Undiscovered Country 4 – Zerrissenheit

„Das sind Zeiten, die die Seele auf die Probe stellen“, so wird Thomas Paine in „Undiscovered Country 4“ zitiert. Angelehnt ist dieses Zitat an die erste Zeile aus „The American Crisis“ aus dem Jahre 1776: „These are the times that try men’s souls“ („Dies sind die Zeiten, die die Seelen der Menschen in Versuchung führen“). Mit diesem vierten Band basteln Scott Snyder und Charles Soule weiter an ihrer dystopischen Geschichtsreihe über die Vereinigten Staaten von Amerika. Die Zone, um die sich nach „Schicksal“, „Einheit“ und „Möglichkeit“ alles dreht, ist die Zone „Geschichte“. Dem Roadtrip geht der Sprit nicht aus. Was kann „Geschichte“ lehren?

von Daniel Pabst

Die Fortsetzung von „Undiscovered Country“ ist nun im Handel erhältlich. Nach mehr als einem Jahr Wartezeit sind im vierten Band mit dem Titel „Zerrissenheit“ die amerikanischen Ausgaben #19-24 in deutscher Übersetzung zu lesen. Als Bonus enthalten ist eine Geschichte zum „Destiny Man“. Der Text stammt wieder von Scott Snyder und Charles Soule. Für die Vorzeichnungen und die Layouts ist Giuseppe Camuncoli verantwortlich. Die Tuschezeichnungen stammen von Leonardo Marcello Grassi und die Farben sind von Matt Wilson. Am Ende des Bandes wurden Cover und Skizzen zum „Destiny Man“ und anderen Figuren eingefügt.

Den Beginn von „Zerrissenheit“ macht die Bonus-Geschichte zum „Destiny Man“. Er verfolgt die Leserinnen und Leser seit Band 1 und wütete erst in seiner Zone, die als Kulisse eines Mad-Max-Films dienen konnte. In einer Welt „ohne echte Gesetze oder Regeln“ lernte der Mann früh, ums eigene Überleben zu kämpfen und schuf sich einen äußeren Panzer, der den Blick in seine Innenwelt verdeckte. Denn der „Schicksalsmann“, so erfahren die Lesenden, wurde von den Eltern verstoßen und suchte sich seinen Platz in der Gesellschaft. Diese Geschichte ist ein starker Einstieg, da sie sich an einer Erklärung für das Handeln des „Destiny Man“ versucht.

Sodann geht der Hauptstrang der Geschichte von „Undiscovered Country“ weiter. Die Gruppe an Helden wurde durch den Sprung in die neue Zone „Geschichte“ voneinander getrennt. Während Charlotte und Valentina sich inmitten des Amerikanischen Bürgerkriegs wiederfinden, sind die anderen um Chang und Janet in einer alternativen Wirklichkeit gefangen, in der „Pax Americana“ herrscht. „Pax Americana“ ist nämlich ein Satellitenstaat der Vereinigten Staaten von Amerika, und er liegt im heutigen Peking! Warum das so ist, müssen die Helden erst herausfinden. Nur wenn sie eine Antwort gefunden haben, kommen sie aus dieser Zone heraus ...

In „Undiscovered Country 4“ wird von den Leserinnen und Lesern wieder viel Geschichtswissen abverlangt. Vor allem für diejenigen, die sich für die Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika begeistern, ist das reizvoll. Beispielhaft erleben die Lesenden den sagenumwobenen Mitternachtsritt von Paul Revere in der Nacht des 18. April 1775, in dem er vor den herannahenden Briten gewarnt haben soll. Ein anderes Mal sind die Lesenden „live“ dabei, als in Pearl Harbor die Bomben einschlagen. Schnell wir klar, dass die Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika auch eine Geschichte des Krieges ist. Charlotte und Valentina durchleben neben der Amerikanischen Revolution und dem Bürgerkrieg auch den Krieg von 1812 und sehen hautnah, wie das „Weiße Haus“ niedergebrannt wird.

Bei all den Geschichtsdaten und den lebendigen Zeichnungen dieser Zeiten könnte man meinen, einen Auszug eines amerikanischen Geschichtsbuchs in den Händen zu halten. Doch die Autoren Scott Snyder und Charles Soule wissen, wann sie die Zeitebenen zu wechseln haben, damit es abwechslungsreich bleibt. Hinzu kommen sonderbare Mensch-Maschinen-Wesen, die ihr Wissen über die Geschichtszone preisgeben und nicht nur mit den Charakteren teilen. Der „History Buff“ regt dabei zum Nachdenken an, indem er fragt, welchen Stellenwert die Zeit hat – in Anbetracht dessen, dass die Menschheitsgeschichte nur einen klitzekleinen Teil ausmacht.

Die Zeichnungen wurden größtenteils in Pastellfarbenen koloriert. So wird der Stil der vorigen Bände sehr schön fortgesetzt und gibt dem Ganzen einen angenehmen Touch. Nicht abschrecken lassen darf man sich – neben den Geschichtsfakten und Variationen – jedoch nicht von den Dialogen in „Undiscovered Country 4 “. Denn die Panels sind textreich und gehen dadurch in die Tiefe. Durch den Titel „Zerrissenheit“ haben Snyder und Soule zudem insgeheim eine politische Message eingebaut. Denn trotz der „einenden“ Kriege und Kämpfe, die die Helden als „Zeitreisende“ nacherleben, scheint eine Einigkeit in weiter Ferne. Wie sich die Zerrissenheit zusammenflicken lässt, darüber rätseln also nicht nur die Charaktere im Comic. Im Hinblick auf den amerikanischen Wahlkampf zum 5. November 2024 liest sich dieser Comic daher um Längen intensiver.

Fazit: „Undiscovered Country 4“ liefert eine gelungene Fortsetzung. Das Warten hat sich also gelohnt. Durch die historische Zone, die dieses Mal durchstreift wird, richtet sich der Comic insbesondere an diejenigen, die sich für die Vereinigten Staaten von Amerika interessieren. Die Tiefe, die Scott Snyder und Charles Soule mit ihrer Geschichte erreichen, erstaunt und kostet gleichzeitig Kraft beim Lesen. Das hier ist kein Comic für Zwischendurch und ohne schnelle Action. Angereichert mit Zitaten wie von John F. Kennedy (1963): „Veränderung ist ein Naturgesetz. Jene, die nur nach Gestern oder gen Morgen schielen, werden die Zukunft verpassen“, lädt dieser Comic nach dem Lesen dazu ein, über den Tellerrand zu blicken. To be continued …

Undiscovered Country 4 – Zerrissenheit
Comic
Scott Snyder, Charles Soule, Giuseppe Camuncoli, Leonardo M. Grassi
Cross Cult 2024
ISBN: 978-3-98666-270-7
170 S., Hardcover, deutsch
Preis: 22,00 EUR

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