Das Erbe der Weitseher 2: Prophet der sechs Provinzen

„Wenn einem nichts mehr bleibt, muss man manchmal neue Wege beschreiten, um an Ziele zu gelangen, die man nie geplant hat.“ Das könnte der Grund sein, warum Fitz wider besseren Wissens zurück an den Bocksburger Hof geht und sich erneut mit der Alten Macht, der Gabe, Intrigen und Geheimnissen umgibt. Eine gute Ablenkung von seiner verlorenen Liebe und dem Verlust seines besten Freundes.

von Lars Jeske

Die Aufgabe von Fitz Chivalric-Weitseher, dem Bastard, ist vollbracht und der Prinz wieder wohlbehalten bei der Königin zurück. Einmal mehr bleibt er unerkannt und diente dem Thron der Weitseher dennoch überaus aufopferungsvoll und in vollständiger Hingabe. Aber wie geht sein persönliches Leben nun weiter, da er die Chance hat, wieder an den Königshof zurückzukehren? Kann er sich zwischen all seinen Optionen entscheiden und wird ihn eine dieser überhaupt vollends glücklich machen?

Nahtlos setzt der zweite Band „Prophet der sechs Provinzen“ der „Das Erbe der Weitseher“-Trilogie an die Geschehnisse von „Diener der alten Macht“ an. In den ersten knapp 900 Seiten ging es um die Rettung von Prinz Pflichtgetreu aus den Fängen der Gescheckten. Nachfolgend thematisiert Robin Hobb in dem zweiten, ebenso starken Buch das Leben am Hofe in Bocksburg. Dem Prinzen wurde der Kopf gewaschen, wodurch er sich mehr oder weniger seinem Schicksal als Thronfolger ergibt und seine Rolle im Reich zum Wohl des Hauses der Weitseher und der Sechs Provinzen im Allgemeinen zähneknirschend akzeptiert. Nach dem zermürbenden Krieg mit den Fernholmern, welchem König Veritas ein Ende setzten konnte, kann nunmehr der Prinz taktisch klug verheiratet werden. Mit einer Prinzessin der Äußeren Inseln als Gemahlin könnte man gemeinsam ein Bündnis festigen, welches beiden Seiten zum Vorteil gereichen kann und auch dauerhaften Frieden bringen könnte.

Aber das ist nur der erste Abriss der Ereignisse, denn es passiert so viel mehr, vor allem im direkten Leben von Fitz. Am Härtesten trifft ihn, dass Nachtauge gestorben und Fitz nunmehr für allezeit untröstlich ist. Um sich davon abzulenken, wird er mit seinem bestenfalls rudimentären Wissen dennoch der geheime Gabenmeister vom Prinzen. In diesem hat sich nämlich sowohl die Alte Macht als auch die Gabe der Weitseher manifestiert. Was so einige Probleme und sogar einen unerwarteten Mitstreiter mit sich bringt. Sein Adoptivsohn Harm macht ihn zusätzliche Probleme, dafür lernt er Jinna besser kennen, die er jedoch mit seiner großen Liebe Molly vergleicht. In der Beziehung zum Prinzen reflektiert er zu viel von seiner eigenen Beziehung als Jugendlicher zu Burrich hinein, während ihm andererseits Jinna kein Ersatz für Molly sein soll, es jedoch auch nie werden könnte. Zusätzlich hat er auch noch starke Gabenträume, in welchen er Nessel begegnet und überwacht; seine Tochter, die nichts von ihm weiß. Dazu kommen Spannungen mit dem exzentrischen Jamaillianischen Fürsten, den Gescheckten sowie deren Beziehungen zum Hof sowie das merkwürdige Verhalten des Gefolges der Narcheska Elliania ...

Typisch für die Werke von Robin Hobb ist es dabei, alles sehr ausführlich zu beschreiben, wodurch eine lange Geschichte entstanden ist, die dennoch alles andere als langweilig ist. Zugegebenermaßen passiert hier nicht so viel Action wie bei manchen 350-Seitern und man könnte die gesamte Handlung der Geschichte auch in weitaus weniger Seiten als den vorliegenden knapp 900 unterbringen. Aber darum geht es Robin Hobb nicht. Ging es nie. Es geht nicht nur um die Geschichte oder das kurze Anreißen von Ausschnitten von Szenen diverser Adelshäuser aus anderen mittlerweile ebenfalls bekannten Werken.

