Die Götter

Wo kommen wir her? Wo gehen wir hin? Und was ist eigentlich der Zweck von allem? Für viele Rollenspielcharaktere sind diese Fragen mit „Aus der Taverne da hinten.“, „In den Dungeon da vorne.“ und „Monster umhauen. Gold kassieren.“ adäquat beantwortet. Anderen reicht das aber nicht, weswegen sie sich an höhere Mächte wenden.

von Bastian Ludwig

Der Kosmos von Lorakis, der Welt, in der „Splittermond“ spielt, unterteilt sich in vier Domänen: das Diesseits, das im Band „Die Welt“ und in weiteren Regionalbeschreibungen ausführlich dargestellt wird, die Feenwelten, die Thema von „Jenseits der Grenzen“ sind, die Geisterwelt und zuletzt die Götterwelten. Dort hausen die mächtigen Wesen, die von den Lorakern als Götter verehrt werden. Sie beobachten das Treiben im Diesseits, greifen in die Geschicke der Sterblichen ein und verfolgen dabei ihre ganz eigenen Ziele, schmieden Ränke und handeln nach für ihre Anhänger nicht immer nachvollziehbaren Motiven.

Um sie geht es in „Die Götter“. Wobei. Genau genommen eigentlich nicht. Der Titel trifft den Inhalt des Bandes nicht so richtig, denn der ist keinesfalls ein Who-is-Who des lorakischen Pantheons oder ein Reiseführer durch die Götterwelten. Passender wäre „Die Religionen von Lorakis“, denn das Buch behandelt den Blick der Gläubigen auf das Göttliche und wie sie es mit Ritualen, Kulten und Zaubern in ihren Alltag integrieren. Und das ist eine sinnvolle Ausrichtung. Kaum ein Spielercharakter wird jemals die Götterwelten selbst bereisen, während er auf der anderen Seite den verschiedensten Ausprägungen von Religion in jedem Abenteuer begegnen kann, sei es durch den Tempel, in dem er nach Informationen sucht, durch den Priester in der eigenen Gruppe oder den bösen Kult, den er zur Strecke bringen muss.

Der Leser bekommt darum einen Überblick über alles, was in Lorakis mit dem Göttlichen zu tun hat. Er erfährt von verschiedenen Schöpfungsmythen, von der Sicht der Gläubigen auf ihre Götter, vom Jenseits und von Prophezeiungen. Es gibt einen Abriss über lorakische Glaubensgemeinschaften und die häufigsten Glaubensrichtungen in verschiedenen Ländern. Ein bedeutender Teil des Bandes ist den Priestern gewidmet, vor allem, um sie als Spielercharaktere auszugestalten. Dazu gibt es allerlei Hintergrundinformationen, aber auch Regelergänzungen wie neue Ausbildungen, Meisterschaften, Stärken und Zauber. Ein Bestiarium stellt Diener der Götter vor, also Wesen, die in Richtung Engel und Dämonen gehen und als verlängerter Arm ihrer Herrinnen und Herren im Diesseits agieren. Ein wichtiger Abschnitt ist die Spielleiterhilfe mit Tipps, wie man das Göttliche in Abenteuer einbauen kann. Hier gibt es dann auch ein paar objektive, weniger durch die Augen lorakischer Religionslehre gefilterte Informationen zu den Göttern.

Inhaltlich ist der Band also schon einmal sehr umfassend und er eignet sich bestens, um einen tiefen Einblick in das lorakische Glaubensleben zu bekommen. Was ihn aber richtig gut macht, ist der Ansatz, mit dem die Informationen präsentiert werden. Es geht den Autoren nämlich nicht darum, alle religiösen Gruppen, Rituale, Götter und ähnliches bis ins Detail darzustellen. Vielmehr wollen sie dem Leser die Grundsätze und Mechanismen hinter den Göttern und Religionen in der „Splittermond“-Welt erklären. Ziel ist die Hilfe zur Selbsthilfe: Hat man erst einmal verstanden, wie Religion auf Lorakis funktioniert, kann man sie als Spielleiter oder Spieler kreativ in ein Abenteuer einbauen, ohne sich vorher enzyklopädisches Wissen über Götter und Kulte aneignen zu müssen. Man kann eigene Religionen gestalten, die zwar nirgendwo kanonisch festgelegt sind, die aber doch den Stil und den Regeln von „Splittermond“ entsprechen. Das gibt einen klaren Rahmen, der dafür sorgt, dass eine „Splittermond“-Runde eben echtes „Splittermond“ bleibt, ohne dabei die Spieler einzuengen oder von ihnen zu viel Wissen zu verlangen. Und meiner Meinung nach sollte ein Rollenspielhintergrundwerk genau das erreichen.

Fazit: „Die Götter“ bietet einen inhaltlich umfassenden Blick auf den Glauben in Lorakis und befähigt Spielleiter und Spieler, ihn kreativ und individuell, aber doch weltenkonform in ihre Rollenspielrunde einzubauen. Von den bisherigen „Splittermond“-Welten- und -Regelbänden ist „Die Götter“ der stärkste und mit dem mit Abstand ausgereiftesten Konzept.


Die Götter
Quellenbuch
Uli Lindner (Hrsg.)
Uhrwerk Verlag 2016
ISBN: 978-3-958670-56-3
176 S., Hardcover, vierfarbig, deutsch
Preis: EUR 39,95
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