Datapuls ADL

Die Allianz Deutscher Länder. Gar nicht mehr so neuer Nachfolger der Bundesrepublik, die ihrerseits so einigen Staatsgebilden nachfolgte. Was bedeutet es im Jahr 2078, in diesem Gebiet zu leben? Wie definiert sich „deutsch sein“ in dieser Zeit? Gibt es überhaupt eine klare Antwort darauf oder kann man einfach akzeptieren, dass jeder, der die SIN eines deutschprachigen Landes sendet, nunmal dazugehört – und ebenso die SINlose Unterschicht?

von Adaon

Von den menschenleeren, durch die schwarze Flut vergifteten Weiten Norddeutschlands bis zur Touristenidylle des bayrischen Allgäu, von den erwachten Wäldern in der Trollrepublik Schwarzwald zum anarchistischen Freistaat Berlin, vom konservativen Kirchenstaat Westphalen zu den Konzernhochburgen in Frankfurt und im Rhein-Ruhr-Megaplex: Man spricht zwar Deutsch, doch alles andere ist anders. Wer sich sicher durch die Schatten bewegen und dabei genug verdienen will, muss wissen, welches Vorgehen in welchem Landesteil angebracht ist, wem man besser nicht auf die Füße tritt und wo man bei Bedarf kurzfristig Ausrüstung findet.

Wie auch in den anderen Regel- und Quellenbüchern bietet „Datapuls ADL“ zur Einleitung eine Kurzgeschichte, allerdings nicht wie gewohnt anschließend für jeden Abschnitt eine. Stattdessen wird jedes Kapitel mit einem „Datenpuls“ begonnen, einer Doppelseite von Matrixnachrichten, die sich auf die kommenden Informationen des Kapitels beziehen. Diese lauten im Einzelnen:

Leben in der ADL. Hiermit beginnt das Buch und führt erst einmal in die Stimmung der Allianz Deutscher Länder ein. Da sich nicht nur der deutsche Runner, sondern auch der Import aus den UCAS und anderswo sich zurechtfinden soll, gibt es eine Zeitleiste, einen Überblick über die Transportwege nach und durch die ADL, den Lebensstil der Bewohner und wo sie ihr Essen kaufen, die politische Landschaft, wie sich die ADL den Touristen präsentiert und wo sich diese besser nicht herumtreiben sollten, und wie sich Recht und Gesetz durchsetzen (oder umgehen) lassen. Dazu kommt ein Überblick über die großen Verbrechensorganisationen und deren Verteilung, sowie ein (grober) Überblick über die wichtigeren Konzernansiedlungen und -interessen in der ADL.

Matrix und Magie. Wie der Name schon sagt, erfährt der geneigte Leser einiges über die lokalen Gitter und Matrixanbieter in der ADL, bekannte Phänomene und merkwürdige Begegnungen in den Tiefen der Matrix. Im Bereich der Magie wird über magische Orte geschrieben, an denen es interessante Entdeckungen geben könnte- oder von denen man sich besser fernhält. Und zwar weit fernhält.

Flickenland. (Fast) Alles, was nicht seinen eigenen Abschnitt bekommt, wird hier überflogen – Groß-Frankfurt, München, Stuttgart und andere Städte werden angesprochen, bevor es auf das flache Land geht. Württemberg, Bayern, Norddeutschland – trotz Landflucht lebt hier manchmal noch jemand in den kleineren Städten. In den freien Flächen, in leerstehenden Dörfern, verbunden durch ein langsam verfallendes Straßennetz, und in den dunklen, deutschen Urwäldern lebt zwar auch so einiges, allerdings möchte man das nicht unbedingt als Nachbar haben. Und das Sonderrechtsgebiet Saar-Lor-Lux, die „SOX“, seit 70 Jahren verstrahlte Zone, macht auch so einigen Ärger. Ruhiger ist es da noch im Elfen-Fürstentum Pomorya an der Ostsee und im Kirchenstaat Westphalen.

Hamburg. Willkommen an der Elbe, und seit der schwarzen Flut 2011 auch direkt an der Nordsee! Beziehungsweise in der Nordsee. Die Innenstadt steht im stinkenden Wasser, ein Großteil der Infrastruktur wurde an die neuen Gegebenheiten angepasst. Die vorhandene Wirtschaft zum Beispiel freut sich über die Möglichkeit, Abfall einfach treiben zu lassen. Doch toxische Geister in der Nordsee hin oder her, das Leben rund um den Frachthafen läuft weiter, und nahezu jede kriminelle Vereinigung des Kontinents gibt sich hier ein Stelldichein, um Waren zu liefern oder abzugreifen.

