Candela Obscura

Der „Dungeons & Dragons“-Twitch-Channel von „Critical Role“ hat längst Kultstatus erreicht. Die sieben Schauspieler und Synchronsprecher unter der Leitung von Matt Mercer haben sich mit großen Kampagnen in die Herzen zahlreicher Zuschauer gespielt. Nach der Gründung des eigenen Verlages Darrington Press legt die Runde nun mit „Candela Obscura“ ein eigenes Rollenspiel vor.

von André Frenzer

Rollenspiele im Allgemeinen und „Dungeons & Dragons“ im Besonderen erfahren in diesen Zeiten eine gewisse Renaissance. Angetrieben durch sogenannte „Let’s Play“-Videos, in denen man Spielgruppen beim Rollenspiel zusehen kann, hat das oftmals als „angestaubt“ geltende Pen&Paper-Hobby ein neues Zielpublikum erschlossen. Zwar gibt es auch im deutschsprachigen Raum einige recht bekannte Gruppen – allen voran sicher die „Rocket Beans“ –, doch insbesondere im englischsprachigen Raum haben sich einige Casts mit solider und wachsender Fanbasis etabliert. 

Ein solches Phänomen ist die Truppe um Matt Mercer, welche sich den Namen „Critical Role“ gegeben hat. „Critical Role“ ist mittlerweile viel mehr als ein Stream, in dem man Rollenspielern beim Spielen über die Schultern sehen kann. Der Cast betreibt weitere Projekte wie eine Talkshow, Malworkshops oder Spielleiter-Tutorials, es gibt zahlreiches Merchandise vom Button bis zum Würfelbeutel zu erstehen und mittlerweile ist Matt Mercers Spielwelt „Tal’Dorei“ auch bereits in mehreren Quellenbänden beschrieben worden. 

Zuletzt erhielt die erste Kampagne „Vox Machina“ sogar eine eigene Zeichentrickserie. Und mit dem eigens gegründeten Verlag Darrington Press erscheint auch weiteres, eigenes Rollenspielmaterial – wie eben „Candela Obscura“, welches auch eigene Twitch-Episoden erhalten hat. Pegasus legt nun die deutsche Version dieses Rollenspiels vor.

Aufmachung

Zunächst einmal fällt die wirklich schöne Aufmachung des Bandes ins Auge. Das gewählte Format ist etwas kleiner als das handelsübliche A4 und liegt ganz hervorragend in der Hand. Das Cover wurde in schlichtem Schwarz mit eingeprägten Sigillen – magischen Symbolen – und einem einprägsamen Schriftzug gestaltet und wirkt sehr edel. Das Hardcover wurde in einem angenehm weichen Material eingebunden, und ein Lesebändchen rundet den optisch gelungenen Außeneindruck gelungen ab. Doch auch das Innenleben weiß zu gefallen: Der Band ist komplett vollfarbig gehalten und sauber und großzügig layoutet. Die Illustrationen sind von sehr unterschiedlicher Machart, fangen aber allesamt die Atmosphäre des Spiels gut ein. Optisch gibt es wahrlich nichts zu meckern.

Inhalt

Inhaltlich erwarten den erfahrenen Rollenspieler wenig Überraschungen. Einer Einführung in das Rollenspiel an sich schließt sich die Erklärung der Grundregeln an. Es folgt die Charaktererschaffung sowie eine Einführung in die Welt von „Candela Obscura“. Ein Spielleiterkapitel mit einigen Beispielabenteuern runden dann den Inhalt, wie man ihn von einem Grundregelwerk erwarten darf, ab.

Das Spielsystem wurde eigens für „Candela Obscura“ entworfen und „Illuminated Worlds“ getauft. Schlussendlich handelt es sich um ein recht simples Pool-System: Jeder Charakter verfügt über drei Attribute – hier „Antriebe“ genannt –, namentlich Koordination, Gewitztheit und Intuition. Hierunter fallen dann insgesamt neun Fertigkeiten – oder „Aktionen“ – wie Bewegen, Deuten, Umsehen oder Zulangen. Während der Charaktererschaffung werden Punkte auf die Aktionen verteilt, welche bei einer Probe jeweils einen W6 liefern; ein Ergebnis von 1 bis 3 gilt als Misserfolg, eine 4 oder 5 als Teilerfolg und eine 6 als voller Erfolg. Die Anzahl von Würfeln kann durch Zusatzpunkte aus den „Antrieben“ erhöht werden, welche dann aber erst zurückverdient werden müssen.

