Mit Tricks und Finesse

Explosionen. Schüsse. Das Aufheulen von Motoren. Verfolgungsjagden durch die Innenstadt. All dies gehört zu „Shadowrun“ und lässt das Herz so manchen Spielers höher schlagen. Doch es gibt mehr als einen Weg, an die Ziele zu kommen, die Mr. Johnson vorgegeben hat. Im neuen Quellenband „Mit Tricks und Finesse“ geht es darum, die Welt für sich arbeiten zu lassen anstatt gegen sie zu kämpfen – mit ein wenig Betrug, einem Haufen fauler Tricks und einem überzeugenden Lächeln.

von Adaon

Wie üblich ist das Quellenbuch „Mit Tricks und Finesse“ im Rahmen eines Matrix-Dokumentes der Runner-Seite „JackPoint“ gehalten. Ähnliche Aspekte des Themas sind in Kapiteln zusammengefasst, es gibt Datenkästen für interessante Hintergrundinformationen, Kommentare von JackPoint-Nutzern und ein übersichtliches Inhaltsverzeichnis. Warum ich dies erwähne? Es gibt in diesem Quellenband, wie für Quellenbände ja auch üblich, keine Zusammenfassung in Tabellen auf den letzten Seiten. Wenn der geneigte Leser bestimmte Vor- und Nachteile oder Ausrüstung sucht, wird er sich durch oben genanntes Inhaltsverzeichnis dennoch gut zurechtfinden.

Nach der Einleitung und einer Kurzgeschichte, die in Konstantinopel spielt, beginnt das Kapitel „Falsche Spiele“ das eigentliche Buch. Es geht um Hinweise zu möglichen Betrugsarten in den verschiedenen Megakonzernen, Trickbetrug, den die Megakonzerne intern und extern betreiben, die neue Wahl zum Gouvernour in Seattle (und was dort hinter den Kulissen läuft), der erneute Griff nach der Macht des AA-Konzerns Spinrad Industries, der seit Jahren vorbereitet wird, und Informationen über Intrigen des Feenhofes auf der materiellen Ebene – gehalten im Stil des alternativen „Hof der Feen“- Settings, was die Informationen etwas schwierig herauszulesen, aber schön anzusehen macht.

In „Stadt der Sehnsüchte“ geht es um die Freie Stadt Konstantinopel. Neunzehn Millionen Einwohner zwischen Ost und West, zwischen den Interessen der Neuen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, den Anrainern des Schwarzen Meeres, dem Arabischen Kalifat und seinen expandierenden Unternehmen sowie den Megakonzernen. Das alles verteilt auf zwei Kontinente, angrenzend an zwei Meere, und nach eigener Auffassung neutraler Boden. Der Bürgerkrieg zwischen den säkularen und den fundamentalistischen Türken brachte die Stadt dazu, sich als unabhängig von der Türkei zu erklären, und die Konzerne begrüßten diese Entscheidung. Neben der Geschichte der Stadt und ihrer aktuellen Politik umfasst dieses Kapitel auch die sieben Stadtteile und interessante Orte darin.

Im Kapitel „Söhne und Töchter Konstantinopels“ werden Bewohner der Stadt, die für Runner und/oder Spielleiter interessant sein könnten, vorgestellt. Zumindest wird beschrieben, was auf JackPoint über sie bekannt ist – einschließlich ihrer Spielwerte. Hier finden sich auch ein paar Lebensmodule für die Charaktererschaffung nach „Schattenläufer“, um seinem betrügerischen Charakter beim Aufwachsen den Feinschliff zu geben.

Danach geht es im „Spiel mit dem Vertrauen“ um viele schöne Trickbetrugsvarianten, die geplant, vorbereitet, aufgebaut und durchgezogen werden können – manche schnell, manche mit viel Ausrüstung und noch mehr Geduld. Alte Bekannte wie die sprichwörtliche „Katze im Sack“, der „Hauptman von Köpenick“ oder „Der verlorene Ring“ werden vorgestellt, um ein wenig Geld zu machen. Dazu kommen modernere Varianten wie der „Glaubensheiler“ oder „Die falschen Handwerker“ und magie-unterstützte Möglichkeiten wie der „Drachentöter“, um an ein schwierigeres Ziel heranzukommen – ob dies nun eine Menge Geld ist oder doch ein neuer Prototyp.

Die benötigten Hilfsmittel, ob es sich nun um Waffen, Kleidung und Ausrüstung, neue Zauber und Adeptenkräfte, neue Vor- und Nachteile oder Spezialisierungen von Manipulationstechniken handelt (ähnlich der Kampfsporttechniken aus „Kreuzfeuer“) finden sich im Kapitel „Was das Betrügerherz begehrt“. Wer hier übrigens nach Möglichkeiten für die Umsetzung eines Trickbetruges im Bereich Extraktionen sucht, wird eher im Quellenband „Gestohlene Seelen“ fündig. Dort liegt der Schwerpunkt neben der KFS-Krise auf genau dieser Art von lebenden Zielen, wie man an diese herankommt und welche Mittel zur Arbeitserleichterung es dabei gibt. Zwar geht es dort manchmal wie auch beim Trickbetrug darum, das Vertrauen eines Zieles zu nutzen, um einen Plan umzusetzen, dennoch gibt es erstaunlich wenig Parallelen.

