von Ansgar Imme
Die lange erwartete „Einsteigerbox“ zur vierten Edition von „Warhammer Fantasy“ ist endlich da. Nachdem das Grundregelwerk zunächst auf Englisch bei Cubicle7 Anfang 2020 erschienen war, legte Ulisses Spiele bereits im Spätsommer 2020 mit der deutschen Ausgabe nach. Doch aufgrund unterschiedlicher Hindernisse, zum Teil auch durch coronabedingte Lieferprobleme, ließ das Erscheinen auf sich warten, obwohl die Box im Original bereits erschienen war. Als Ausgleich gab es verschiedene Kurzabenteuer sowie vor Anfang des Sommers 2021 eine Abenteuer-Anthologie in Übersreik.
Die Box ist recht ordentlich gefüllt und enthält eine Kurzanleitung, 6 vorgefertigte Charaktere, 3 Regelbögen, 3 Handouts, fast 50 Vorteilsmarker, mehrere Umgebungskarten, 2 Würfel, einen Szenarioband sowie eine ausführliche Beschreibung der Stadt und Region Übersreik. Käufer der PDF-Version müssen natürlich auf physische Materialien wie die Marker und die Würfel verzichten, die das „Einsteigerset“ bereichern.
Am Anfang steht die Kurzanleitung, welche den Inhalt und Aufbau der Box und Materialien erläutert sowie in Kürze Rollenspiel an sich, die Rollen von Spieler und Spielleiter und das Vorgehen zu Beginn vorstellt. Man merkt beim Lesen der Anleitung bereits, dass das „Einsteigerset“ mehr ein Einstieg in die Welt von „Warhammer“ als eine echte Einsteigerbox für Neulinge des Rollenspiels darstellt. Dafür sind die Erklärungen doch zu knapp gefasst. Aber erfahrene Rollenspieler anderer Systeme bekommen auch keine Wiederholung bekannter Inhalte vorgesetzt und können sehr schnell loslegen.
Die vorgefertigten Charaktere, Regelzusammenfassung in Form von Referenzbögen, Karten, Marker und Würfel erleichtern den Einstieg ebenso. Einzig der Spielleiter sollte das Abenteuerbuch und am besten auch Teile des Quellenbandes zu Übersreik bereits grob gelesen haben. Denn anders als in manchen anderen Einsteigerboxen sind viele Szenen doch nicht einfach am Spieltisch zu lesen, ohne die Spieler lange warten zu lassen.
Den Mittelpunkt der Box stellen natürlich das Abenteuerbuch und der Quellenband zur Stadt dar. Das Abenteuerbuch als eigentlicher Einstieg und Start in die Welt enthält 48 vollfarbige Seiten mit vielen Illustrationen, die sich an den Stil des bereits erschienenen Regelbandes halten und oft ein wenig an die „Scheibenwelt“ von Terry Pratchett erinnern. Den Stil muss man natürlich mögen, aber aus Sicht des Rezensenten passt er sehr gut zum „Warhammer“-Rollenspiel. Der Band gliedert sich in eine kleine Einstiegskampagne sowie weitere Szenarien, die man daran anschließen kann.
Die Handlung der Kampagne ist eher unkompliziert und anfangs teils auch sehr vorgegeben. Nach der Ankunft der Charaktere in Übersreik werden diese in einen Aufruhr verwickelt und müssen sich gleich ihrer Haut erwehren. Die Charaktere werden von der Stadtwache als Aufrührer verhaftet und vor Gericht gestellt. Durch unerwartete Hilfe wird ihre Strafe auf 3 Jahre Dienst in der Stadtwache reduziert. Die Gruppe lernt wichtige Mitglieder der Stadtwache wie auch ihren eigenen Wachweibel kennen. Mit diesem begeben sie sich auf Patrouille und müssen erste kleine Herausforderungen meistern. Bereits dabei zeigt sich, dass der Wachweibel mehr seine eigene Tasche als das Wohl der Bürger im Auge hat. Neben ständigen Unruhen in der Stadt, die es zu befrieden gilt, lernen sie eine Straßenwächterin kennen, welche sie bittet, im Fall eines angeblich Unschuldigen zu ermitteln, der hingerichtet werden soll. Doch hinter dem zunächst einfachen Fall steckt mehr als erwartet.
