Sword & Sorcery – Die Alten Chroniken

Eine neue Legende, das gleiche Prinzip. Nach dem großen Erfolg des Brettspiels „Sword & Sorcery – Unsterbliche Seelen“ kehren auch in dem eigenständigen Prequel „Die Alten Chroniken“ große Helden der Vergangenheit aus dem Totenreich zurück, um ein neues Übel, hier die böse Elfenkönigin Aspides, zu bekämpfen. In zehn Abenteuern geht es durch ein Unterreich, während die Helden mehr und mehr zu alter Stärke heranwachsen. Wie viel Spaß macht das?

von Bernd Perplies

Auf dem Cover der großformatigen, wenn auch im Vergleich zu manchen Spielekolossen heute nicht außergewöhnlichen Box kämpfen ein düster dreinblickender Zwerg, eine violetthäutige, weißhaarige (Dunkel)Elfen-Schwertmeisterin samt Tiger und andere grimmige Gestalten in einem feurigen Unterreich gegen Goblins, weitere Dunkelelfen und Saurons Zwillingsbruder. Ganz ehrlich: Wer da nicht an die „Drizzt-Do’Urden“-Romane von R. A. Salvatore denkt, jene Fantasy-Bestseller, die seit Jahrzehnten das beliebten „Forgotten Realms“-Setting des Rollenspiels „Dungeons & Dragons“ begleiten, der hat die 1990er verpasst. Andererseits sind Dunkelelfen – hier „Verfluchte Elfen“ – mittlerweile ähnlich zu fantastischem Allgemeingut geworden wie cthuloide Tentakelmonster, insofern ist wohl keine Copyright-Klage gegen Ares Games zu erwarten.

Die Atmosphäre ist mit dem Cover jedenfalls gesetzt: Nach den Überlandabenteuern der ersten „Sword & Sorcery“-Grundbox geht es diesmal unter die Erde, in ein gewaltiges Unterreich, aus dem die alten Götter verbannt wurden, da heute alle Bewohner der Elfenkönigin Aspides huldigen sollen. Die Dreigötter finden das natürlich nur bedingt gut, weswegen sie die Helden ins Leben zurückschicken, um Vergeltung zu üben und die richtige Ordnung wieder herzustellen. Wenn man ein wenig darüber nachdenkt, scheint diese Prämisse für ein Heldenepos etwas fragwürdig, aber gut, drücken wir ein Auge zu und bekämpfen als Werkzeuge des rechtschaffenen Zorns der Götter die Tyrannei dieser Elfenherrscherin.



Das Spielmaterial

Vor dem eigentlichen Spiel stehen jedoch Freud und Leid in gleichem Maße. Durchaus erfreulich ist der Inhalt der Box. Modulare, zweiseitig bedruckte Spielplanteile, zahlreiche hübsche Miniaturen (nicht großartig, aber völlig in Ordnung), dicke Kartenstapel mit Ausrüstung, Schätzen, Ungeheuern und mehr – alle schick bebildert – und eine Unmenge an Pappspielmarkern zeugen davon, dass hier ein waschechter und schwergewichtiger Dungeon Crawler auf uns wartet. Auch das 80-seitige, klein bedruckte „Buch der Geheimnisse“, das alle Erzähltexte enthält, macht Lust auf mehr. Weniger Glücksgefühle verspürt man beim Anblick des großformatigen, 63-seitigen Regelwerks. Diesen Wälzer durchzuarbeiten, kostet schon den ersten Spielnachmittag (und -abend).



Hier hat Ares Games leider immer noch nicht von Fantasy Flight Games gelernt. Statt die Regeln in ein Heft mit nötigen Grundregeln und ein Referenzhandbuch mit allen Details zu trennen, wird hier alles in einem geboten. Das Gute daran ist nur: „Sword & Sorcery“ erfindet das Rad nicht neu, das heißt, dass Kenner von Dungeon Crawlern in vielen Fällen schnell erfassen, was wie funktioniert. Das beschleunigt die Lektüre. Außerdem wurden die Regeln sehr klar in nummerierte Abschnitte unterteilt, die im Grunde wie in einem Referenzhandbuch funktionieren. Das hat inhaltliche Redundanzen zur Folge, andererseits hilft das beim Erlernen der Regeln. Und wenn man etwas während des Spiels sucht, kann man auf einen guten Index zurückgreifen, der schnelles Nachschlagen ermöglicht. Was leider gerade Anfangs auch oft nötig ist, denn obwohl die Regeln an sich nicht schwer sind, gibt es unzählige Kleinigkeiten zu beachten, gerade im Zusammenspiel der zahlreichen Effekte von Waffen, Schadensarten etc., die mit den zig Spielmarkern und ebenso vielen Spezialsymbolen markiert sind.