Das nächste Kapitel bringt mit dem „Handbuch des Trickbetrugs“ Erleichterung für all jene Spieler, die gern einen charmanten Schwindler spielen möchten, im realen Leben – und in der Darstellung am Spieltisch – jedoch einem Ertrinkenden keine Schwimmweste andrehen könnten. Regeln und Richtlinien zum Einsatz von Trickbetrug mit den im vorigen Kapitel vorgestellten Manipulationstechniken, alles von den Spielwerten der Charaktere abgedeckt, erlauben es Spieler und Spielleiter fließend zwischen der durch Worte dargestellten und der mit Würfeln simulierten Interaktion von Spieler- und Nicht-Spieler-Charakter zu wechseln.

In der deutschen Ausgabe schließt „Mit Tricks und Finesse“ mit dem Zusatzkapitel „Die Frankfurter Schule“ ab. Die beruflichen Notwendigkeiten eines Runs in Groß-Frankfurt – namentlich einer Konzernhochburg mit enormen Sicherheitsvorkehrungen – haben im Laufe der Jahre und Jahrzehnte zu einer Anpassung in der Schattenszene geführt. Andere zu manipulieren, ob nun indirekt durch ein sicheres Auftreten und überzeugend gefälschte SIN oder direkt durch ein auf eine Person zugeschnittenes, abgekartetes Spiel, ist in diesem Umfeld nicht nur erfolgversprechender, sondern auch der Gesundheit weit zuträglicher. Neben Groß-Frankfurt werden auch Hannover und die Grand Tour als mögliche Einsatzorte für Runner dieser Couleur genannt. (Und wer sich international aufstellt, denkt bei der Beschreibung der hier notwendigen Fähigkeiten ebenfalls spontan an Manhattan an der Ostküste der UCAS.)

Nach der Lektüre dieses Buches stellt sich, wie immer, die Frage ob man ein Quellenbuch für den Trickbetrug auch am eigenen Spieltisch braucht. Die Antwort liegt hier hauptsächlich bei den Spielern. So interessant die Blickwinkel sind die hier geboten werden, so sehr geht es eben vor allem um den Trickbetrüger selbst, der von diesen Informationen profitieren soll – also den oder die Spielercharaktere. Wer am liebsten Sachen in die Luft jagt, sich mit Geistern duelliert und generell den direkten Zugriff bevorzugt, wird hier nicht glücklich werden. Wer sich allerdings auch gern mal mit Köpfchen und leisem Schritt einschleicht, wird in der Manipulation seiner Mit-Metamenschen, um die es hier geht, neue Möglichkeiten finden, den Auftrag für Mr. Johnson abzuschließen – und das mit weniger Gefahr, sich eine Kugel einzufangen.

Die Aufmachung des Buches ist gewohnt edel, der Einband ist mit dem Schriftzug geprägt, Kurzgeschichten und gute Illustrationen unterstreichen die Thematik. Der Preis ist mit knapp 20,- Euro weiterhin unschlagbar günstig, so dass man hier nichts falsch machen kann. Ein interessanter Fehler hat sich übrigens in das Inhaltsverzeichnis geschlichen: Die Waffen stehen unter dem falschen Abschnitt, die Seitenangabe ist allerdings richtig. Dies bleibt jedoch der einzige Fehler, der beim ersten Lesen auffällt, und stört nicht wirklich.

Fazit:
Wie es das Vorwort des Buches es sagt: Welcher Schattenläufer träumt nicht davon, dass ihm und seinem Team die Tore des Sicherheitstraktes von den anwesenden Konzerngardisten geöffnet werden, die anschließend fragen, ob sie noch irgendwie behilflich sein können? Die besten Trickbetrüger erreichen ihre Ziele und gehen wieder, ohne dass jemand auch nur gemerkt hat, dass etwas nicht stimmt. Mit diesem Buch gibt es Inspiration, Hinweise, Regeln und Ausrüstung für den Shadowrunner, der weder versucht sich einzuschleichen noch sich den Weg freizuschießen – sondern der die Hindernisse auf dem Weg zu seinem Ziel für sich arbeiten lässt.

Mit Tricks und Finesse
Quellenbuch
Kevin Czarnecki, Olivier Gagnon, Jeff Halket, Jason M. Hardy, Mike Messmer, Dylan Stangel u.a.
Pegasus Spiele 2017
ISBN: 978-3-95789-126-6
179 S., Hardcover, Deutsch
Preis: EUR 19,95

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