Woodcraft

Suche für meine Holz-Werkstatt tatkräftige Gehilfen. Kenntnisse im Sägen und Kleben von Holz und in der Pflege von Bäumen, sind Grundvoraussetzungen. Bezahlung in Blaubeeren. Bewerbungen an Vlamimír S. unter dem Stichwort ‚Woodcraft‘.

von Oli Clemens

Bei „Woodcraft“, dem neusten Euro-Expertenspiel von Vladimír Suchý, das in der Zusammenarbeit mit Ross Arnold entstanden ist, dreht sich alles um Holz. Dabei organisieren wir uns Würfel und basteln mit unseren Assistenten in unserer eigenen Werkstatt an Aufträgen. Am Schluss gewinnt die Person, die am meisten Haselnüsse gesammelt hat – die gelten hier als Siegpunkte. Wie alle Spiele des Autors, ist auch „Woodcraft“ zuerst im familieneigenen Verlag Delicious Games erschienen. Für den deutschen Markt hat sich Pegasus um die Lizenz gekümmert.

Nach thematischen Ausflügen unter den Meeresspiegel und in mittelalterliche Städte, hat sich Suchý nun für sein neustes Spiel ein neues Thema ausgesucht, nämlich im weitesten Sinn die Natur. Wir selbst verkörpern eine Art Waldelfe, bezahlen mit Blaubeeren und kümmern uns um das Wachstum von Bäumen. Sogar der Startspielermarker zeigt ein süßes Eichhörnchen. Lasst euch davon aber nicht täuschen. In „Woodcraft“ steckt das gleiche Expertenspielpotenzial wie etwa in „Underwater Cities“ oder „Praga Caput Regni“.



Das Spiel läuft je nach Personenzahl über 13 oder 14 Runden, und der Ablauf einer jeden Runde ist einfach: Lasse zuerst deine gepflanzten Bäume wachsen, wähle dann fast ungehindert eins der sieben Aktionsplättchen vom Aktionsrad – am besten mit Bonus – und tausche zum Ende deines Zugs Blaubeeren gegen Siegpunkte ein, wenn du dir das leisten willst. Eine Auswahl an Nebenaktionen steht dir natürlich auch noch zu Verfügung, wie etwas das Manipulieren deiner Würfel über verschiedene Ausbaustufen deiner Werkstatt. Das machen alle nacheinander, dann ist eine Runde auch schon zu Ende. Klingt einfach, ist aber trotzdem ein Expertenspiel!

Denn auch bei „Woodcraft“ ist nichts so leicht, wie es scheint. Im Kern des Spiels wollen wir möglichst viele Aufträge erfüllen. Die bringen uns einen Mix aus Geld, neuen Materialien, Siegpunkten und Reputation. Um Aufträge aber erledigen zu können, brauchen wir jede Menge Würfel. Die gibt es in drei Farben: Grün, Gelb und Braun. Und nicht nur die Farbe müssen wir bei den Aufträgen entsprechend berücksichtigen, sondern auch die Augenzahl. Hat man selbst einen gelben Würfel mit der 6, braucht aber einen mit der 4, können wir Würfel aus unserem Bestand mit Sägeblättern klein schneiden, um ihre Werte anzupassen. Alternativ sollte ich mich auf dem Markt umschauen und dort kaufen, was eine teure Angelegenheit ist. Auch wenn es Blaubeeren sind, mit denen wir bezahlen: Geld hat man bei „Woodcraft“ immer zu wenig.



Wer geduldig ist, wartet darauf, dass die eigenen Bäume entsprechend wachsen und ihren Wert erhöhen und baut währenddessen die eigene Werkstatt aus, stellt neue Gehilfen ein oder kümmert sich um den Einkauf von Kleimkram, wie etwa Leim, Sägeblattscheiben oder Restholzblöcken. Diese nutzt man entweder, um in der eigenen Werkstatt effizienter arbeiten zu können, oder man braucht sie sogar für das Erfüllen von Aufträgen. Wie gesagt, wir haben für alle diese Möglichkeiten immer nur eine Aktion pro Zug. Am besten plant ihr im Kopf schon zwei bis drei eurer Züge vor. So kommen möglichst viele Haselnüsse am Ende eurer Planung raus. Aber vergesst nicht, dass schon nach knapp 13 Runden das Spiel zu Ende sein wird.

Zwischendurch unterbricht euch das Spiel in eurer Denkakrobatik, und es kommt zu Einkommensphasen. Vier Mal im Spiel werden je nach eigenem Fortschritt, der auf der Einkommenstafel festgehalten wird, immer wieder ein paar Blaubeeren ausgezahlt und Siegpunkte verteilt, aber so richtig reich wird man davon nicht. Das eigene Geldmanagement wird euch einiges an Nerven kosten. Den meisten Fortschritt macht man übrigens, wenn man die eigene Werkstatt ausbaut und Assistenten einstellt.



