Die Chronik der Weitseher 1: Die Gabe der Könige

Als Bastard an den Königshof verfrachtet, lebt der nur als „Junge“ bekannte Fitz Chivalric seine Kindheit im Schatten der Mächtigen und ein geduldetes Leben. Als er jedoch vom König in die Pflicht genommen wird, scheint sich sein Leben zum Besseren zu wenden. Denn noch ahnt er nicht einmal, was alles von ihm verlangt werden wird. Die ihm angeborene Gabe ist dabei auch nur ein kleiner Trost, als er sich gegen die Widrigkeiten des Lebens und sein Gewissen stellen muss.

von Lars Jeske

1995 schrieb die Amerikanerin Robin Hobb „Assassin’s Apprentice“ und wurde damit extrem erfolgreich. 1999 war dieser als Auftakt der „Weitseher“-Trilogie unter dem Namen „Der Adept des Assassinen“ auch im deutschsprachigen Raum überaus beliebt. Dass dieses Werk auch nach über 20 Jahren nichts von seinem Reiz verloren hat, kann man nunmehr selber nachlesen. Eine komplett überarbeitete Neuausgabe des ca. 600 Seiten starken Wälzers liegt jetzt unter dem Namen „Die Gabe der Könige“ vor. Inhaltlich blieb selbstverständlich alles beim Alten, jedoch wurden die deutschen Formulierungen etwas aktualisiert und Termini dem Sprachgebrauch angepasst. Hervorzuheben ist hierbei, dass die Originalübersetzerin Eva Bauche-Eppers erneut für dieses Projekt gewonnen werden konnte und die Trilogie überarbeitete.

Der Leser begleitet den Lebensweg von einem Jungen namens Fitz. Im Alter von sechs Jahren wird er als Bastard am Königshof in Bocksburg abgeliefert. Da er unzweifelhaft der uneheliche Sohn vom hoch angesehenen Chivalric mit einem Bauernmädchen ist, wird er kurzerhand dessen ehemaligem „ersten Mann“ Burrich zugeteilt, der sich fortan um den Jungen zu kümmern hat. Aus der Perspektive des Ich-Erzählers erlebt der Leser die Kindheit von und mit Fitz an diesem neuen Ort.

Nach und nach lernt dieser die Burg kennen und  seinen Platz im Gefüge der mit dem europäischen Mittelalter vergleichbaren Verhältnisse. Sein Vater, der König-zur-Rechten, hatte als Thronfolger in spe abgedankt und somit bleibt dem Jungen nichts anderes übrig, als sich als Stallknecht und Laufbursche durch seinen Alltag zu schlagen. Wenngleich hauptsächlich seiner Geburt geschuldet, bleibt er ein Außenseiter mit wenigen Personen, zu denen er Kontakt hat und noch weniger, die er Freunde nennen würde. Einer Besonderheit an sich bemerkt Fitz bereits in seiner Preadoleszenz. Er kann sehr gut die Gefühle der ihn umgebenen Tiere spüren und auch mit ihnen kommunizieren, diesen zum Teil sogar seinen Willen aufzwingen. Da dies nicht jeder in seiner Umgebung kann, hält er diese Gabe geheim und fügt sich in sein Leben.

Dieses Leben ändert sich erst durch den glücklichen Umstand, dass der alte König Listenreich ihn in seine Dienste stellt. Loyalität und Gehorsam im Tausch gegen eine gute Ausbildung und Spezialaufgaben. Somit lernt er nicht nur die Dichtkunst, Waffenkunde und die Pflanzenwelt kennen, sondern erhält auch eine Ausbildung zum Assassinen. – Dann kommt der Tag, an dem er sich für einen Lebensweg entscheiden muss, seinem Gewissen oder seinem Auftrag folgend …

Inhaltlich und stilistisch zählt „Die Gabe der Könige“ zu den klassischen Fantasy-Romanen der ‚alten Schule‘. Jedoch nicht nach dem Motto: „Ein alter weiser Mann sagt dir: Nur du kannst die Welt retten, also suche gefälligst Gegenstand A und bringe ihn an Ort B, Ausreden zählen nicht.“ Eher aus der Kategorie „die Memoiren eines Weltveränderers“, vergleichbar mit dem bedeutend später erschienenen Zyklen-Auftakt „Der Name des Windes“ von Patrick Rothfuss. Jedes Kapitel beginnt mit einer Passage des allwissenden und rückblickenden Erzählers. Diese Reflexionen sind wie der Blick durch ein Schlüsselloch in die Historie, sind sie doch mitunter Andeutungen auf spätere Ereignisse, die der Leser noch gar nicht kennen kann und somit nicht versteht, wenn nicht sogar Vorgriffe oder alterskluge Lebensweisheiten. Ein seinerzeit noch selten gebrauchtes Stilmittel, um zusätzliche Spannung aufzubauen. Während der einzelnen Kapitel ist man jedoch komplett in einer anderen Zeit verankert.

