Year Zero – Band 1

Fünf individuelle Schicksale in einer Apokalypse. Fünf verschiedene Strategien, dem Horror zu entkommen. Fünf unterschiedliche Länder, in denen die Zombies nur einen Teil des Albtraums ausmachen. Fünf unterschiedliche Farbpaletten, die die Szenen in überwiegend Petrol, Lila, Rot, Blau und Gelb erleuchten. Fünf Wege, die bewegen und zum Nachdenken anregen ...

von Daniel Pabst

„Die Leute sagen, wir leben in einem goldenen Zeitalter des Horror – dergleichen haben wir seit der Paranoia des Kalten Krieges in den Achtzigern nicht erlebt.“ (Benjamin Percy, Minnesota 3. März 2020).

„Year Zero – Band 1“ ist ein Comic, geschaffen von Benjamin Percy (Text), Ramon Rosanas (Zeichnungen), Lee Loughridge (Farben), Frank Neubauer (Übersetzung) und Kaare Andrews (Cover) und erschien im Oktober 2020 bei AWA Upshot. Seit diesem Jahre ist dank Cross Cult die deutsche Übersetzung erhältlich.
 
Der Autor dieses Comics überzeugte bereits mit seinen Erzählungen zu „Wolverine“. Was gibt es diesmal zu erleben? Mit „Year Zero – Band 1“, so schreibt er im Anhang des Comics, möchte er eine „persönliche Geschichte“ präsentieren, in der er mit den „Fragen von Liebe und Glauben und Angst und Paranoia ringen“ wird. Doch woher kam sein Herzenswunsch, uns Leserinnen und Lesern zu dieser Zeit mit diesen Gedanken zu packen? Benjamin Percy schreibt, dass „wir (…) alle nur ein Husten oder einen Raketenangriff von Year Zero entfernt“ seien und möchte das „große Ganze ins Visier“ nehmen, inspiriert von den Werken „Nacht der lebenden Toten“, „The Walking Dead“, „Die Straße“, „Frankenstein“, „Godzilla“, „Die Invasion der Körperfresser“, der Zeitschrift „Fangoria“ und den Autoren Stephen King und John Carpenter. Große Worte, noch größere Fußstapfen – kann „Year Zero – Band 1“ dem auch nur annähernd gerecht werden?

In „Year Zero – Band 1“ begegnen wir fünf Charakteren, die alle in einem anderen Land leben: ein japanischer Auftragskiller, ein mexikanisches Straßenkind, eine afghanische Militärhelferin, eine Polarforscherin und ein amerikanischer Prepper. Sie verbindet, dass sie die globale Epidemie (bislang) überlebt haben. Auf sich allein gestellt, müssen sie sich auf ihre individuellen Fähigkeiten und Instinkte verlassen. Umrahmt werden sie von einem Meer an Zombies, das nach frischen Mahlzeiten Ausschau hält. Beim Überlebenskampf nicht selbst ein Zombie zu werden, fällt dadurch schwerer, dass Sitte, Moral und Glauben zunehmend zerfallen. Woran sich halten, wenn niemand über „Gut“ und „Böse“ urteilt, außer man selbst? Wozu morgens aufstehen, wenn die Heilung der Pandemie nicht absehbar ist? Wie gelangt man an ausreichend Nahrung und nötigen Schutz vor den Zombies? Gibt es weiter Überlebende da draußen – und wenn ja, sollte man ihnen besser misstrauen?

All diese schleichende Angst und der packende Horror wird in Szene gesetzt durch den Zeichner Ramon Rosanas, der unter anderem auch verantwortlich war für „Star Wars: Age of Resistance“. Hier nun zeigt er, dass er nicht nur fiktive Welten in Comic-Form umsetzen kann, sondern auch die Länder dieser Erde – beziehungsweise die Apokalypse. Die Schauplätze in Tokio, Mexiko City, Kabul, der antarktischen Forschungsstation, und in Burnsville (Minnesota) sind stimmungsvoll und man sieht von Bild zu Bild die akribische Vorbereitung des Künstlers. Wie die Erzählung des Autors durch Ramon Rosanas zum Comic wurde, erfahren die Leserinnen und Leser zudem in einem „Mini-Making-Of“, in dem gleich sechs Seiten über den japanischen Auftragskiller und Samurai in Schwarz-Weiß abgedruckt wurden.

„Year Zero – Band 1“ wird aber erst zu dem Versprechen, das Benjamin Percy gemacht hat, wenn man die Kolorierungen von Lee Loughridge dazu nimmt. In enger Abstimmung mit Ramon Rosanas ist für jeden Charakter eine eigene Farbpalette entstanden. Wann immer man also einer der fünf Personen folgt, sieht man die passenden Farben. Dabei ist Lee Loughridge ein einfach perfektes Farbspiel gelungen. Die unterschiedlichen Panels zeugen von besonderer Intensität, was nochmals durch die zahlreichen Licht- und Schattenspiele verstärkt wird. Kaum dringt man tiefer in die Handlung und Gefühlswelt einer Person ein, folgt eine neue Farbgebung und man sieht eine andere der fünf Personen. Cliffhanger par excellence. Das Cover von „Year Zero 1“ gibt da einen ganz falschen Eindruck von der Kolorierung, sodass man sich lieber die Rückseite des Comics ansieht oder auf die Leseprobe zurückgreift. Das Cover stammt nämlich von Kaare Andrews, der bewusst reale Bilder verfremdet. Im Laufe des Lesens wird man übrigens noch vier weitere dieser Art finden.

Leseprobe

Besonders interessant macht neben der atemberaubende Story, die Horror, Action und Drama enthält, die übergreifende Frage, woher die Pandemie kommt und wie sie zu heilen ist. Dabei webt Benjamin Percy sehr geschickt in jeder der fünf hier zusammengefassten Ausgaben einen angeblichen geschichtlichen Teil ein, wie zum Beispiel verlorene Seiten aus Leonardo da Vincis Notizbuch oder aus „Der Schwarze Tod“ von Giovanni Boccaccio. Natürlich ist auch die zeichnerische Umsetzung der jeweiligen Zeit entsprechend, was abermals eine sehr gelungene Darstellung bietet. Zu schnell gelangt man nach 144 Seiten ans Ende von „Year Zero – Band 1“.

Fazit: Den fünf unterschiedlichen Charakteren in ihre ganz eigene Welt zu folgen, die sich – Apokalypse hin oder her – immer noch Erde nennt, ist ein Comic-Highlight. Story, Zeichnungen und Farben bilden eine Symbiose, von der man unbedingt mehr sehen möchte. „Year Zero – Band 1“ zeigt eindrucksvoll und kunstvoll, wie ein Comic ein düsteres Thema sowie dramatische Geschehnisse, einer Achterbahnfahrt gleichend, rapide erzählt, sodass man sich am Ende atemlos und begeistert zugleich wiederfindet. Ganz im Sinne von Benjamin Percy endet diese Rezension daher mit seinem Zitat: „Doch Comics sind grenzenlos“.

Year Zero – Band 1
Comic
Benjamin Percy, Ramon Rosanas
Cross-Cult Comics 2021
ISBN: 978-3-966583-38-1
144 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 22,00

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