Datapuls Hamburg – Limitierte Edition

Die Tiefen der verseuchten Nordsee begrenzen Hamburg auf der einen Seite, der Norddeutsche Bund auf der anderen. Wieder aufgebaut, aber immer noch teilweise unter Wasser nach der schwarzen Flut, versucht die Stadt trotz des Drucks von Konzernen und ADL ein eigenes Süppchen zu kochen. Doch ob am Ende eine freie Stadt oder eine Zwangseingemeindung in den Norddeutschen Bund stehen wird, kann noch niemand sagen ...

von Adaon

Nach der großen Box „Seattle“, die die weltweite Runner-Hauptstadt ausführlich und mit sehr gutem Kartenmaterial vorstellte, ist „Datapuls Hamburg“ die lokale Antwort für den deutschsprachigen Schattenläufer. Und diese kann sich sehen lassen: Der limitierte Band (3.000 Exemplare) liegt mit seinem festen, gepolsterten Einband gut in der Hand. Auf 208 Seiten (mehr als alle Texte aus der „Seattle-Box“ zusammengenommen, und auch seitenstärker als der ganze Band „Datapuls: ADL“) geht es hier nur um Hamburg. Mitgeliefert wird eine großformatige Karte zum Ausbreiten am Spieltisch, die Stadt und Umland zeigt, und auf der Rückseite gibt es eine Nahansicht zweier Hamburger Gebiete: Wildost und Neue Mitte. Um das Ergänzungsbox-Gefühl abzurunden, gibt es mit dem zusätzlich kaufbaren „Hamburg Zusatzpack“ noch Charakter- und Übersichtskarten und einen Reiseführer für Neuankömmlinge in Hamburg. Dieser ist allerdings nicht unbedingt notwendig.

Der Preis des Buches wirkt ungewohnt: knapp 30,- Euro statt der üblichen 20,- Euro, also 10,- Euro mehr. Für eine so gelungene Aufmachung des Buches, die limitierte Auflage sowie die großformatige Karte im Buch ist der Preis allerdings immer noch sehr günstig, und mehr als angemessen.

Man merkt beim Lesen, dass dieser Quellenband innerhalb der deutschen Rollenspielszene entstanden ist und nicht übersetzt wurde. Und das nicht nur an den Namen der kommentierenden Shadowrunner, sondern allgemein am Schreibstil und anderen Eigenheiten. Hier wurde ein massives Projekt mit viel Engagement umgesetzt. Allgemein wirkt das Buch „runder“ als viele andere Veröffentlichungen, was jedoch auch an der übergreifend gleichbleibenden Thematik „Hamburg“ liegen mag.

In neun Kapiteln erfährt der geneigte Leser also mehr über das toxische Venedig des Nordens. Im ersten, „Hamburg im Weitwinkel“, geht es zunächst um die Übersicht: Wie kam es zum heutigen Zustand der Stadt, wie kommt metamensch nach Hamburg, welche Kleidung ist unauffällig (und wasserfest) und welches Essen ist genießbar? Auch Hinweise zu Festivals, Kulturereignissen, Sport und anderen Unterhaltungsmöglichkeiten finden sich hier.

Danach wird es im „Stadtrundgang“ deutlich lokaler. Die Bezirke Neue Mitte, Altona, Eimsbüttel, Nord, Stade, Harburg, Bergedorf, Lauenburg, Stormarn, Wandsbek, Kaltenkirchen und Pinneberg werden jeweils auf einigen Seiten erläutert. Wichtige und – für Runner – interessante Orte, Besonderheiten und Persönlichkeiten werden vorgestellt. Auch das Hamburger Umland wird erwähnt. Von Itzehoe bis Lübeck, von Lüneburg bis Munster finden sich weitere Reiseziele in der Nähe, die für Runner aus verschiedensten Gründen interessant werden könnten.