„Die Gabe der Könige“ ist eine ruhige Schilderung der Jugend eines Jungens, dem der Leser nie von der Seite weicht. Er begleitet Fitz auf seinen Entdeckungsreisen und macht auf unaufgeregte Art und Weise mit ihm dessen Heranwachsen durch. Ebenso wie „der Junge“ ist es weder so, dass man alles um ihn herum versteht, noch zusätzliche Informationen hat, die ein auktorialer Erzähler spendieren würde. Dadurch wird das Motiv der Einsamkeit weiter verstärkt. Jedoch bleibt trotz der erzählerischen Nähe eine seltsame Distanz zum Protagonisten.

Nicht hoch genug anzurechnen ist es dem Verlag, dass auch in der Neuausgabe sehr auf die gehobene Wortwahl geachtet wurde. Früher oder später fällt dem Leser auf, dass die gewählten Sprachkonstrukte elegant sind und generell die Geschichte durchgehend ansprechend formuliert ist. Dadurch umgibt den Roman eine zusätzliche Kultiviertheit, die heuer eher ungewöhnlich und überraschend ist, sich jedoch nicht aufdrängt oder überheblich wirkt, sondern einfach den Roman von anderen abgrenzt. Somit hebt sich diese Übersetzung ab und wirkt nicht altbacken, sondern zeugt von sehr guter Arbeit, damals und jetzt und eine Gewisse Hingabe an den Text und die Sprache.

Als Manko des Buches bleibt allenthalben, wenn überhaupt, die der Thematik geschuldete actionunlastige Erzählweise, da die Akzente anderswo liegen. Nach und nach werden Dutzende Charaktere eingeführt, deren Relevanz in Teilen unklar bleibt, somit ein Personenregister memoriert werden muss, da dieses leider nicht beiliegt. Erst gegen Ende dieses ersten Romans überstürzen sich die Ereignisse und es werden nur einige der noch losen Handlungsstränge abgeschlossen. Somit ist dieser Roman zwar im Groben in sich gekapselt, jedoch mag mit diesem inhaltlich unerwartetem Klimax am Buchende der geneigte Leser stehenden Fußes nach dem Folgeband verlangen, um den Fortgang der Ereignisse um Fitz und die Ränkespiele in welchen er sich ungeplant wiederfindet weiterhin zu verfolgen. Und dann sind da schließlich auch noch die roten Korsaren mit ihrer Seuche der Entfremdung, die fortwährend von den Küsten des Königreichs der sechs Provinzen abgewehrt werden müssen.

Fazit: „Die Gabe der Könige“ wäre eine klassische Geschichte des Mittelalters, hätte nicht der Protagonist Fitz Chivalric-Weitseher „die Gabe“, jene seltene Fähigkeit, die seiner Familie eigen scheint. Somit erlebt der Leser nicht nur an seiner Seite dessen Jugend, sondern auch die ersten Schritte hin zu einem Leben voller Intrigen und Ränke am Königshof. Durch die sprachlich herausstechende Übersetzung bleibt jedoch nicht nur die Geschichte dieses Auftaktbandes um die Weitseher dem Leser im Gedächtnis haften. Fans traditionell-historischer Fantasy kommen bei dieser gelungenen Neuauflage sicherlich auf ihre Kosten. (Nur nicht beirren lassen, die Tagline auf dem Buchrücken „Ein Kampf ist erst beendet, wenn du ihn gewonnen hast!“ ist Marketing. Darum geht es ganz und gar nicht.)

Die Chronik der Weitseher 1: Die Gabe der Könige
Fantasy-Roman
Robin Hobb
Penhaligon Verlag 2017
ISBN: 978-3-7645-3183-6
601 S., Paperback, deutsch
Preis: EUR 15,00

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