Die Welt von „Candela Obscura“ ähnelt unserer Erde im ausgehenden 19. Jahrhundert beziehungsweise dem beginnenden 20. Jahrhundert. Zwar hat man eigens eine Landkarte entworfen und die meisten Orte haben einen anderen Namen erhalten; allerdings erkennt man recht genau, welche irdischen Städte oder Orte Pate standen. Durch ein eigenes politisches Geflecht und einen gerade zurückliegenden Großen Krieg zwischen den Nationen der Welt erhalten die „Fairelands“ – so der Name der Region – allerdings eine gewisse eigene Note. 

Kernpunkt des Systems ist die titelgebende Organisation „Candela Obscura“, welche magischen Phänomenen nachspürt und ihre Auswirkungen einzugrenzen versucht. Die Spielenden schlüpfen in die Rolle von Zirkelmitgliedern, welche sich eben diesen Zielen verschrieben haben. Und die Magie ist hier etwas Verdorbenes und Gefährliches, denn sie setzt sogenanntes „Bleed“ frei, eine verändernde und gefährliche Substanz. „Candelas Obscura“ versteht sich als Horror-Rollenspiel und so sind die vorgestellten Kreaturen und Artefakte, welche Magie in die Fairelands bringen, auch allesamt garstiger Natur.

Das Spielleiterkapitel schließlich vertieft und erklärt einige Regelmechanismen – so würfelt zum Beispiel die Spielleitung nie selbst, sondern reagiert nur auf die Wurfergebnisse der Spielenden. Außerdem werden einige Beispielmissionen für „Candela-Obscura“-Zirkel mitgeliefert, welche allerdings nur sehr grob umrissen werden.

Kritik

Der Bibliophile in mir liebt „Candela Obscura“. Das Buch ist wirklich chic aufgemacht, reichhaltig illustriert und liegt gut in der Hand.

Der Rollenspieler in mir ist entsetzt, wie sehr ein schöner Einband täuschen kann. Dass weder die Welt der Fairelands noch die geheime Gesellschaft Candela Obscura selbst auch nur einen Hauch von Originalität versprühen: geschenkt. Immerhin kann man nicht jedes Mal das Rad neu erfinden und auch eine gut zusammengeklaute Mischung kann ja ein recht geschmackvolles Menü ergeben. Rollenspieler mit einer gewissen Erfahrung im Genre dürften dennoch reichlich enttäuscht sein. Auch, dass „Candela Obscura“ den mir völlig unerklärlichen Fehler begeht, als „narrativ“ gelten zu wollen und zugleich in den Regeln eine auf Metaebene stattfindende Schacherei um Würfel und Punkte zu installieren, ist nur ein handwerklicher Schnitzer. Das System ist zwar sehr schwammig und wenig balanciert, erfüllt aber seinen grundlegenden Zweck – auch wenn es zumindest teilweise alles andere als narrativ ist.

Selbst über die unaufhörlichen, politisch gefärbten Belehrungen, welche uns die „Obscura“-Autoren mit auf den Weg geben (über Sicherheitsmechanismen, Rücksichtnahme und all das moderne Chi-Chi, welches wir heute in Rollenspielen erwarten müssen), kann ich mit einem genervten Augenrollen hinwegsehen. Ja, sogar die Tatsache, dass die Autoren wohl davon ausgehen, dass ausgerechnet ihr dünnes und aus bekannten Versatzstücken zusammengesetztes Werk DAS Spiel ist, welches uns regelmäßig in den tiefsten Abgrund unserer Psyche führen wird, und sie deswegen ausführlich über die Möglichkeiten referieren, wie man dennoch eine gute Atmosphäre für gemeinsames Spiel findet, kann ich mit Humor nehmen.

Wenn ich dann allerdings im Spielleiterkapitel lese, dass man auf Spielwerte für Kreaturen verzichten könne, weil die Spielleitung ja anhand der Spannungskurve einfach entscheiden könne, wann ein Kampf vorüber sei – ja, da steige ich dann doch aus. Das, meine lieben Autoren, hat mit Rollenspiel und den dort zu machenden Erfahrungen eben nichts gemein. Dann können wir uns die ganze Würfelei doch direkt sparen und uns eine nette Geschichte erzählen.

Nein, inhaltlich gehört „Candela Obscura“ zu den langweiligsten und handwerklich zu den schlechtesten Rollenspielen, die ich in meiner langen Karriere in den Händen hatte.

Fazit: Wer gerne seichte Gruselgeschichten ohne viel Innovation mit einem dünnen Regelkorsett in Wohlfühlatmosphäre erzählen möchte, der darf einen Blick riskieren. Rollenspieler sollten hier einen großen Bogen machen.

Candela Obscura
Grundregelwerk
Spenser Starke, Rowan Hall u. a.
Pegasus Spiele 2025
ISBN: 978-3-96928-154-3
216 S., Hardcover, deutsch
Preis: 39,95 EUR

bei pegasus.de bestellen
bei amazon.de bestellen