von KaiM
Dieses Spiel ist nicht nur düster, ein wenig blutig und mit diversen entwickelbaren Charakteren ausgestattet, es kommt zudem mit einem wirklich innovativen polyominoesken Kampfsystem daher, das die Zufälligkeit hinter Sieg und Niederlage nicht nur auf einem angenehmen Level hält, sondern auch geschickt zu verstecken vermag.
In „Amulett“ übernehmen wir die Rolle von Helden generischer Natur, also Magier, Dieb, Jäger usw., um dunkle Monsterscharen ebenso generischer Natur aus dem Landstrich – oder besser: dem bedrohten Fürstentum – zu vertreiben. Dazu werden Waffen gewetzt, Tränke gebraut und Verbündete angeheuert. Man sammelt Gold, Erfahrung und vor allem Klunker, um am Ende als Sieger und Held dastehen zu können.
Das Spiel ist für eins bis fünf Spielende ab 12 Jahre und mit einer Spieldauer von 60 bis 120 Minuten ausgewiesen. Tatsächlich ist auch eine Partie mit bis zu fünf Personen gut machbar. In der Erstpartie in Vollbesetzung erwarteten wir das Schlimmste, sind aber trotz einiger Regelfragen mit 150 Minuten durchgekommen. Die Zeitspanne ist also durchaus recht realistisch, wobei 60 Minuten wohl allenfalls in einem Solospiel zu erreichen sind. Die Altersgrenze von 12 Jahren ist wahrscheinlich weniger der Komplexität des Spiels geschuldet, als vielmehr dem dunklen Thema. Das Kind sollte schon mit allerlei gruseligem Bildmaterial zurecht kommen, aber wenn das der Fall ist, steht auch einem Familienausflug in das Monsterdorf des Grauens nichts mehr im Weg.
Das Material
Ein großer Spielplan, ein paar passable Heldenminiaturen, bunt-transparente Würfelchen, Polyominos und mehrlagige Charakterboards sorgen für einen guten Eindruck. Die Box ist gut gefüllt, und man hat das Gefühl, etwas fürs Geld zu bekommen.
Abzüge in der A-Note verschaffen dem Spiel die Illustrationen, die an einigen Stellen an Computerspiele der 1980er Jahre erinnern. Allerdings versprühen sie weniger den Charme dieser Zeit, sondern hinterlassen eher den faden Nachgeschmack der Lieblosigkeit. Eigentlich schade, dass dies insbesondere bei ein paar der stärkeren Gegner passieren konnte, die eigentlich ein Highlight einer Partie darstellen müssten. Andere Illustrationen gruseliger Horden sind nämlich durchaus gut geraten.
Die Regeln geben immer mal wieder Anlass zum Nachfragen und -schlagen und bremsen das Spiel unnötigerweise aus. Auch das ist schade, denn so kompliziert ist das Ganze überhaupt nicht. Hat man den Spielfluss erst verinnerlicht, spielt es sich sehr fluffig runter.
Das Spiel
Im Groben ist der Spielablauf schnell erklärt. Alle bekommen eine eigene Heldenfigur mit asymmetrischen Startwaffen und -fertigkeiten. Also hat jeder Charakter seine Stärken und Schwächen im Monsterkampf, die es gilt, geschickt auszunutzen bzw. zu umgehen.
Man bewegt sich von Spielzug zu Spielzug nahezu frei über einen Spielplan und löst damit Aktionen aus. Das große Ziel ist die Vernichtung von mächtigen Monstern auf der einen Seite und das Sammeln von Edelsteinen für das eigene, mächtige Amulett auf der anderen. Dafür muss man jedoch Vorbereitungen treffen, wie zum Beispiel zerkämpfte Waffen zu reparieren oder aber sich selbst zu heilen. Man kann auch Zaubersprüche und Tränke zur Unterstützung kaufen oder die Burg von weniger gefährlichen Wegelagerern befreien. Wichtig ist nur, dass jeder Platz nur von einer Spielfigur auf einmal besetzt werden kann. Also ist neben der richtigen Vorbereitung auch das richtige Timing gefragt, um am Ende der Nacht nicht ohne Trophäe dazustehen.
Hat man erstmal den Kampf aufgenommen, nimmt man sich zwei Waffen der Wahl sowie gegebenenfalls eine Unterstützung, und dann geht es auf in die Schlacht. Die Waffen sind wie lustige „Tetris“-Teile geformt und müssen nun möglichst geschickt auf die Monsterkarten gelegt werden. Um einen Sieg davonzutragen, müssen die Schwachstellen der Monster getroffen (abgedeckt) werden. Deckt man Boni wie Münzen oder Edelsteine nicht ab, erhält man diese unter Umständen am Ende eines siegreichen Kampfes. Wurden Blutstropfen jedoch nicht abgedeckt, dann erleidet man Wunden, die beim Verlust aller Lebenspunkte zu einer Niederlage führen können.