Zurück in der Hansestadt geht es nun zu den „Hamburger Hotspots“. Da gibt es den erwachten Sachsenwald, der Touristen und magische Gruppierungen anzieht. Die öffentlichen (und nicht so öffentlichen) Lokale auf der Reeperbahn bieten alles was man(n) sich vorstellen kann und mehr, aber beschäftigen nicht nur freiwilliges Personal. Das exterritoriale Gebiet der Sardinenstadt, in der sich die Konzerne gegenseitig auf die Füße treten und eine Extraktion ein Gebäude weiter beendet sein kann. Den Hafen, der neben dem Touristenbereich, den Werften und der Sea-Gate-Arkologie auch den zweitgrößten Container-Umschlagsplatz Europas beinhaltet. Das Gefängnis Hamburg-Wilhelmsburg, genannt „Big Willi“ und erbaut auf dem untergegangenen Stadtviertel, massiv überbelegt und nach einer Revolte von den Gefangenen selbst verwaltet – schließlich reicht es ja, wenn diese die Insel nicht verlassen können, also wozu Wärter gefährden? Das in den 2050er-Jahren begonnene und rasch wieder ignorierte Bauprojekt „Wolkenstadt“, das von Horizon übernommen, unter dem Namen „Ultimum“ vollendet wurde und in über 50 Metern Höhe Platz für mehr als 3.500 Metamenschen bietet. Den Ohlsdorfer Friedhof, größter Parkfriedhof der Welt und bewohnt von so vielen Ghulen, dass die Stadtregierung mit ihnen einen Waffenstillstand vereinbaren musste. Und natürlich das Wasser: Handelsrouten, Förderplattformen, die Arkoblocks von Proteus und ihr Konzern-Hauptquartier Helgoland sorgen für eine starke Konzern-Präsenz in der küstennahen Nordsee, und trotz – oder wegen – der giftigen Umgebung gibt es hohe Chance an möglichen Begegnungen mit (meist toxischen) Crittern und Giftgeistern.

Um nach all dem Überblick nun wieder genauer einen Ort nahe Hamburg zu betrachten, widmet sich das nächste Kapitel dem „Reiseziel: Wildost“. Dieser Stadtteil, der nie geplant war, entstand aus den Flüchtlingen der Eurokriege, die sich in den Müllkippen des südlichen Elbufers festsetzten, nachdem sie nirgends sonst mehr hin konnten. Durch die mittlerweile jahrzehntelange Abgrenzung durch die Stadt und die Bürger Hamburgs isoliert und misstrauisch, durch das Ablagern und Anschwemmen von immer mehr schwimmendem Müll räumlich gewachsen und durch die verzweifelten und Heimatlosen bevölkert, entwickelte sich Wildost zum größten Slum Deutschlands. Die Polizeikräfte wagen sich nicht hinein, und die Bewohner sind in Hamburg sehr ungern gesehen, wenn sie auf der Suche nach Brauchbarem jeden Mülleimer der reicheren Hamburger Stadtteile durchsuchen. Schmuggler und Piraten nutzen den Slum als Versteck und Rekrutierungsbüro. Hier lässt sich vieles finden und fast alles loswerden.

Doch wer verteilt in Hamburg eigentlich die fetten Credsticks, und wem sollte man aus dem Weg gehen? Das Kapitel „Mächte am Fluss“ stellt die örtlichen A- und die Niederlassungen der großen AA- und AAA-Cons vor, sowie einige der aktuellen Vorgänge und Schwerpunkte in den Konzernen, wie den Medienkrieg zwischen Horizon und der Deutschen Medien- und Kommunikations AG DeMeKo. Aus dem örtlichen politischen Umfeld werden Parteien und Politiker vorgestellt, und die örtlichen Sicherheitsfirmen HanSec und HAZMAT werden beleuchtet. Aus dem Unterwelt-Bereich werden das russische Vory-Syndikat, die Schmugglergruppe der Likedeeler, die chinesischen Triaden, die niederländischen Penosen und eine Handvoll Gangs genauer beschrieben, sowie die in Hamburg sehr aktive Öko-Aktivisten und -Terroristenszene (mit fließendem Übergang). Material für Verschwörungstheorien liefern schließlich die Informationen über den „Weg der Reinheit“ und die „Ältermänner“.