Als Anschluss an den Einstieg sind zehn weitere Szenarien enthalten, von denen vier allgemein gehalten sind und sechs sich auf die vorgegebenen Charakterprofile beziehen beziehungsweise mit diesen in Zusammenhang stehen. Der Aufbau ist stets ähnlich: Die Grundidee wird erläutert, handelnde Personen werden vorgestellt und wie die Handlung verlaufen könnte. Jedes Szenario umfasst dabei 1 1/2 bis 2 Seiten. Dabei geht es beispielsweise um eine verschwundene Person, die Bedrohung durch Grünhäute oder die Probleme eines Tavernenbesitzers mit seiner Vergangenheit.
Das Abenteuerbuch aus Einstiegskampagne und Szenarien ist zusammenfassend als solide zu bezeichnen. Die Grundidee als Einstieg über eine Verpflichtung in der Stadtwache erlaubt eine gewisse Vorgabe von Szenarien und Abenteuern, da die Spieler und Figuren Anweisungen folgen müssen. Dies führt an manchen Stellen durchaus zu Szenen von Railroading (etwa während der Gerichtsverhandlung), was erfahrene Spieler abschrecken kann. In gleichem Maße wird aber gerade zu Beginn eine sehr offene Szene am Markt angeführt, was als Einstieg – gerade für echte Neulinge – zu viel Optionen bieten kann, sodass die Spieler gar nicht wissen, was sie machen sollen. Hier wäre eine enge Führung zu Beginn, die mehr und mehr Freiheiten danach bietet, eine bessere Wahl gewesen. Von der Handlung her ist der Aufbau für die Einführung in „Warhammer Fantasy“ recht gut gewählt: Von eher bodenständigen, normalen Aufträgen wandelt es sich mehr und mehr zu übernatürlichen Herausforderungen mit Wahnsinn, Chaos und Kulten. Die zusätzlichen Szenarien bieten gerade für diese Bereiche etliche Abenteueraufhänger und zeigen die Besonderheiten von „Warhammer Fantasy“ auf. Die Szenarien sind allerdings so kurz und knapp gestaltet, dass echte Rollenspiel-Neulinge (und damit vor allem der Spielleiter) für die Spielführung und den -ablauf sehr herausgefordert sind. Es wäre überlegenswert gewesen, lieber wenige Szenarien anzubieten, die dafür besser ausgestaltet sind. Für erfahrene Spielleiter sollte eine Ausarbeitung dagegen kein Problem sein, da alle wichtigen Infos enthalten sind und man sogar mit wenig Vorbereitung damit ein oder zwei Spielabende gestalten kann.
Problematischer ist aber die Regeleinführung durch das Abenteuerbuch zu sehen. Es ist grundsätzlich richtig, zunächst normale Würfe und deren Schwierigkeiten sowie dann vergleichende Proben anhand von Spielsituationen zu klären. Wenn die Spieler jedoch im sehr freien Spiel auf dem Markt bestimmte Aktionen gar nicht machen, kommt es unter Umständen gar nicht zu Würfen und damit eben nicht den Regelerklärungen. Wie schon weiter oben geschrieben, wäre hier eine stringentere Handlung empfehlenswerter gewesen, um daran auch die Regeln zu erklären. Besonders kritisch zu sehen ist aber vor allem der Aufruhr auf dem Marktplatz, anhand dessen gleich die Kampfregeln erklärt werden sollen. Kampfregeln sind in den meisten Rollenspielen meist der kompliziertere und umfangreiche Teil der Regeln. Die vierte Edition von „Warhammer Fantasy“ hat diese durchaus noch mal zusammengeschrumpft, aber trotzdem ist der Teil nicht kurz oder komplett einfach. Dass zudem das Geschehen sehr chaotisch ist und die Gegner eine wilde Horde sind, macht es für den Spielleiter und auch Spieler nicht einfacher und verständlicher. Erfahrene Spieler, die nur neu bei „Warhammer Fantasy“ sind, bekommen dies aufgrund ihrer Erfahrungen vielleicht noch umgesetzt, aber komplette Neulinge werden hier schnell aussteigen oder durcheinander kommen. Und nach dieser Einführung war es das schon mit den Regelerklärungen (mit der Ausnahme der späteren Erwähnung von Kritischen Treffern). Insgesamt hätte es sich angeboten, die Regeln besser zu verteilen und die Komplexität langsamer ansteigen zu lassen. Dafür hätte man nur geringe Änderungen am Handlungsablauf vornehmen müssen.
