von Frank Stein
Samstag, 6:30 Uhr. Zu einer Uhrzeit, zu der ich normalerweise an einem Wochenende niemals auch nur einen Finger rühren würde, quäle ich mich aus den Federn. In einer Stunde muss ich am Bahnhof sein, damit ich pünktlich kurz nach 9 Uhr an der Messe Stuttgart ankomme. Die Fahrt klappt problemlos, obwohl die Bahn ihrem Ruf wieder alle Ehre macht, indem sie selbst auf einer Nahverkehrsstrecke früh morgens an einem Wochenendtag Verspätung einfährt. Zum Glück plane ich stets mit üppigen Umstiegszeiten.
Schließlich sitze ich in der S-Bahn Richtung Messe/Flughafen, die sich mehr und mehr mit Kostümierten füllt, sehr zum Staunen so mancher Mitfahrenden, die mit Rucksack und Koffer bepackt offensichtlich „nur“ in den Urlaub wollen. „Was ist denn hier los?“, fragt der Mann, der mir gegenüber sitzt, seine Frau. „Es ist ComicCon“, erkläre ich hilfsbereit. „Asterix und so?“, fragt er, der eher zur Elterngeneration der meisten Verkleideten gehört. „Eher Mangas, Star Wars und Superhelden“, erläutere ich. „Das klingt ja spannend“, meint er. „Da müssen wir auch mal hin.“ Seine Frau nickt altersmilde. (Fun fact: Ich werde später eine große Asterix-Statue in Halle 8 entdecken, ebenso wie die Werbung für einen neuen „Asterix“-Band, „Die weiße Iris“, das 40. Abenteuer der unbeugsamen Gallier. Manche Klassiker sterben tatsächlich nie aus.)
Kaum zu den Flughafen-Drehtüren heraus, begrüßen mich schon Darth Vader und Boba Fett, die vor einem Hoteleingang auf ihre verspätete Sturmtruppen-Eskorte warten. Vor den Messehallen selbst tummeln sich bereits Unmengen an Leute, trotz der leidlich frühen Stunde. Ein letztes Mal wird Make-Up geprüft, Kostüme werden zurechtgezupft, Tickets gezückt. Dann stürzt sich die Menge ins Innere. Ich folge ihr, nur um sie an der Kasse gleich zu überholen, denn für Aussteller und die Presse gibt es einen Seiteneingang. Sehr angenehm.
Unter Nerds, Geeks und Cosplayern
Es ist jetzt vielleicht 9:20 Uhr, die Messe hat gerade mal seit 20 Minuten offen. Trotzdem drängt es sich in den Eingangsbereichen bereits so dicht und bunt wie in der Stuttgarter Fußgängerzone zum Sommerschlussverkauf. Satte 48.000 Besucher sollen es im Laufe des Wochenendes werden (laut Abschluss-Pressemeldung der Veranstalter). Erste Händler stehen im Gang, und Buden preisen ihre themenbezogenen Gerichte an. Ein Typ, der aussieht, wie der Master Sergeant aus dem Videospiel „HALO“ verteilt Energy Drinks. Ein hochgewachsener Wookiee passiert mich, gefolgt von zwei Space Marines, die ihn tatsächlich noch wie einen Zwerg aussehen lassen. Ich bedaure schon jetzt, nur mein Handy und nicht meinen Fotoapparat mitgenommen zu haben.
Ein Blick auf den Hallenplan zeigt: Im Jahr 2023 ist einiges anders auf der ComicCon. War die Con bislang auf die große Halle 1 beschränkt, teilweise mit Anhängsel in Halle 3, ist sie diesmal dreigeteilt: Halle 4, 6 und 8 bieten in merklichen Themenblöcken Unterhaltung der unterschiedlichsten Art an. Besonders attraktiv ist das Programm direkt in Halle 4. Im Eingangsbereich tummeln sich die unvermeidlichen Händler, die Mangas und Merchandise feilbieten. Überhaupt darf man sich hier keinen Illusionen hingeben: Bei aller gebotenen Unterhaltung ist so eine ComicCon zu großen Teilen schlichtweg eine Verkaufsmesse für Nerd-Stuff. In dieser gewaltigen Ballung findet man ihn zugegeben in keiner Innenstadt Deutschlands, ja selbst im Internet müsste man lange suchen, aber wer nicht zum Stöbern und Geldausgeben kommt, der kann etwa drei Viertel aller Stände getrost ignorieren. Mein Blick richtet sich daher gleich nach links, denn dort präsentieren sich die Ghostbusters Deutschland mit einem coolen Themenstand und perfekten Kostümen wie auch einem schicken ECTO-1-Modell.
