von Amel
„Vaesen“ ist ein wunderhübsches Spiel über nordische Folklore. Vom Aufbau her ist es „Cthulhu“ nicht unähnlich. Die Charaktere stellen sich zwischen magische und gefährliche Wesen und die Menschen, die diese bedrohen. Die Abenteuer sind detektivisch und die Monster nur selten mit einfacher Waffengewalt zu besiegen. Anders als bei „Cthulhu“ sind die Wesen zwar gefährlich, aber dennoch häufig Teil der natürlichen Ordnung. Sie sind neutral und nicht zwangsläufig böse. Manchmal kann eine Verhandlung die bessere Alternative zu Kampf sein.
Für die Bebilderung zeigt sich Johan Egerkrans verantwortlich. Sein Stil ist ein echter Augenschmaus. Das Layout wurde an diesen Stil und das Thema des Buchs angepasst und ist nicht weniger hübsch. All das ist auf mattes, voluminöses, eierschalenfarbenes Papier gedruckt. Der Buchdeckel ist matt. Es ist eine wahre Freude, das Buch in die Hand zu nehmen und darin zu blättern. Man kann die Gestaltung des Buches gar nicht genug loben. Es passt alles zusammen: die Auswahl der Schriftarten, die Farben, der Seitenaufbau und natürlich die Bilder.
Vaesen sind normalerweise unsichtbar – außer für die so genannten Donnerstagskinder. Verursacht von einem Trauma haben diese die Fähigkeit, Vaesen zu sehen. Bis vor kurzem gab es eine Gesellschaft – kurz und prägnant The Society genannt, die die nordischen Sagenwesen studierte und bekämpfte. Die Kampagne sieht vor, dass die Charaktere die Gesellschaft wieder aufzubauen versuchen. In Upsala beziehen das ehemalige Hauptquartier der Society, die Burg Gyllencreutz und bauen sie wieder auf. Sie engagieren Leute, suchen Verbündete und kümmern sich ganz allgemein um alle Belange und Probleme. Ihre Hauptaufgabe ist aber natürlich die Bekämpfung der Vaesen. Die Geschichte der Society bildet eine Art optionalen Metaplot, der sich im Abenteuer am Ende des Regelbuchs bereits andeutet, der aber nicht weiter beschrieben wird. Die Spielleitung kann sich hier beliebig austoben und die Kampagne mit zusätzlichen Geheimnissen und Konflikten füllen.
Die Charaktererschaffung basiert auf Archetypen, die nach Wunsch der Einzelnen mit Details erweitert werden. Neben Attributen und dazugehörigen Fertigkeiten werden Hintergrundinformationen wie eine Motivation, ein dunkles Geheimnis und auch das Trauma, das alles gestartet hat, festgelegt. Attribut und Fertigkeit addiert ergeben die Anzahl an W6, die für eine Probe gewürfelt werden. Jede 6 ist ein Erfolg. Man kann einen schlechten Würfelwurf versuchen zu verbessern, indem man ihn noch einmal würfelt. Allerdings nimmt man dafür einen Zustand hin. Zustände beschreiben Verwundungen und Stress, die sich negativ auf die Figuren auswirken und bis zu permanenten Beeinträchtigungen oder sogar dem Tod führen können.
Das Regelbuch geht genau auf die Struktur einer typischen Kampagne und den Aufbau von Abenteuern ein. Zum Beispiel gibt es in der Burg und drumherum immer wieder Probleme, die es zu bewältigen gilt. Dafür kann man die Burg mit Upgrades versehen, die ihre Nützlichkeit als Hauptquartier erweitern. Allerdings führen diese zu Aufmerksamkeit und diese wiederum zu weiteren Problemen. Ein Abenteuer besteht aus definierten Phasen (Prolog, Einladung ins Abenteuer, Vorbereitungen, Reise, Ankunft usw.). Für diese Phasen werden sogar Tabellen geliefert, die man als Inspiration für eigene Fälle nutzen kann.
Ein großes und wichtiges Kapitel widmet sich den Vaesen selbst. Jeweils eine Doppelseite beschäftigt sich mit einer einzelnen der Kreaturen. Es gibt ein Bild, Spielwerte, ein Geheimnis, Beispiele für Konflikte mit dem Wesen und andere inspirierende Informationen. Ein Abenteuer mit der jeweiligen Kreatur schreibt sich praktisch von selbst – besonders wenn man auf die typische Struktur von „Vaesen“-Abenteuern zurückgreift. Hier sieht man gut, dass der Horror-Aspekt von „Vaesen“ zwar klar gegeben ist, aber zugunsten von Mystik auf ein Minimum reduziert werden kann.
Das im Regelbuch enthaltene Einführungsabenteuer „The Dance of Dreams“ konnte ich als Spieler auf einer Con mit großem Spaß spielen. Auf einem gut gewählten und hervorragend in Szene gesetzten Schauplatz hatten wir es mit Rache, Missverständnissen, Schattentheater und tiefsitzenden Familienproblemen zu tun. Das Abenteuer macht nicht nur Spaß, es zeigt auch hervorragend, wie der typische Aufbau funktioniert. Wenn es etwas zu kritisieren gibt, dann die viel zu langen und schlecht lesbaren Handouts. Ein Podcast ((https://podcast.system-matters.de/2022/03/31/abenteuer-erforschen-10-der-tanz-der-traeume/)), in dem wir gemeinsam mit Felix Hensell vom Uhrwerk-Verlag (Redakteur der deutschen Übersetzung des Spiels) die Stärken und Schwächen des Abenteuers analysieren, findet man auf der Webseite des System-Matters-Verlags.
Das Ende des Buches bildet ein Anhang mit Tabellen, die für eine alternative Charaktererschaffung genutzt werden können.
Fazit: „Vaesen“ ist ein tolles Spiel. Das Buch sieht super aus, bietet gute, einfache Regeln und ein hervorragendes Gerüst für mystische Abenteuer in einem vergangenen Skandinavien. Es liest sich flüssig und erleichtert der Spielleitung jederzeit mit Tipps, Informationen und Strukturen die Arbeit. Mehr kann man nicht verlangen.
Vaesen – Nordic Horror Roleplaying
Grundregelwerk
Nils Hintze, Rickard Antroia, Nils Karlén
Free League 2020
ISBN: 978-9-18914-392-0
232 S., Hardcover, englisch
Preis: 498,00 SEK (ca. 44,00 EUR)
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