Den zweiten Schwerpunkt der Box bildet das Quellenbuch zur Stadt Übersreik und seiner Umgebung auf 66 Seiten. Nach einem kurzen geschichtlichen Abriss folgt eine Übersicht der wichtigsten herrschenden Personen und Personengruppen. Im Anschluss wird die Stadt mit ihren einzelnen Stadtvierteln und charakteristischen Begebenheiten sowie besonderen Örtlichkeiten vorgestellt. Dabei handelt es sich vor allem um Gasthäuser, Gilden, Tempel, Werkstätten und größere Anwesen, aber auch spezielle Lokalitäten wie den Schweinepferch, ein Bordell oder ein Waisenhaus. Neben einer knappen Beschreibung sind dazu stets 1 bis 2 Abenteueraufhänger enthalten sowie selten ganz besondere Nichtspielercharaktere, die die Stadt prägen. Neben der Stadtbeschreibung findet man hier noch eine Übersicht und ein kurzer Abriss der Grafschaft Übersreik mit seinen Ländereien sowie eine Aufzählung und Erläuterung dunkler Kulte, die die Stadt in ihren dunklen Ecken bevölkern.
Die Stadtbeschreibung macht ganz vieles richtig und ganz wenig falsch. Sie benennt und beschreibt die wichtigsten Orte und bietet eine bunte Mischung verschiedener Zwecke, die für die Spieler von Belang sein können. Sie liefert dabei ausreichend Details, ohne sich darin zu verlieren. Schwerpunkt ist dabei eher die inhaltliche als äußerliche Beschreibung. Die Stimmungen an den Orten werden gut eingefangen und wiedergegeben. Die Illustrationen geben dazu schöne Eindrücke wieder, die die Stimmungen noch vertiefen. Durch die Abenteueraufhänger bieten sich zudem so viele Anknüpfungspunkte an das Einstiegsabenteuer, dass man etliche Spielabende in der Stadt verbringen kann. Einzig genau diese Überfrachtung als auch die vielen besonderen Orte können vielleicht etwas übertrieben auf die Spieler wirken, sodass nicht mehr genügend Normalität durchscheint. Hier liegt es am Spielleiter, nicht jede Besonderheit sofort auf dem Präsentierteller zu zeigen.
Fazit: Das „Warhammer Fantasy Einsteigerset“ setzt die Reihe der gelungenen Publikationen der vierten Edition des Rollenspiels fort. Neben der schönen Aufmachung und der vielen tollen Illustrationen ist auch der Inhalt spielerisch schnell und umfassend nutzbar. Einzig als Einstieg für Rollenspielneulinge hakt es ein wenig. Während erfahrene Rollenspieler mit dem Einstieg in „Warhammer Fantasy“ wenig Probleme haben werden, wirkt das Set für komplette Neulinge nicht ausreichend zusammengestellt (was vielleicht gar nicht der Zweck war). Abgesehen davon ist das „Einsteigerset“ auch für Käufer des Grundregelwerks interessant, da neben der Beschreibung Übersreiks auch viele Abenteueraufhänger zu finden sind.
Warhammer Fantasy Einsteigerset
Rollenspiel-Box
Andy Law, Ben Scerri u.a.
Ulisses Spiele 2021
ISBN: 978-3-96331-213-7
120 S., Box, deutsch
Preis: EUR 29,95
bei amazon.de bestellen