Meister der Dschinn

Taucht ab in ein alternatives Ägypten des Jahres 1912 und erlebt, wie die Regierungsagentin Fatma einen Kriminalfall der etwas anderen Art löst. Ein Fanatiker plant von Kairo aus, die Welt auf den Kopf zu stellen. Er proklamiert ein System, das für mehr Gerechtigkeit stehen soll. Doch in Wahrheit scheint er andere Absichten zu haben! Als sich neben der Menschen auch die Dschinns dem Kult anschließen, droht Fatma der Fall zu entgleiten. Wie sollen sie und ihre Kollegen aus dem „Ministerium für Alchemie, Verzauberungen und übernatürliche Wesen“ dieses Unheil stoppen?

von Daniel Pabst

Mit „Meister der Dschinn“ (Originaltitel: „A Master of Djinn“) hat P. Djèlí Clark seinen Debütroman veröffentlicht. Dieser umfasst 567 Seiten und wurde in der deutschen Erstveröffentlichung vom Cross-Cult-Verlag in einem Paperback mit Klappbroschüre abgedruckt. Die Protagonistin dieses Romans – Agentin Fatma el-Sha’arawi – hatte ihren ersten Auftritt bereits in der Kurzgeschichte „Ein toter Dschinn in Kairo“ (erschienen als eine der zwei Kurzgeschichten in der 176-seitigen Novelle „Der Spuk in Luftbahnwagen 015“). Nun steht sie vor umfangreichen Ermittlungsarbeiten. Der mysteriöse Fanatiker hat Kräfte, die das weltliche Denken übersteigen. Zum Glück kann Fatma auf ihre Freundin sowie auf die Hilfe einer jungen Agentin zählen, die ihr als frische Akademie-Absolventin zur Seite gestellt wurde. Zudem wird sie tatkräftig von der Kairoer Polizei unterstützt, die der Welt der Magie jedoch hilflos gegenübersteht. Wie gelingt dieser Fantasy-Mix?

Wie schon in der Novelle „Der Spuk in Luftbahnwagen 015“ funktioniert der Entwurf des alternativen Kairos im Jahre 1912 einwandfrei. Ohne Klischees nimmt P. Djèlí Clark die Leserinnen und Leser mit in die verwinkelten Straßen und Gebäude der Kairoer Innenstadt. Neben der Beschreibung der Umgebung, wie der abessinischen Cafés oder dem Königspalast, überzeugen auch die Charaktere. Die Protagonistin Fatma, die wortwörtlich die Hosen (und Krawatten) an hat, lässt sich trotz vieler Widrigkeiten nicht davon abhalten, den Fanatiker zu verfolgen. Einen ebenso starken Eindruck hinterlässt Siti, welche bereits in der Novelle „Der Spuk in Luftbahnwagen 015“ vorgestellt wurde und weiterhin mehr als nur eine Freundin von Fatma ist – und die wie von Geisterhand immer dort auftaucht, wo Fatma ihre Hilfe benötigt …

Aller guten Dinge jedoch sind drei. In „Meister der Dschinn“ folgt auf Fatma und Siti nämlich noch eine dritte starke Frauenfigur. Hadia, eine junge aufstrebende Agentin, hat es zu Beginn nicht leicht mir ihrer „Lehrerin“ Fatma. Doch weiß sie Fatma mit ihrem Wissen, ihrem Geschick und ihrem Kampf für Gleichberechtigung zu überzeugen. So wird dieser Fantasy-Roman in gewisser Weise aus der Perspektive von drei Frauen erzählt. Der Antagonist, der im Verlauf des Romans auch als „Hochstapler“ bezeichnet wird, scheint den Dreien dennoch immer einen Schritt voraus zu sein. Selbst als Fatma ihn in einem Rededuell vor Bewohnerinnen und Bewohnern von Kairo öffentlich bloßstellen möchte, weiß sich dieser zu behelfen und dreht den Spieß um. Wer wird am Ende triumphieren? Nun könnte man denken, dass die 28 Kapitel auf insgesamt 567 Seiten für ein „Katz-und-Maus-Spiel“ zu lang sein könnten. Das ist aber glücklicherweise nicht der Fall.