Insgesamt finden wir viele kleine mechanische Momente anderer Suchý-Spiele in „Woodcraft“ wieder. Der Autor hat sich freizügig an seinen eigenen Ideen bedient. Aus „Praga Caput Regni“ kennen wir die Idee eines Aktionsrades und Gegenstände, die man sammeln kann, um einen Extrazug auszuführen. Die Assistenten und die Rundenleiste mit Zwischenwertungen erinnern doch sehr an „Underwater Cities“ und ähnlich wie in „Messina 1347“ kann man auf dem Dachboden der Werkstatt ein bisschen mit Plättchen basteln, um sich Boni freizuschalten. Dazu kommen noch Karten verschiedener Generationen, eine Reputationsleiste, die erledigte Aufträge zum Schluss noch multipliziert, und weitere kleine Spielmomente, die stark an das spielerische Oeuvre von Suchý erinnern. Wer jetzt aber denkt, dass „Woodcraft“ nur ein Abklatsch alter Ideen ist, der irrt. Auch wenn erfahrenen Expertenspielern einzelne Mechaniken bekannt vorkommen, sind in „Woodcraft“ alle wieder wunderbar zu etwas völlig Neuem zusammengesetzt. Dazu trägt für mich auch das Naturthema bei. Ich fühle mich damit wirklich wie in einer Holzwerkstatt, brumme beim Sägen vor mich hin und komme gut mit Blaubeeren als Zahlungsmittel zurecht.

Siegpunkte, die man während des Spiels durch Aufträge, Zwischenwertungen und über das eigene Tableau bekommt, werden immer direkt mit einem Spielstein der eigenen Farbe auf einem separaten Spielplan festgehalten. Zwischendurch sollte man auch immer ein Auge auf die öffentlichen Aufträge werfen, die von allen beansprucht werden können. Hier gilt: Wer zuerst kommt, legt als erstes ein Würfelchen darauf und bekommt die Punkte gut geschrieben. Und ganz zum Schluss sichert man sich über die Ansehensleiste und die Anzahl eigener Aufträge einen wertvollen Punkte-Boost und verrechnet noch restliches Material. Dann weiß man, wer nach etwa 2 Stunden reiner Spielzeit gewonnen hat.



Die Anleitung ist für die Person, die damit das Spiel und die Regeln lernt, sehr klar strukturiert und hilfreich illustriert. Den Ablauf eines Zugs in die drei Einzelphasen und die Möglichkeiten der sieben verschiedenen Aktionen auf dem Rad, hat man wirklich schnell verstanden. Aber die Fülle an strategischen Möglichkeiten, die pro Zug zu Verfügung stehen, kann dazu führen, dass man schwer in das Spiel findet. Gebt also euren Mitspielern ein bisschen Bedenkzeit. Wer einmal im Spiel ist, weiß die Phasen, in denen die anderen dran sind, dann sehr gut für die eigene Planung zu nutzen. So kommt man spätestens in einer zweiten Partie mit ein wenig mehr Überblick gut in einen Fluss, was sich dann auch auf positiv auf die Spieldauer auswirken wird. Für eine Partie mit Leuten, die „Woodcraft“ erst kennenlernen, sollte man nach hinten ein zeitliches Polster einrechnen.

Mit dem Spielmaterial kann man gewohnt sehr zufrieden sein. Alle haben ein eigenes Spielerboard und reichlich Material. Zusätzlich liegen noch zwei Extraspielpläne und das interessante Aktionsrad in der Schachtel. Ein Kritikpunkt für mich sind die Auftrags- und Gehilfenkarten. Die sind aus sehr dünnem Karton gemacht. Da kann Sleeven helfen, um die Karten langfristig zu schonen. Auch der Umstand, dass das komplette Material zuerst in Plastikbeuteln verstaut und dann in den Karton geworfen wird, ist ein Konzept, das der ursprüngliche Verlag Delicious Games gern mal überdenken darf.



Fazit: „Woodcraft“ ist ein Expertenspiel ganz nach meinem Geschmack. Ich komme mit dem Thema einer Holzwerkstatt prima zurecht und habe eine riesige Freude daran, meinen Spielzug vorzubereiten und dann auszuführen. Dabei muss ich aber immer schwierige Entscheidungen treffen, wie ich meine Taktik am besten erreichen kann. Und mit der Tatsache, dass Geld fehlt, muss man eben auch in „Woodcraft“ leben können. Planen, Würfel manipulieren, Boni abgreifen und noch in einem geringen Maß puzzeln – das ist für mich eine Rund-um-Wohlfühl-Kombination auf Expertenspielniveau. Dazu gib es auch noch einen Solomodus, wenn die Mitspieler fehlen. Das macht „Woodcraft“ für mich zu einem der besten Spiele des Jahres 2022.

Woodcraft
Brettspiel für 1 bis 4 Spieler ab 12 Jahren
Vladmír Suchý, Ross Arnold
Pegasus Spiele 2022
EAN: 4250231735127
Sprache: Deutsch
Preis: EUR 59,99

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