Dahinter folgt ein weiteres Novum 2023, die Gaming Zone. Videospieler können hier an zahlreichen Stationen zocken, außerdem gibt es eine Bühne, auf der unter anderem 30 Jahre „Doom“ gefeiert wird, ansonsten aber vor allem Trailer laufen. Der nächste Block der Halle ist den Stars gewidmet. Hier kann, wer will und Geld dafür locker macht, Autogramme von und Fotos mit Menschen wie Vincent Regan („One Piece“), James & Oliver Phelps („Harry Potter“), G. W. Bailey („Police Academy“) oder Harry Lloyd („Game of Thrones“) erhalten. Besondere Attraktion ist sicher der „Ehrenschotte“ Christopher Lambert („Highlander“), „Imperator“ Ian McDiarmid („Star Wars“) musste leider kurzfristig absagen, zur Enttäuschung zahlreicher Fans. Mich haben schon immer die Figuren in den Filmen mehr interessiert als die Schauspieler dahinter, darum führt mich auch hier mein Weg rasch vorbei. Aus den Augenwinkeln habe ich immer hin die Phelps gesehen. Die Weasley-Zwillinge sind ganz schön erwachsen geworden.
Endlich erreiche ich die für mich zentrale Attraktion: die „Galactic Cantina“, ein weiteres Novum, ein von Robert Eiba (der Chefredakteur des „Offiziellen Star Wars Magazins“) organisierter Bereich, der ganz „Star Wars“ gewidmet ist. Im Schatten eines gewaltigen Modell-TIE-Jägers sammeln sich hier Fangruppen und Händler, um alle Aspekte der Saga zu feiern. Imperiale, Rebellen und Mandalorianer stehen hier Seite an Seite, in Vitrinen glänzen Lichtschwerter, auf Präsentationsständern glühen Modellraumschiffe. Fotopoints laden zum Posieren mit Darth Vader oder Obi-Wan Kenobi ein, und wer ein leichtes Hungergefühl verspürt, findet an der Blue Harvest Bar und im Twin Suns Diner direkt unterhalb der Force Stage Linderung.
Als Ringbote zieht es mich natürlich vor allem zum Stand von Asmodee, wo unter einem breiten Werbebanner an 8 Tischen das für März 2024 angekündigte Sammelkartenspiel „Star Wars Unlimited“ vorab getestet werden kann. Diese Chance will ich mir nicht entgehen lassen, und so stürze ich mich direkt in ein (angeleitetes) Duell mit einem jungen Gegenspieler, der wie ich ohne Spielpartner am Stand aufgetaucht war. Zum Spiel selbst gibt es noch einen gesonderten Preview-Bericht. An dieser Stelle sei nur gesagt, dass ich bei der Partie großen Spaß hatte, wobei mir vor allem die Verzahnung von Karteneffekten gut gefiel. Wäre das Ding doch bloß kein „Sammel“-Kartenspiel …
Halle 6 überblicke ich nur kursorisch. Mangas, Cosplay, eine Queer Avenue und ein FSK18-Bereich mit erotischer Kunst und Blu-Ray-Angeboten für Erwachsene sind hier beheimatet. Bis in die letzte Ecke habe ich es gar nicht geschafft, wodurch mir, wie ich erst im Nachhinein bemerke, die Modellbauausstellung der Space Days entgangen sein muss. Die hätte man, gerade weil gewiss auch interessant für Kinder und ein Blickfang, durchaus etwas weiter vorn in der Halle platzieren können.
