Lovecraft

Der 2018 auf Deutsch veröffentlichte Horror-Comic mit Kurzgeschichten aus dem Lovecraft-Universum des „Cthulhu Mythos“ ist künstlerisch so anspruchsvoll, dass schon allein deshalb alle Liebhaber von Geschichten von H. P. Lovecraft (1890-1937) und alle Fans von Horror-Comics diesen näher in Augenschein nehmen sollten!

von Markus Kolbeck

Der Comic-Band ist als großformatiges Hardcover im avant-verlag erschienen und umfasst 126 Seiten komplett in Schwarz-Weiß. Der Zeichner heißt Alberto Breccia (und stammt aus Uruguay); dieser hat die neun Geschichten zwischen 1973 und 1979 veröffentlicht, also vor über 40 Jahren. Die Geschichten sind trotz des hohen Alters der Originalgeschichten und der Veröffentlichung als Comic durch Breccia immer noch sehr ansprechend, atmen aber den Zeitgeist des vergangenen Jahrhunderts. Der Zeichner wurde 1992 mit dem "Max und Moritz-Preis" ausgezeichnet. Die Texte wurden von Norberto Buscaglia adaptiert, mit Ausnahme von „Das Fest“. Der Band lässt sich in rund fünf Stunden (!) durchlesen, gibt es doch eine ganze Menge Text.

Howard Phillips Lovecraft ist ein US-amerikanischer Autor unheimlich-phantastischer Geschichten. Er blieb Zeit seines Lebens weitgehend unbekannt, hat aber heute Kultstatus erreicht! Die Kurzgeschichten sind seinem von ihm erfundenen „Cthulhu-Mythos“ entnommen; dieser hat seine Bedeutung durch den Namen eines der Wesen aus seinem Geschichten, des gottgleichen Cthulhu.

Inhalt

Folgende Kurzgeschichten in Bilderform sind enthalten (in Klammern das jeweilige Jahr der Fertigstellung durch Lovecraft):

1. „Das Fest“ (1923)
2. „Das Ding auf der Schwelle“ (1923)
3. „Der Schatten über Innsmouth“ (1931)
4. „Die Stadt ohne Namen“ (1921)
5. „Das Grauen von Dunwich“ (1928)
6. „Cthulhus Ruf“ (1926)
7. „Die Farbe aus dem All“ (1927)
8. „Der leuchtende Trapezoeder“ (1936)
9. „Der Flüsterer im Dunkeln“ (1930)

Eine Inhaltsangabe für alle neun Bildgeschichten anzugeben, wäre mühevoll. Daher sei nur ein Beispiel genannt (Achtung: Spoiler): „Das Ding auf der Schwelle“. Die Geschichte wird von dem Architekten Dan Upton geschildert, dessen Freund Edward P. Derby aus gutem Haus eine Frau namens Asenath Waite ehelichte. Von da an gehen seltsame Dinge mit Derby vor sich. Er ist manchmal nicht er selbst und hat zunehmend Befürchtungen seiner Frau gegenüber. Nach längerer Zeit erfährt Upton von Derby, was vorgefallen war. Asenaths Vater Ephraim Waite hat einst von ihr geistig Besitz ergriffen, um sein eigenes Leben zu verlängern. Dies geschah in Form eines Austauschs des Bewusstseins durch schwarze Magie! Asenath – ihrerseits nun im altersschwachen Körper von Ephraim – wurde von ihm getötet. Jetzt gelüstet es den Schwarzmagier, den Körper eines Mannes in Besitz zu nehmen, und er vollzieht immer häufiger den Tausch des Bewusstseins zwischen „Asenath“ und Derby. Wird ihm dies dauerhaft gelingen?

Kritik

Die Geschichte gehört sicherlich zu den besseren von Lovecraft und seine Adaption ist auch gelungen. Wie bei den anderen Geschichten auch, gibt es hier reichlich Sprech- und Gedankentexte, die ein Einsteigen in das Werk von Lovecraft / Breccia leichter machen. Die schier ausweglose Situation von Derby wird eingehend und deutlich beschrieben, der Wahnsinn nimmt seinen verheerenden Lauf. Wie viele von Lovecrafts Geschichten befasst sich auch diese mit Tod, Wahnsinn, Furcht, Ekel und seelischen Abgründen. Dies wiederzugeben, ist den beiden Urhebern des Bandes hier gut gelungen.

Allgemein lässt sich zu dem Horror-Comic schreiben, dass auch ein Einstieg für Nicht-Lovecraft-Kenner aufgrund der reichlichen Texte leicht möglich ist. Ganz stark hervorzuheben ist, dass Breccia einen sehr interessanten, experimentellen Stil in seinen Illustrationen verfolgt hat, die seine Generation an Zeichnern nachhaltig beeinflusst hat. Gestalthafte und gestaltlose Andeutungen ergeben eine Welt von Formen, Schatten und Phantomen anhand von Zeichnungen und Collagen und stellen ein künstlerisch anspruchsvolles und ansprechendes Werk dar! Manche der Illustrationen ähneln Rohrschach-Tintenklecksen und lassen viel Raum für eigene Ängste und Phantasien. Nicht jeder Schrecken wird vollständig ausgemalt, sondern es bleibt praktisch immer viel Spielraum für eigne Interpretationen, wobei man durch die Texte immer gut im Bilde ist, was vor sich geht. Es gibt aber auch viele gegenständliche Zeichnungen, sodass Monotonie vermieden wird.  Die Adaption ist rundherum gut gelungen, auch die durchgehenden Schwarz-Weiß-Zeichnungen tun dem keinen Abbruch – im Gegenteil! Atmosphäre und die düstere Stimmung der Bilder und Texte sind intensiv. Man kann sich allerdings fragen, ob neun Kurzgeschichten für einen 126-seitigen Band nicht etwas viel sind. Aber auch hier kann ich Entwarnung geben: Auch wenn die Geschichten etwas komprimiert sind, kommen doch alle gut zur Geltung.

Fazit: Der Horror-Comic „Lovecraft“ ist sicherlich eine der besten Adaptionen eines Ausschnitts von H. P. Lovecrafts unheimlich-phantastischen Werken in Bilderform! Handwerklich experimentell, aber vorzüglich in künstlerischer  Hinsicht gelungen. Die Atmosphäre der von Lovecraft verfassten Geschichten wird gut eingefangen. Auch die Lesedauer von rund fünf Stunden ist hervorragend für einen Comic. Der Kaufpreis ist nicht ganz niedrig, ist aber einem Comic-Band dieser Aufmachung, dieser Qualität und dieses Umfangs angemessen. Ich kann den Band allen am Sujet Interessierten empfehlen! Künstlerisch ist das Werk bahnbrechend, und Alberto Breccia hat sich in den 1970ern einen Namen als Zeichner gemacht!

Lovecraft
Comic
Alberto Breccia, Norberto Buscaglia
avant-verlag 2018
ISBN: 978-3-945034-82-8
126 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 29,00

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