Rund um und in der mundanen Welt liegen „Matrix und Magie“. In Hamburg ist das lokale Gitter dreigeteilt: Bürger-, Vergnügungs- und Wirtschaftsbereich sind jeweils an bestimmte Gebiete oder Zeiten aus der Geschichte Hamburgs angepasst. Interessanterweise erhält jeder Bürger Hamburgs im Bürgerbereich einen kleinen Host, der als Privatwohnung in der Matrix dient. Natürlich kann dieser virtuelle Raum gegen reale Währung beliebig aufgewertet werden. Die Magie, beziehungsweise ihre Anwender sind durch die zahlreichen vermischten Kulturen in Hamburg ebenfalls sehr verschiedenartig. Einige der bekannteren Gruppen werden vorgestellt, wie der Mandelzirkel, der Orden der Ewigen Wiederkehr und die Schule der Fünf Chakren. Am meisten verbreitet sind jedoch die hermetische Magie (durch gleich drei Magische Hochschulen) und der Ökoschamanismus. Eine Handvoll magisch aktiver Orte beziehungsweise Orte in der Hand magisch aktiver runden das Kapitel ab.

In den „Hamburger Untiefen“ wird das Arbeitsklima vor Ort für Runner erläutert, und aktuelle Quellen für Aufträge werden beschrieben: Welche Konzerne mögen sich nicht, welche Politiker sollen wie abstimmen, wie entwickelt sich der Konflikt in der Unterwelt? Auch (gefühlt) alle sonstigen wichtigen Informationen für Runner werden geboten: Unterkünfte, Ausrüstung, Waffen, magische Ausrüstung, Schattenkliniken und Gerüchte – wenn es für Runner nützlich und in Hamburg ist, wird es hier erwähnt.

Apropos nützlich: Das kurze Kapitel „Spielzeug für die Waterkant“ liefert ein wenig passende Ausrüstung für die Hansestadt. Angelausrüstung mit eingebautem Elektroschocker, gepanzerte Friesennerze, Wasserdrohnen, ein amphibisches Motorrad oder ein U-Boot – hier kann die Gruppe nochmal einkaufen gehen, ehe im letzten Kapitel – „Für den Spielleiter“ – genau dieser eine ordentliche Ladung Lokalkolorit, Tabellen für passende Begegnungen und Ereignisse (wie im „Datapuls: Berlin“, sehr nützlich!) und gleich zehn ausgearbeitete Orte mit Karte und anwesenden Personen erhält, die als Sofort-Abenteuer oder Versatzstücke eines größeren Runs einsetzbar sind.

Fazit: Wie in den Beschreibungen der Kapitel oben ersichtlich, wird hier mit Informationen nicht gespart. Hamburg im Jahr 2080 wird mit gefühlt jedem NSC, der etwas zu sagen hat, und jedem Ort, der Ziel eines Runs werden könnte, enorm ausführlich vorgestellt. Zusammen mit den Kommentaren der örtlichen Runner, die immer wieder im Text auftauchen, den dadurch immer wieder merkbaren Konflikten in der Unterwelt, den direkten Vorschlägen für Runs samt Kartenmaterial für Handouts am Ende des Buches und der esstischgroßen Karte mit vielen Details ist dieses Buch regelrecht ein Hamburg-Rundum-Sorglos-Paket für den Spielleiter, der seine Gruppe im giftigen Venedig des Nordens lange Zeit auf Trab halten will. Absolute Kaufempfehlung!

Datapuls Hamburg – Limitierte Edition
Quellenbuch
Lars Blumenstein, Torben Föhrder, Tobias Hamelmann,  Melanie Helke, Benjamin Plaga, u.a.
Pegasus Spiele 2018
ISBN: 978-3-95789-222-5
208 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 29,95

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