Wie immer geht die Autorin vor allem ausführlich auf alle Aspekte und Überlegungen des Hauptcharakters Fitz Chivalric-Weitseher sein. Wenn man sich genügend Zeit nimmt und es versteht, die Romane in sich aufzunehmen, dann wird Fitz durch die vielen Aspekte und Facetten überaus greifbar und man erkennt wie bei einem guten Freund sogar auch immer neue Seiten. Besonders stark wird diese Charakterbeschreibung in den Szenen über die Trauer um Nachtauge und wie es ist ein geliebtes Wesen zu verlieren und was dann in einem zerbricht. Es wirkt alles so emotional und dennoch real, dass man wahrlich mitleiden kann. Diese Intensität ohne überbordenden Kitsch und abgedroschene Klischees als Romanautor hinzubekommen, ist wirklich die ganz große Kunst. Sich einen Charakter so detailliert auszudenken und alle Wesenszüge so real wirken zu lassen, wird von Roman zu Roman beeindruckender und dessen Wesenszüge immer komplexer. Die Entscheidungen von Fitz werden immer greifbarer und auch die Überlegungen, die zu seinen Schlüssen führen, sind klar und zum Teil schon voraussehbar, ohne die Spannung zu rauben.

Der andere große Schwerpunkt des Romans ist die Thematisierung der Fernholmer. Bislang waren sie die undefinierten Aggressoren, nun könnten sie Verbündete werden. Nicht zuletzt darum werden weite Teil der Kultur, Religion und des Brauchtums dieser vorgestellt und geschickt mit in die Geschichte eingebunden. Auf dieser Grundlage kann sich der Leser somit auch ein Bild davon machen, was die kriegerischen Beweggründe seinerzeit waren und was nunmehr die für den strategischen Frieden mit den Sechs Provinzen sind.

„Prophet der sechs Provinzen“ ist jetzt laut Einband ebenfalls komplett überarbeitet worden (erneut von Eva Bauche-Eppers übersetzt) und bei Penhaligon erschienen. Dabei handelt es sich inhaltlich um das 2006 auf Deutsch unter dem Titel „Der goldene Narr“ veröffentlichte Werk. Nach diesen knapp 900 Seiten ist die Geschichte jedoch noch lange nicht beendet. Das große Finale der Trilogie steht an und wird mit „Beschützer der Drachen“ aller Voraussicht nach einen würdigen Abschluss bekommen. Die offenen Handlungsstränge machen in der Tat den Eindruck, dass es nicht nur das retardierende Lückenfüller-Mittelwerk einer Romanreihe ist, sondern einerseits wirklich die Handlung voranbringt, jedoch andererseits ebenso auf die finalen Ereignisse hinleitet. Die überraschende Herausforderung der Narcheska Elliania an ihren zukünftigen Gemahl ist da nur eine von vielen unerwarteten Wendungen.

Fazit: Der nun als „Prophet der sechs Provinzen“ erschienene Roman ist überaus gelungen und wurde glücklicherweise jetzt wiederveröffentlicht. Somit hat man die Gelegenheit, eine wunderbare Romanreihe für sich (wieder) zu entdecken. Sei es als Leser ausführlicher Geschichten oder als Inspiration für Autoren, um selber Anregungen hinsichtlich Charakterentwicklung oder Schreibstil zu bekommen. Ein dicker Roman, der auf mehreren Ebenen zu fesseln mag und somit dennoch viel zu schnell ausgelesen ist. Da hätte es das offenes Ende gar nicht benötigt. Der Grundstein für den finalen Roman und ein weiteres Abenteuer ist gelegt und wer bislang von der Reihe begeistert ist, wird mit Freuden weiterlesen.

Das Erbe der Weitseher 2: Prophet der sechs Provinzen
Fantasy-Roman
Robin Hobb
Penhaligon Verlag 2018
ISBN: 978-3-7645-3204-8
886 S., Paperback, deutsch
Preis: EUR 16,00

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