Schade auch, das die Organisation des Spielmaterials in der Box zu wünschen übrig lässt. Die Miniaturen sind recht ordentlich in einem Plastik-Inlay sortiert und werden zudem durch eine Papphülle geschützt. Gut auch, dass die Spielkarten mittlerweile gesleevt in ihre Fächer passen. Für die Unmengen an Spielmarkern und die Spielplanteile gibt es jedoch keine Lösung. Hier muss man sich mit Ziplock-Beuteln und Puzzlearbeit behelfen. Ein zusätzliches Inlay, das für Ordnung und schnellen Zugriff sorgt, wäre hier schick gewesen; zugegebenermaßen ist das ein Wunsch, den nicht viele Brettspiele erfüllen.

Das Spiel

Zehn Abenteuer gilt es in dieser Grundbox zu bestehen, die nur als 1. Akt eines größeren Epos zu verstehen sind – mindestens ein 2. Akt soll in einer größeren Erweiterung folgen. Die Geschichte verläuft dabei sehr linear. Verzweigungen bei Sieg oder Niederlage gibt es nicht. Im Fall einer Niederlage spielt man entweder einfach weiter oder versucht sich an dem jeweiligen Abenteuer erneut. Die Heldengruppe folgt im Rahmen der Geschichte einem Weg durch das Unterreich, der auf der Rückseite des „Buchs der Abenteuer“ vorgezeichnet ist und wird dabei von Abenteuer zu Abenteuer geleitet, hier und da unterbrochen von Stadtbesuchen und Erzählpassagen. Hier legt „Die Alten Chroniken“ im Vergleich zu „Unsterbliche Seelen“ noch eine gute Schippe drauf. Der Storyteil wurde erweitert und von den eigentlichen „Crawls“ weitgehend abgekoppelt. Man kennt etwas in der Art zum Beispiel von „Descent – Legenden der Finsternis“, wo es auch Stadtphasen und Reiseereignisse gibt, die getrennt von den Szenarien abgehandelt werden. Wie der Aufbau der einzelnen Abenteuer vonstattengeht, wird detailliert im „Buch der Abenteuer“ erklärt. Hierbei wird jedoch nicht immer der ganze Spielplan aufgebaut. Gelegentlich erweitert das „Buch der Geheimnisse“ das Geschehen (und die Gegner, Fallen und Schätze etc.) im Verlauf des Abenteuers. Danach kann es dann endlich losgehen.



Das Spiel ist für 1 bis 5 Spieler ausgelegt, wobei mindestens zwei Helden auf Reisen gehen müssen, allein muss man also zwei Figuren managen. In der Grundbox sind fünf Helden im Angebot: ein Zwergenberserker, ein Halblingdieb, eine Elfenbogenschützin, eine Magierin und eine Art Paladin/Priester. Netter Gag: Man kann jede Heldenfigur in einer rechtschaffenen und einer chaotischen Version spielen, was die Anzahl spielbarer Helden verdoppelt. An den Werten ändert das wenig, allerdings können Fähigkeiten, Talente oder die Geschichte auf die Gesinnung der Helden Bezug nehmen.

Ein Abenteuer wird in Runden gespielt, die sich je in eine Zeitphase, eine Kampfphase und eine Ereignisphase unterteilen. In der Zeitphase wird vor allem verwaltet. Effekte verursachen Schaden, Fähigkeiten werden aufgefrischt, der Seelenrang (das Level) der Helden kann erhöht werden. In der Kampfphase sind Helden und Monster abwechselnd am der Reihe. Ein Held kann Aktionen gemäß seiner Heldenkarte beziehungsweise des darauf liegenden Seelensteins durchführen, der neben dem Seelenrang und der Anzahl an erlaubten Fähigkeiten und Talente festlegt, wie viele Kampf- und Standardaktionen erlaubt sind. Mit Kampfaktionen greift man – klar – Gegner an. Standardaktionen dienen unter anderem dazu, Türen aufzubrechen, Gegenstände zu tauschen oder einen Raum mit einem Suchmarker zu durchsuchen. Zudem gibt es noch je eine Bewegungsaktion und beliebig viele freie Aktionen, wie etwa das Öffnen einer unverschlossenen Tür, das Aufheben und Ablegen von Gegenständen oder die Flucht aus dem Kampf.



