungen von mörderisch bis kommunistisch vorgestellt und in welchen Häfen sie ihre Beute an Land bringen. In einer Mischung aus Gerüchten und Information geht es dann über Milizen weiter, bewaffnete Bürger, die politische Ziele erreichen wollen – teilweise nachvollziehbar, teilweise fanatisch verbohrt. In jedem Fall sollte ein Runner hier wissen, mit wem er sich anlegt oder wie er diesen Leuten aus dem Weg gehen kann.

Im letzten Kapitel, „Tödliche Künste“, werden die Taktiken kleiner Einheiten aus dem „Kreuzfeuer“-Erweiterungsband um einige weitere ergänzt und durch die Taktik gemischter Einheiten erweitert. Wenn sich eine Runnergruppe also in der Position befindet, in einem tatsächlichen militärischen Konflikt einzugreifen, werden diese Regeln helfen, den Kampf für die gerechte Sache – oder zumindest die Seite der Runner – zu gewinnen.

Das Buch schließt mit einer Reihe von Abenteuerideen ab. Außerdem gibt es auf zwei Kapitel verteilt eine Handvoll neuer Vor- und Nachteile sowie Lebensmodule zur Charaktererschaffung.

Das Buch an sich hinterlässt bei mir leider irgendwie ein gemischtes Gefühl. Auf der einen Seite ist es eine großartige Sammlung an abgedrehten Waffen, enorm mächtiger High-Tech-Ausrüstung und fetten Informationen zu Konzersicherheitseinheiten, Söldnertruppen und Piratenbanden. Auf der anderen Seite zieht eben genau diese Mega-Technik die Schraube extrem fest an. Die letzte „technische Revolution“, die die Technik massiv voranbrachte, war die Nanotechnologie – die im Spieluniversum durch die KFS-Krise wieder ausgehebelt wurde. Hier scheint so ein Eingriff nicht möglich zu sein, und so sehr ich sichere, fliegende Autos, die den Weltraum erreichen können, auch persönlich mag, so sehr klingt das Konzept nach utopischer Science-Fiction, die einfach nicht gut zu meinem Bild eines düsteren Settings einer technisch relativ nahen Zukunft passt. (Auch wenn die Autoren natürlich mit kugelsicheren Panzerungen und Anti-Schwerkraft-Granaten das Waffenarsenal zum fliegenden Auto mitliefern.) Ein kurzer Textabschnitt im Buch weist ebenfalls darauf hin, das mit dieser Ausrüstung das Machtniveau für eine Runnergruppe deutlich zu hoch steigt und der Spielleiter die Gruppe von solcher Ausrüstung fernhalten sollte. Das wirft natürlich die Frage auf, warum diese Ausrüstung dann mit ausgearbeiteten Regeln vorgelegt wird. (Und welcher Spieler würde für seinen Charakter freiwillig auf soviel Macht verzichten wollen?) Nun, als Prototypen mit begrenzter Lebensdauer (eventuell durch seltene Materialien) bieten sich hier sicherlich Aufhänger für Abenteuer. Und die zahlreichen Informationstexte und die etwas abgedrehten, aber regulären Waffen zu Beginn allein sind schon das Geld für das Buch wert.

Von meiner Seite aus gibt es noch Kritik am Bild auf dem Cover. Ein Runnerteam in einem Konzernlabor, mit erhobenen Waffen, von allen Seiten mit Lasermarkierungen bedroht, also offenbar von der Konzernsicherheit erwischt. Eine Elfe, eine Menschenfrau, ein Ork. Soweit alles klar. Aber die Kleidung beider weiblichen Runner ist so knapp wie nur physikalisch möglich zu machen? Klar, arm-, bein- und bauchfrei, beziehungsweise von der Hüfte bis zu den unteren Rippen, ist schön frisch. Und am Strand passt das sicher auch, aber mal im Ernst: Nachts auf einem Run in einer Konzernanlage? Der männliche Ork trägt Kampfhose, Hoodie, Panzerweste, hat Platz für Taschen mit Ausrüstung. Dass sie in Schwierigkeiten geraten könnten, war den Charakteren also bewusst, darauf weist auch die schwere Bewaffnung hin, die alle mit sich herumtragen. Aber die weiblichen Charaktere haben nicht mal einen Rucksack dabei für weitere Ersatzmagazine und Ausrüstung. Und warum hat die menschliche Runnerin einen Haarschnitt, bei der Ihr die (perfekt sitzende) Frisur in die Augen fällt? Wenn in den Haarspitzen Sichtverstärkungen eingebaut sind, sieht man diese zumindest nicht. Der ganze Eindruck ist der des „Kettenhemd-Bikinis“ von Abbildungen aus den 1980er Jahren. Jungs vom Designteam, das Ganze mag sexy wirken wollen, aber es ist aus Sicht eines Runnerteams lächerlich und spricht vermutlich auch nicht die Spielerinnen an, von denen es für „Shadowrun“ in meiner Erfahrung fast so viele wie Spieler gibt. In den Kurzgeschichten in diesem Buch (wie auch in allen anderen) hauen die Mädels genauso stark rein wie ihre männlichen Kollegen. Liebe Illustratoren, lest diese Geschichten, lasst euch inspirieren, und hebt euch solche Illustrationen wie die angesprochene gern für die Fanseiten auf, nicht für das Cover einer offiziellen Erweiterung.

Fazit: Mehr Ausrüstung. Mehr Waffen. Mehr Wissen. Hier wird eine Runnergruppe wieder ordentlich mit allem davon gefüttert. Als Ausrüstungsbuch für den gehobenen Geschmack, mit neuen Manövern, einem Haufen Ideen für Runs und kleine Kampagnen, jeder Menge Hintergrundwissen zu Cons und militanten Gruppierungen und abgerundet durch ein paar Möglichkeiten zur Charakterentwicklung, ist dieses Buch eine gutes Nachschlagewerk für eine erfahrene Runnergruppe. Spielleiter sollten allerdings vorher hineinblättern, ehe sie das Buch an ihre Gruppe abgeben – oder gleich nur bestimmte Waffen und Ausrüstungen abschreiben und verfügbar machen, um das Machtgleichgewicht in Ihrer Welt zu erhalten.

Tödliche Schatten

Quellenbuch
Brooke Chang, Raymond Croteau, Jason M. Hardy, u.a.
Pegasus Spiele 2018
ISBN: 978-3-95789-167-7
206 S., Hardcover, Deutsch
Preis: EUR 19,95

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