von Jens Krohnen
Simon Stalenhag ist ein schwedischer Künstler, der in den vergangenen Jahren für Furore in der Science-Fiction-Szene sorgen konnte. Er fertigt digitale Bilder hoher Kunstfertigkeit an, die alltägliche Szenen mit unglaublicher Technologie verbinden. Mittlerweile hat er viele seiner Bilder in bebilderten Romanen zusammengefasst. Aus seiner Feder stammen zum Beispiel „The Electric State“, „Things from the Flood“ und eben auch „Tales from the Loop“, das Buch, welches Pate für das gleichnamige Rollenspiel vom schwedischen Verlag Fria Ligan stand.
Fria Ligan setzte – ganz modern – auf das Mittel des Crowdfundings, um „Tales from the Loop“ zu finanzieren. Auch die von Free League Publishing und Modiphius Entertainment herausgebrachte englische Variante wurde über die Crowd finanziert. Herausgekommen ist ein lose auf der „Mutant: Year Zero“-Engine basierendes Rollenspiel mit einem besonderen Flair.
Hintergrund
„Tales from the Loop“ nutzt als Hintergrund unsere Welt, spielt allerdings in den 1980ern. Wer sich erinnern mag: „E.T.“, „Ghostbusters“ oder „Die Goonies“ begeisterten im Kino, Van Halen landete mit „Jump“ einen Megahit, der Siegeszug der VHS-Kassette begann und für die Teenager der damaligen Zeit war der Walkman der beste Freund. Doch natürlich unterscheidet sich die Welt von „Tales from the Loop“ in einem entscheidenden Detail von der uns bekannten: Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg wurde eine Magnet-Technik entdeckt, mit dessen Hilfe Luftschiffe gebaut wurden, die auf den Magnetbahnen der Erde fliegen können. Diese sogenannte Magnetrin-Technik führte auf diversen Sektoren zu einer schnelleren Fortentwicklung der Technik. So sind zum Beispiel Roboter in den 1980ern des „Loop“-Universums keine Seltenheit.
In Schweden entstand in den 1960ern ein einzigartiges Forschungszentrum, um die Technik und ihre Möglichkeiten weiter voranzutreiben: Auf einer Inselgruppe nahe Stockholm entstand der sogenannte „Loop“. Hier versuchen Forscher aus aller Welt ihre – teils verrückten, teils unmöglichen – Ideen in die Tat umzusetzen. Weithin sichtbar sind drei gigantische Kühltürme, welche einen gigantischen, unterirdischen Teilchenbeschleuniger auf Betriebstemperatur halten. Forschungslabors, Werkstätten und Maschinenparks runden den „Loop“ ab. Neben dem schwedischen Setting liefert „Tales from the Loop“ auch eine amerikanische Kleinstadt mit, in der eine ganz ähnliche Anlage in Betrieb genommen wurde. So können Spieler zwischen zwei unterschiedlichen Settings das vertrautere wählen.
In „Tales from the Loop“ schlüpfen die Spieler in die Rolle von Kindern. Diese gehen unheimlichen oder merkwürdigen Begebenheiten nach, die rund um den „Loop“ geschehen. Der Kreativität des Spielleiters sind dabei prinzipiell keine Grenzen gesetzt, denn die verrückte Wissenschaft und die Möglichkeiten des Magnetrin-Effektes lassen alle erdenklichen Phantastereien geschehen. Ob Dinosaurier durch ein Zeitportal in unsere Zeit gelangen, Roboter Amok laufen oder sich Menschen plötzlich seltsam abwesend verhalten – all das kann seinen Grund im „Loop“ finden.
Regeln
Wie erwähnt basiert „Tales from the Loop“ auf einer abgespeckten Version der „Mutant: Year Zero“-Regeln. Das Würfelsystem ist ein einfaches Pool-System: die Summe aus einem Attribut und einer passenden Fertigkeit ergibt den Pool sechsseitiger Würfel, jede geworfene Sechs zählt als Erfolg. Eine wichtige Prämisse des Spiels ist es, dass die Kinder nicht sterben können. Vielleicht werden sie gefangengenommen oder außer Gefecht gesetzt, doch sie können nicht das Zeitliche segnen. Entsprechend sind die Regeln für Schaden und Kampf ebenfalls sehr knapp ausgefallen und laufen letztendlich nur auf verschiedene Zustände hinaus – so kann ein Kind aufgewühlt oder erschöpft sein und dadurch Mali auf seine Proben erhalten.