Das liegt mitunter auch daran, dass hinter dem Autorenpseudonym P. Djèlí Clark der amerikanische Historiker Dexter Gabriel steckt. Er vermengt in dem Roman nicht nur Fantasy mit Steampunk-Motiven, sondern lässt gesellschaftliche Themen und Gefahren einfließen. Die offensichtlichste Gefahr, die angesprochen wird, liegt in der Figur des Fanatikers, welcher hinter einer goldenen Maske versteckt das Volk von Kairo verführt und mit seiner Illusionskunst an Einfluss gewinnt. Wie nur lässt sich diesem Lügner das Handwerk legen? Ein weiteres Thema, welches in abgewandelter Form behandelt wird, ist die des Geschlechts und der Identität. Denn die Dschinns in Kairo können jede Gestalt annehmen, und damit ihr Geschlecht wechseln. Auch wenn sich Fatma die Frage stellt, wie sie sich fortpflanzen, bleibt die Antwort ein Geheimnis. Als dann Siti eine Verwandlung durchlebt, bekommt die Liebesbeziehung der beiden einen ganz neuen Twist.

Die Männer nehmen in „Meister der Dschinn“ – bis auf den Fanatiker – eine untergeordnete Rolle ein oder werden nicht so dargestellt, wie man es aus klassischen (Fantasy-)Werken kennt. Beispielsweise taucht in regelmäßigen Abständen Ahmad auf, der Fatma mit Informationen versorgt. Mit jedem Auftreten nähert sich sein Körper dem eines Krokodils an. Er selbst hält sich für den Gott des Sobek-Kults, weswegen er Veränderungen an sich vornimmt (oder vornehmen lässt), um zu einem Krokodilmenschen zu werden. Ein weiteres Mal nimmt sich der Autor damit der Debatten um die eigene Identität an. Was anfangs unterschwellig zu lesen war, wird im Laufe des Romans immer offensichtlicher, was ein spannendes Unterfangen in einem Fantasy-Roman ist. Hinzu kommen fiktive Szenen und Andeutungen zur Kolonialpolitik, bei der sogar Kaiser Wilhelm II. auftaucht und der Autor seine Geschichtskenntnisse in ein alternatives Universum gegossen hat.

Wer die Novelle „Der Spuk in Luftbahnwagen 015“ gelesen hat, für den kommt dieser Roman gerade richtig. Es wird fortgesetzt, was die Novelle begonnen hat. Im Vergleich zu „Der Spuk in Luftbahnwagen 015“ erhaltet ihr bei „Meister der Dschinn“ zudem ein deutlich besseres Preis-Leistungs-Verhältnis (567 Seiten für 18,00 Euro statt 176 Seiten für 14,00 Euro). Interessanterweise wird hier die fiktive Stadt Kairo beinahe zur Kulisse für die Entfaltung der Innenwelt der einzelnen Charaktere. In einem Youtube-Interview hat der Autor auch betont, dass er in seinen Roman neben der Fantasy bewusst Themen eingebracht hat, die ihn interessieren und die ihm wichtig sind. Wer keinen starken weiblichen Figuren und Identitätsfragen folgen will, der sollte einen Bogen um diesen Roman machen. Für alle anderen ist er erfrischend.

Leseprobe

Fazit: „Meister der Dschinn“ ist ein Fantasy-Roman, der auf den ersten Blick eine Steampunk-Kriminalgeschichte über einen Fanatiker erzählt. Das fiktive Kairo des Jahres 1912 ist allerdings um Längen moderner und tiefsinniger als man es gedacht hätte. Das liegt zum einen an der starken Protagonistin und den (weiblichen) Nebenfiguren. Zum anderen liegt das an der innigen Beziehung von Fatma und Siti, die die Leserinnen und Leser in ganz verschiedenen Facetten miterleben dürfen. Dieses Werk ist divers, mehrdeutig und bricht bewusst mit klassischer Fantasy.  

Meister der Dschinn
Fantasy-Roman
P. Djèlí Clark
Cross Cult 2023
ISBN: 978-3-98666-334-6
567 S., Paperback, deutsch
Preis: 18,00 EUR

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