Verschollen in Ras Tabor (Heldenwerk)

Die „Heldenwerk“-Reihe bleibt sich treu und springt weiterhin munter durch Genres und Handlungsorte. Mit Ras Tabor wird nun auf einen ganz besonderen Ort Bezug genommen, welcher aventurischen Langzeit-Veteranen in den Ohren klingeln dürfte.

von André Frenzer

Es war in der Frühzeit von „Das Schwarze Auge“, als mit den beiden Abenteuern „Durch das Tor der Welten“ und „Borbarads Fluch“ plötzlich Science-Fiction-Elemente Einzug in Aventurien hielten. So konnte man unter dem Sand der gorischen Wüste auf ein Raumschiff – von den Aventuriern liebevoll „Sternenwagen“ getauft – und die Überbleibsel seiner Besatzung treffen. Während diese Elemente mittlerweile sehr sanft in den sich herausbildenden Kanon eingebettet wurden, ist „Verschollen in Ras Tabor“ dann eher eine Holzhammer-Hommage an diese Zeiten – wohl pünktlich zum 40-jährigen Jubiläum von „Das Schwarze Auge“.

Worum geht es jetzt aber genau? Die Helden werden unversehens an einen ihnen völlig fremden Ort versetzt – in einen Sternenwagen der sogenannten „Schwarzaugen“, einer raumfahrenden Spezies, welche Aventurien beobachten. Diese haben ein Problem, denn sie brauchen einen Kristall, um den Absturz ihres Raumschiffs auf Aventurien zu verhindern. Da ihnen eine Reise auf derischen Boden nicht möglich ist, schicken sie kurzerhand die Helden, um das Problem zu lösen. Diese müssen – wie in „Durch das Tor der Welten“ – zunächst in einem Felsenkloster im Wal-el-Khomchra-Massiv ein Portal finden, welches sie nach Ras Tabor – einen geheimnisvollen Dschungel – führt. In dieser fremdartigen Umgebung treffen die Helden nicht nur auf brutale Raubtiere und fleischfressende Pflanzen, sondern auch auf zwei Stämme intelligenter Einwohner – echsenartige Gmul und grauhäutige Watabh. Es gilt, sich wenigstens einen dieser beiden Stämme zum Freund zu machen, um hinterher in einem Heiligtum einen der begehrten Kristalle zu ergattern.

Es soll eine ganze Menge passieren in diesem „Heldenwerk“. Zwar wurden dieser Ausgabe stolze vier zusätzliche Seiten spendiert. Dennoch ist das Abenteuer im Rahmen der Reihe kaum vernünftig zu beschreiben. Das beginnt mit den einleitenden Szenen Bord des Sternenwagens, welche noch viel Arbeit für den Spielleiter übriglassen, und zieht sich weiter über Ras Tabor, welches nahezu handlungsfrei präsentiert wird. So bleibt zwar reichlich Handlungsfreiheit für die Spielgruppe, dennoch hätte ich mir die eine oder andere Handreichung durch die Autoren gewünscht – auch und insbesondere, weil das Setting so unvertraut ist. Leider fallen dem mangelnden Platz dann auch ausführlichere Beschreibungen Ras Tabors zum Opfer, ja, es gibt nicht einmal eine Karte. Freunde von Hexcrawls und offenem Spiel, welche sich durch die sehr offene Beschreibung angesprochen fühlen könnten, müssen also dennoch weitere Arbeit investieren.

Worüber man sicherlich streiten kann, ist der etwas alberne Humor, mit dem weite Teile des „Heldenwerks“ geschrieben sind. Seien es die Namen der vier Schwarzaugen, welche doch sehr überdeutlich an berühmte Charaktere aus „Star Trek“ erinnern, oder die zahlreichen Zwischenüberschriften, die Titel berühmter Abenteuer persiflieren (wie „Laub und Sterne“ oder „Der Wald mit Wiederkehr“) – hier bleibt kein Auge trocken, wenn es den eigenen Geschmack trifft. Auch das erinnert ein wenig an die Frühzeit Aventuriens und kann daher wohl mit einem Augenzwinkern verstanden werden – wer sich ernsthaft mit dem Abenteuer beschäftigen möchte, dürfte aber genervt die Augen rollen.

Was also bleibt? Ein eigentlich recht simpler Plot mit für den gemeinen Aventurier absolut fantastischen Orten, welche vom Spielleiter nahezu im Alleingang inszeniert werden sollen. Während die Aufgabe eigentlich von höchster Wichtigkeit ist, ist sie – natürlich – zugleich so angelegt, dass sie den aventurischen Metaplot nicht berühren wird. Damit ist das Abenteuer dann schlussendlich eher für Sammler und Allesspieler.

Von der optischen Aufbereitung bin ich ein wenig hin- und hergerissen. Zwar haben einige der exotischen Orte und Kreaturen Farbbilder spendiert bekommen. Diese sind jedoch teilweise wenig dynamisch oder wirken irgendwie albern. Das Layout wiederum ist wie immer aufgeräumt und sorgt mit großformatigen Textkästen für Auflockerung und die schnelle Wiederfindbarkeit von wichtigen Informationen. Nachdem Lektorat und Korrektorat wieder eine gute Arbeit abgeliefert haben, gibt es technisch wenig zu meckern.

Fazit: Ein ungewöhnliches „Heldenwerk“ mit fremdartigen Orten und noch seltsameren Kreaturen. Die schiere Masse an potenziellen Informationen und der knappe Platz eines „Heldenwerks“ sorgen aber dafür, dass das Abenteuer seltsam unfertig und überfrachtet zugleich wirkt. Es gibt stärkere Ausgaben der Reihe.

Verschollen in Ras Tabor (Heldenwerk)
Abenteuerband
Dominic Hladek, Rafael Knop
Ulisses Spiele 2024
ISBN: n. a.
20 S., Softcover, deutsch
Preis: 5,95 EUR

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