Berlin. Der ehemalige Anarchistische Freistaat, nach dem Angriff der Konzerne aufgeteilt in Konzern-Westen und anarchistischem Osten und seit 2072 durch die Berliner Einigung offiziell wieder eine „Ganze Stadt“, die in 21 offiziell gleichberechtige Bezirke aufgeteilt ist, manche konzernnah, manche noch variierend alternativ. Die Lage ändert sich nur langsam, Konzerne, Alternative und alles dazwischen sind weiterhin verbarrikadiert, bewaffnet und misstrauisch. Arkologien und Ganggebiete liegen nebeneinander. Und warum hält irgendjemand – oder irgendetwas – die alte Kabelmatrix in Berlin am laufen?

Rein-Ruhr-Megaplex. Mit dem Sitz eines Großen Drachen in der Arkologie Neu-Essen ist es hier nicht getan. Mit der höchsten Bevölkerungsdichte der ADL auf einer riesigen Fläche hat man hier auch die meisten Vereine, die meisten Fußball- und Stadtkriegspiele, die stärkste Szene von Autoschraubern und, seit der Entlassungswelle von Saeder-Krupp, einen schwelenden Aufstand durch zehntausende Arbeitslose. Dazu kommen eine vorangekündigte Energieknappheit, Engpässe in der Nahrungsversorgung und eine Teufelsrattenplage, die immer schlimmer wird. Runner können sich hier auch in der mehrfach überbauten Stadt Wuppertal und in den alten Bergwerken wortwörtlich tief eingraben. Allerdings werden sie dort nicht allein sein.

Weiter geht es dann wieder mit einer Kurzgeschichte, und im Abschnitt „Gefahren aus den Schatten“, um ein paar häßliche und / oder heiße Gerüchte darüber, was sich gerade besonderes tut. Das kann besonders gefährlich oder besonders interessant sein – in jedem Fall besonders interessant für einige Parteien. Der letzte Abschnitt „Für den Spielleiter“ schließlich bietet sechs ausgearbeitete Lokalitäten einschließlich Motivationen und Beschreibungen der NSC vor Ort, was dazu führt, dass hier sechs praktisch schon vorbereitete Kurzabenteuer mitgeliefert werden. Mit wenig Improvisation des Spielleiters kann man so direkt in verschiedenen Gegenden der ADL mit einem Run loslegen. Es geht dabei oft nicht um das „Große Geld“, die Runner sollten als Motivation hier also bereits vor Ort sein, statt von weiter weg anzureisen. Dafür gibt es viel Abwechslung.

Tatsächlich ist dies der wohl auffälligste „rote Faden“, der sich durch „Datapuls ADL“ zieht: Ständig werden Möglichkeiten und Anknüpfpunkte für eine Kampagne oder einzelne Abenteuer geboten. Ein wenig Vorbereitung des Spielleiters, ein wenig Freude am Improvisieren, und sehr viele Runs schreiben sich praktisch von alleine. Zwar mag es ein wenig an Details fehlen (auch wenn im hinteren Teil des Buches eine Sammlung fertiger NSC nur auf den Einsatz wartet), doch definitiv nicht an Vielseitigkeit. Allerdings sollten die Runner dabei passenderweise direkt aus Europa, und zumindest zum Teil dem deutschprachigen Raum kommen.

Was dieses Buch nicht ist, ist ein tiefer Einblick in die ADL im Ganzen. Das versucht es aber auch nicht zu sein, und weist darauf auch in der Einleitung bereits genau hin – ebenso wie auf zahlreiche Quellenbücher aus vergangenen Editionen, die sich ausführlicher mit Hamburg, Berlin und dem Rhein-Ruhr-Megaplex befassen. Doch auch so findet der Spielleiter hier mehr als genug Futter für langfristige Runden auf deutschem Boden.

Fazit: Die ADL sind immer noch ein heterogener Haufen, und die neuesten Entwicklungen haben daran nichts geändert. Tatsächlich ist der neue Abstand zwischen Politik und Konzernen ein weiterer Faktor, dessen sich Runner auf deutschem Boden bewußt sein müssen. Wer die Infos hat, kann den Auftrag ausführen – und wer den Auftrag ausführt, bleibt in den Schatten am Leben. Also holt euch die Daten, wenn der Auftrag in die ADL führt!

Datapuls ADL
Quellenbuch
Lars Blumenstein, R. J. Thomas, Malik Toms, Michael Wich, u.a.
Pegasus Spiele 2016
ISBN: 978-3-95789-054-2
176 S., Hardcover, Deutsch
Preis: EUR 19,95

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