Auch die Charaktererschaffung geht leicht von der Hand. Man wählt einen Archetyp für sein Kind aus – wie zum Beispiel die Leseratte, den Computer-Nerd oder den Sportler – und verteilt anschließend Punkte auf seine vier Attribute. Fertigkeiten werden durch den Archetyp beeinflusst. Anschließend legt man die Beziehungen zu den anderen Kindern und einigen Bezugspersonen fest. Man merkt hier schnell, dass „Tales from the Loop“ ein narratives System sein möchte, dass den Schwerpunkt eher auf die Erzählung als auf die Würfelmechanismen legt.
Mysterien
Die Abenteuer, welche die Kinder in „Tales from the Loop“ erleben, werden als Mysterien bezeichnet. Neben einer umfangreichen Erklärung, wie ein Mysterium aufgebaut sein sollte, und einigen Abenteueraufhängern, liefert das Grundregelwerk auch gleich vier spielfertige Mysterien mit, die zusammen eine Kampagne rund um eine verrückte Wissenschaftlerin ergeben. Das Spielleiterkapitel gefällt mir ausnehmend gut. Es überspringt zwar die generellen Spielleitertipps, die man an dieser Stelle erwarten könnte; dafür führt es hervorragend in die Mysterien des „Loop“-Rollenspiels ein, ohne irgendwelche Beschränkungen aufzuerlegen. Die vier mitgelieferten Abenteuer decken ein breites Spektrum unterschiedlicher Möglichkeiten ab. So gibt es Szenarien, die eher an einen Horrorfilm erinnern, während andere eher an klassische Kinder-Detektiv-Geschichten erinnern. Diese Mischung hat definitiv Charme.
Optik
„Tales from the Loop“ ist opulent mit den fantastischen Bildern Simon Stalenhags bebildert. Seine Kreationen zieren oftmals großformatig die einzelnen Seiten. Die Qualität der Bebilderung ist großartig: Mit satten Farben sticht sie hervor und sorgt für Atmosphäre auf jeder entsprechenden Seite. Hier und da wurde es mit der Farbsättigung etwas übertrieben. Da gehen mal Details in dunkleren Bildbereichen verloren. Aber das fällt kaum ins Gewicht und ist Jammern auf hohem Niveau. (In der PDF-Ausgabe sind die Helligkeitswerte noch etwas besser ausgefallen.)
Charaktere und Kreaturen aus den Mysterien werden oft mit einfachen Bleistiftskizzen dargestellt, die sich jedoch erstaunlich gut in das Gesamtbild einfügen. Das Layout des Bandes ist mit großen Überschriften, klar lesbaren Extrakästen und sonst einem unaufgeregten Blocksatz angenehm übersichtlich gehalten. Technisch gibt es damit praktisch nichts zu meckern.
Kritik
Was soll ich sagen? „Tales from the Loop“ hat mich von der ersten bis zur letzten Seite begeistert. Das Regelwerk ist simpel und rasch verinnerlicht. Der Hintergrund in seiner Mischung aus 1980ern und technologischer Science-Fiction ist einmalig. Die Mysterien des „Loops“ versprechen eine Mischung aus Kinder-Detektiv-Abenteuern und hoch fantastischen Elementen. Wer mit diesen Tropen etwas anfangen kann, der wird auch „Tales from the Loop“ mögen.
Kritik ergibt sich allerdings im Detail. Die Archetypen, welche zur Charaktererschaffung zur Auswahl stehen, sind reichlich klischeebeladen. Das muss kein Nachteil sein, ich will es aber nicht unerwähnt lassen. Durch die simple Charaktererschaffung ist auch die spieltechnische Differenzierung zwischen den einzelnen Charakteren eher schwierig. Auch die Fertigkeitenliste sieht einige oft redundante Fertigkeiten vor und hätte eine etwas andere Sortierung vertragen. Doch schmälert das alles bei mir nicht den Wunsch danach, mich in den 1980ern mit größenwahnsinnigen Wissenschaftlern zu messen, die ihre Erfindungen unterschätzt haben.
Fazit: Großartige Bilder, ein unverbrauchtes Setting, simple Regeln und ein hilfreicher Spielleiterbaukasten. „Tales from the Loop“ spricht natürlich einen bestimmten Spielstil an; wer sich jedoch mit dem Gedanken anfreunden kann, Kinder auf der Suche nach der Wahrheit zu spielen, sollte hier unbedingt einen Blick riskieren. Unbedingt.
Tales from the Loop
Grundregelwerk
Simon Stalenhag, Nils Hintze, Tomas Härenstam u. a.
Free League Publishing / Modiphius 2017
ISBN: 978-1910132753
194 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 48,95
bei amazon.de bestellen