Waisen 3: Der Mann mit dem Gewehr

Nach der militärischen Ausbildung der „Waisen“ folgt der erste Feldeinsatz, der sie auf ihr zukünftiges Leben als Gruppe im Kampf einschwören soll. In der Zeitlinie der Zukunft hingegen tun sich immer mehr Fragezeichen hinsichtlich der Rechtschaffenheit und generellen Beschaffenheit ihrer Mission auf. Gelingt der Blick hinter den Vorhang?

von Lars Jeske

Während die Schöpfer der Geschichte weiterhin Franco Busatta, Emiliano Mammucari und Roberto Reccinoi sind, haben sie jeweils die nächsten 100 Seiten wiederum an neue Graphiker und Zeichner vergeben. Vermutlich war das nötig, um im damals selbstgesteckten, überaus ambitionierten Zeitrahmen zu bleiben, das Gesamtwerk innerhalb eines Jahres zu veröffentlichen. Für die erste Hälfte dieses nunmehr dritten Doppelbandes sind Luca Maresca (Zeichnungen) und Alessia Pastorello (Farben) verantwortlichen, die zweite übernahmen Werther Dell’Edera und Giovanna Niro.

Somit sehen die Charaktere auch wiederum leicht anders aus, aber da es sich jeweils um verschiedene Zeitepochen (sowohl in der Vergangenheit, als auch in der Gegenwart) handelt, ist der absichtlich gesetzte Bruch nicht dramatisch. Da die wichtigen Charaktere allesamt äußerliche Merkmale haben, die sie gut von einander abgrenzen lässt, kann man als Leser mit dieser im Prinzip unnötigen Diskontinuität gut zurechtkommen. Gern kann man als Betrachter des Ergebnisses spekulieren und interpretieren, warum welcher Künstler gewisse Aspekte der einzelnen Charaktere genau so umgesetzt hat. Oder man genießt einfach die Geschichte an sich.  

In „Der Mann mit dem Gewehr“ dürfen sich die Kindersoldaten erstmalig in einer echten Situation bewähren. Es geht nicht mehr nur gegen Trainer oder Pappkameraden, sondern echte Menschen (angekündigt als Verbrecher) sind ihre Gegner in einem Szenario, in dem es heißt: ihr oder die. Durch die mittlerweile erlittenen Verluste an Humankapital bekommt das Team sogar noch Verstärkung, wodurch die Spannungen innerhalb des Teams nicht unbedingt abnehmen. Bei dieser Mission werden für den Leser einmal mehr bereits in dieser frühen Phase der Entwicklung der Jugendlichen die speziellen Fähigkeiten der einzelnen Charaktere sichtbar. Bemerkenswert, dass diese Konstellation in der Gruppe der Projektleiterin Professor Juric und ihrer Handlanger um Colonel Nakamura so frühzeitig klar war. Ebenso werden weitere verstörende Details offenbart, worin diese Forschung an und mit den Kindern hauptsächlich besteht und wie widerwärtig das System ist, in dem die Kinder indoktriniert wurden.

In der zweiten, aktuellen Zeitebene findet ein Angriff auf eine Basis der als Spektren bekannten Außerirdischen statt, dessen Ausgang das Team der Waisen maßgeblich beeinflusst. Eine interessante Wendung ergibt sich, als sich ein vager Verdacht des Lesers bewahrheitet. Bislang hatte dieser durch zusätzliche Szenen über die Leiter der Forschungseinrichtung einen Wissensvorsprung gegenüber den Waisen in jeder Zeitebene. Nunmehr sehen auch einzelne Mitglieder hinter Geheimnisse der Führungsriege, die ihr bisheriges Weltbild gehörig ins Wanken bringt.

Das Cover und der gewählte deutsche Titel „Der Mann mit dem Gewehr“ stellen den Eremiten und somit einen der maßgeblichen Charaktere des Doppelbandes in den Mittelpunkt, wodurch die Bindung der Leser intensiviert wird und dieser wiederum weitere Einblicke erhält. Erneut spannend erzählt und mit einigen unerwarteten Wendungen lässt sich der Leser gut und sehr gern auf hohem Niveau von der Geschichte unterhalten. Da wäre der erneute Cliffhanger am Ende gar nicht nötig gewesen, um die Leserschaft auch für den nächsten Teil zu interessieren, da es mittlerweile so viele lose Enden gibt, welche nach einem vernünftigen Klärungsbedarf verlangen. Die Erwartungen an deren Auflösung wird dann einen Großteil des finalen Fazits der Reihe ausmachen.

Also Bonus gilt es im Anhang Ideenskizzen und einige Ausführungen der Macher zum Setting und den als Spektren bezeichneten Aliens.

Fazit: Der dritte Band der mittlerweile als moderner Comic-Klassiker angesehenen Reihe „Waisen“ beinhaltet jede Menge Action und bringt die Handlung in beiden Zeitebenen voran. Nach der Halbzeit der Reihe hat man als Leser noch einen geringen Wissensvorsprung vor den Waisen und bleibt mehr als gespannt, wie sie sich mit ihren Feinden und dem System fortan schlagen werden.

Waisen 3: Der Mann mit dem Gewehr
Comic
Roberto Recchioni, Luca Maresca, Werther Dell’Edera u. a.
Cross Cult 2014
ISBN: 978-3-86425-392-8
205 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 16,80

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