Auf diese Weise wechselt man mit den Aktionen zwischen Kampf, Erholung, Vorbereitung und dem Ausgeben von im Kampf gesammelter Erfahrung, denn mit ihr kann man sich individuelle Fertigkeiten freischalten, die nicht nur Erleichterungen im Kampf, sondern auch weitere Dinge versprechen, die einem den Sieg näher bringen können. Abhängig von der Personenanzahl werden sechs bis acht Tage gespielt und anschließend die Siegpunkte berechnet. Es zählen vor allem die besiegten Monster und wie gut das eigene Amulett mit Edelsteinen ausgestattet wurde. Im Kampf erlittene Schwächungen (Verlust aller Lebenspunkte) geben noch Minuspunkte, und ein paar Punkte sind noch durch Waffen, Münzen und einiges mehr zu holen. Wer am Ende dann am meisten Siegpunkte hat, gewinnt das Spiel.
So fühlt es sich an
Wie in einem Arbeitereinsatzspiel bewegt man den Helden von Ort zu Ort, um dort eine Aktion auszulösen. Wie bereits erwähnt, kann man sich ausrüsten, die Burg gegen kleinere Störenfriede verteidigen, Waffen reparieren, Tränke besorgen, noch einiges mehr, aber vor allem eben Monster bekämpfen. Die Aktionen sind dabei schnell abgehandelt und der/die nächste in der Reihe kann den nächsten Zug machen. Im Kampf puzzelt man seine Waffen auf die Gegner und dabei kann durchaus ein wenig Zeit vergehen, die dem Spiel die Leichtigkeit rauben könnte. Aber es ist kaum von Relevanz für die anderen, was gepuzzelt wird. Also kann der nächste Zug entsprechend der Regeln schon gemacht werden, wenn andere noch überlegen, wie sie ihre Teile platzieren. Das reduziert die Downtime enorm und so funktioniert das Spiel selbst mit fünf Personen noch gut.
Die Interaktion beschränkt sich in diesem Spielmodus auf kleinere Wettrennen: Welche Edelsteine werden benötigt, welche Plätze auf dem Spielplan belegt, welche Tränke werden abgegriffen? Es lohnt sich also, die Gegner im Blick zu behalten, wobei man nur selten gemein spielen kann. Man ist dann doch zu sehr mit den eigenen Zielen beschäftigt. Aber auch die bringen Spaß, denn die Frage nach dem besten Skill hält durch die passable Menge an Helden die Motivation über mehrere Partien aufrecht. Hier wurde wirklich nicht viel falsch gemacht.
Nachteilig ist die generische „Geschichte“ hinter dem Spiel. Die Helden, die Monster, das Dorf. Alles ist von der Stange. Die Helden haben nicht mal Namen bekommen, und auch die legendären Monster zeichnen sich eigentlich nur dadurch aus, dass sie besonders schwer zu besiegen sind. Hier hätten die Autoren mit ein wenig mehr Detailverliebtheit noch jede Menge herausholen können. So aber bleibt aber trotz der thematisch nicht schlecht umgesetzten Mechaniken ein gesichtsloses Gameplay. Warum füllt man sein Amulett doch gleich mit Edelsteinen? Natürlich für Siegpunkte, aber obwohl die Regel sogar von dem großen Machtpotenzial der Amulette spricht, sind die Auswirkungen auf den Spielverlauf leider gleich Null.
In der kooperativen Variante, wo man sich gemeinsam den verschiedensten Herausforderungen stellen muss, gibt es sogar Platz für stimmungsvolle Texte und das Beschwören gemeinsamer, nahezu unbesiegbarer Feinde. Aber selbst an dieser Stelle kommt das Spiel nicht über das untere Mittelmaß hinaus.
In Summe wurde hier einfach Potenzial verschenkt, denn die gespielten Partien haben allen Beteiligten Spaß gemacht. Aber während andere Spiele nach einer Runde noch durch tolles Artwork und stimmungsvolle Texte dazu einladen, ein wenig länger in ihrer Welt zu verbleiben, kann man hier zwar über die Mechaniken und den eigenen Weg durch das Spiel nachdenken, aber die Welt und die Geschichte hinterlassen keine relevanten Erinnerungen.
Fazit: Das Spiel fühlt sich ganz anders an, als man zunächst erwarten könnte, und bringt dabei durch die unterschiedlichen Charaktere und vor allem ihre Talentbäume einiges an Variabilität. Es ist ein Spiel für „Diablo“-Fans und andere, die etwas mit dem Dark-Fantasy-Thema anfangen können und kurzweiligen Spielspaß suchen. Hier kann man mit überschaubaren Regeln auf Kennerniveau und ein paar Puzzelteilen Monster dahinschnetzeln und außerdem den eigenen Charakter aufleveln. Die generische Umsetzung und die Lieblosigkeit an einigen Stellen lassen das Spiel aber hinter seinen Möglichkeiten zurückbleiben.
Amulett
Brettspiel für 1 bis 5 Spieler ab 12 Jahren
Alena Sokolov, Vladimir Sokolov
Grimspire Games 2023
EAN: 7421098108110
Sprache: Deutsch
Preis: 54,99 EUR
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