In Halle 8 steht dann das Präsentieren und Verkaufen ganz im Vordergrund. Hier reiht sich Stand an Stand, Händler und Künstler Seite an Seite. Panini ist eingangsnah mit einem großen Comic-Stand vertreten, an der Wand gegenüber hat Hugendubel eine Messebuchhandlung mit Phantastik satt aufgebaut. Im hinteren Teil der Halle geht es, unter der Schirmherrschaft von Topps, ganz um Sammelkarten (also nicht die zum Spielen, sondern nur die zum Anschauen). Als Ringbote freue ich mich besonders über die leider etwas unterbesuchte Präsenz der MechForce Germany, dem größten deutschen Tabletop-Verein mit dem Schwerpunkt „BattleTech“. Hier kann man nicht nur zahlreiche bemalte Mechs in Vitrinen bestaunen, sondern sich auch an mehreren Tischen klassisches Hex-Feld-„BattleTech“ oder die TableTop-Variante „Alpha Strike“ erklären lassen. Eine Partie „Alpha Strike“ hätte ich mir sehr gern gegönnt, leider reicht dafür meine Zeit nicht mehr.
Das mit der Zeit ist für mich übrigens mal wieder eine wichtige Erkenntnis: Man kann wirklich problemlos nicht nur einen, sondern auch zwei Tage auf der ComicCon Stuttgart verbringen, vor allem, wenn man nicht nur flaniert, sondern sich auch Panels anschaut und auf Unterhaltungsangebote wie die Gaming Zone und Offline-Spiele einlässt. Nächstes Jahr werde ich entsprechend besser planen.
Gedanken im Nachgang
Grundsätzlich fand ich die Neuerungen der ComicCon Stuttgart 2023 sehr gut. Die Aufteilung in Hallen hat etwas die Besucherströme entzerrt und verstreut. Dank großzügig bemessener Gänge blieb man auch nicht mehr so elend stecken, wie es in manchen Jahren zuvor in Halle 1 der Fall gewesen war. Die Gaming Zone war ein tolles Unterhaltungsangebot, die Galactic Cantina ein Fest für „Star Wars“-Fans. (Schade übrigens, dass „Star Trek“ in Deutschland offenbar so wenig Fans hat, dass es nicht mal zu einem Stand wie dem der Ghostbusters oder der Police-Academy-Truppe gereicht hat. Ja, ich weiß, es gibt die jährliche „FedCon“ in Bonn, ein wahres Mekka für Trekkies. Aber warum ist „Star Wars“ auf wirklich jeder Veranstaltung präsent, während man „Star Trek“ mit der Lupe suchen muss? Ein paar Kostümierte, ein Captain’s-Chair-Fotopoint und ein paar Memorabilia müssten doch drin sein …)
Vermisst habe ich vor allem zwei Aspekte. Die LEGO-Bauer, die früher immer die Galerie von Halle 1 beherrscht hatten, waren nicht mehr vor Ort. Sehr schade, denn deren Modelle waren immer echte Hingucker, nicht nur für junge Besucher. Und die fantastische Literatur – also alle Lesungen und Kleinverlage – fehlte ebenfalls völlig, ein echter Mangel, denn wo sonst, wenn nicht auf solchen Messen, bekommt man die Gelegenheit, außergewöhnliche Buchfunde in den Angeboten der Kleinverlage zu machen und mit Machern der Szene ins Gespräch zu kommen. Eine Hugendubel-Messebuchhandlung ist da kein Ausgleich. Wenn ich zu Hugendubel will, gehe ich in die Stadt. Dafür muss ich kein Con-Ticket kaufen. Zumal dort halt auch vor allem die Standard-Phantastik verkauft wird, die man auch sonst in jeder großen Buchhandelsfiliale kaufen kann. Aber es gibt ja noch weitere Hallen in der Messe Stuttgart. Vielleicht ist 2024 ja wieder Platz für eine LEGO-Show und die literarische Phantastik (inklusive eigener Lesebühne).
Die nächste ComicCon Stuttgart wird am Wochenende, 30. November und 1. Dezember 2024, in der Messe Stuttgart stattfinden.