Im Kampf sind Entfernung und Sichtlinie zu beachten. Ansonsten funktionieren Kämpfe recht klassisch: Schadenswürfel plus Modifikatoren gegen Rüstung, Resistenzen und Verteidigungswürfel. (Natürlich nutzt auch „Sword & Sorcery“ spezielle Symbolwürfel, wie so viele seiner Kollegen.) Was übrig bleibt, sind Wunden, wobei sowohl Helden als auch Monster nicht sonderlich viele davon aushalten. Da Schläge, Schüsse und Magie aber nach Verrechnung aller Boni und Mali oft auch nur ein bis drei Wunden anrichten, kommt man trotzdem ganz gut über die Runden, vor allem, wenn man Heiltränke im Gepäck hat, die man allerdings nur zu bestimmten, von der Story vorgegebenen Zeitpunkten erwerben kann – Barschaft vorausgesetzt. Die Monster werden übrigens komplett über Verhaltenskarten gesteuert, die recht gut funktionieren. Das erspart sowohl den Spielleiter als auch eine App zur Unterstützung.

In der Ereignisphase wird dann eine Ereigniskarte vom vorbereiteten Stapel gezogen und ausgeführt. Das sorgt für unerwartete Momente und ist in relativ vielen Spielen dieser Art zu finden. Bei „Sword & Sorcery“ dient der Stapel aber auch als Timer. Wenn er aufgebraucht ist, haben die Helden verloren. Wer allerdings nicht total trödelt, läuft nur wenig Gefahr, auf diese Weise ein Abenteuer zu beenden. Auch der Gruppentod, die andere Art der Niederlage, passiert eher selten. Man muss schon viele taktische Fehler begangen und zudem Würfelpech gehabt haben, dass alle Helden am Ende einer Runde gleichzeitig in ihrer Geistergestalt dastehen. Apropos: Diese Geistergestalt ist eine coole Eigenheit von „Sword & Sorcery“. Denn stirbt ein Held, was durchaus geschehen kann – wenngleich „Sword & Sorcery“ kein ausnehmend schwieriges Spiel ist –, bedeutet das nicht, dass der Held dann aus dem Spiel ist. Vielmehr geistert er als Toter weiter übers Brett, bis er sich entscheidet, wiederbelebt zu werden. Eine Spielereliminierung ist nicht vorgesehen. Allerdings sollte man die Sache nicht zu sehr auf die leichte Schulter nehmen, denn jeder Tod kostet einen Seelenrang – und Aufleveln ist eine mühsame Angelegenheit.



Fazit: Auch in seiner zweiten Inkarnation (die voll kompatibel zur ersten ist!), bleibt „Sword & Sorcery“ ein höchst unterhaltsames Spiel, das schickes Spielmaterial, eine kurzweilige, erzählfreudige Kampagne und eigentlich eingängige Regeln bietet – wenn man sich erst einmal eingearbeitet hat! Der Schwierigkeitsgrad ist angenehm moderat, sodass man nicht ständig frustriert und vom Spiel besiegt den Abend beenden muss. Der Verzicht auf einen Spielleiter kommt Gruppen entgegen, die sich gern gemeinsam einem Abenteuer stellen. Der Verzicht auf digitale Unterstützung erfreut dabei vor allem Puristen, auch wenn das bedeutet, dass hier all das Mikromanagement selbst durchgeführt werden muss, das Apps einem abnehmen können. Wenn es etwas zu kritisieren gibt, dann das sehr wuchtige Regelwerk und die Tatsache, dass Sieg oder Niederlage in der linearen Kampagne keine unterschiedlichen Folgen haben. Aber das ist Meckern auf hohem Niveau. Unterm Strich also auch hier eine eindeutige Empfehlung für alle, die gern kooperativ in Dungeons unterwegs sind und keine Angst vor Regelungeheuern haben. Wenn ihr euch entscheiden müsst, ob ihr „Unsterbliche Seelen“ oder „Die Alten Chroniken“ kaufen sollt, würde ich zu letzterem raten, denn das ist in allen Belangen noch ein klein wenig ausgereifter und besser.

Sword & Sorcery – Die Alten Chroniken
Brettspiel für 1 bis 5 Spieler ab 13 Jahren
Simone Romano, Nunzio Surace
Ares Games/Asmodee 2021
EAN: 4015566603264
Sprache: Deutsch
Preis: EUR 87,99

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