von Lars Jeske
Rick Grimes muss sich ob seines fortgeschrittenen Alters und seiner Verletzungen mit seinen methusalemischen 38 Jahren langsam damit abfinden, dass er zu alt ist, um sich in jedes Gefecht zu stürzen. Als Stratege im Hintergrund und für das Große und Ganze ist er weiterhin essenziell wichtig, er sieht jedoch ein, dass er nicht derjenige ist, der über militärische Taktiken Bescheid weiß. Dwight hingegen schon. Er hatte sein Amt als Anführer der Gruppe der ehemaligen Erlöser hingeworfen, da er sich selbst nicht in der Rolle eines Anführers sieht und die Last der Verantwortung nicht tragen möchte, und übernimmt für Rick. Er hat für Kämpfe und militärische Führung ein Händchen, und Rick kann diese Position somit guten Gewissens und mit Erleichterung in fähige Hände eines seiner Vertrauten abgeben.
Somit kann er sehr gut den Drill übernehmen, um die Verteidigung von Alexandria effizient vorzubereiten und die Leute zumindest grundlegend an Waffen und in strategischem Verhalten schulen. Ebenso bitten sie bei ihren Verbündeten der anderen Gemeinschaften auf der Anhöhe, im Königreich und im Sanctuary um Unterstützung bei diesem Krieg. Aufgrund der jüngsten Ereignisse und der Veränderung des jeweiligen Machtgefüges an diesen Orten, sind diese Anfragen offen und nicht klar, ob Hilfe rechtzeitig eintreffen würde. Unterdessen bekommt man keine Informationen über die Gegner, wodurch die Spannung erhöht wird, da man nicht mehr weiß als die Verteidiger. Dann ist es soweit, die erste Schlacht beginnt und alles wird unübersichtlich.
Als Leser wird einem in diesem mittlerweile 27. Band „Der Krieg der Flüsterer“ weitaus mehr an Konzentration abverlangt als im Durchschnitt bei dieser Reihe. Dadurch, dass die Handlung der kriegerischen Auseinandersetzungen auf mehrere Standorte und unter mehreren Personen mit diversen Taktiken verteilt ist, sollte man wissen, wo sich welche Charaktere befinden, um nicht hoffnungslos ob der visuellen Informationsmenge vom Strom der Ereignisse weggerissen zu werden. Um inhaltlich viele Details abzubilden, werden viele kleine Bilder benutzt, die den Verlauf der Kämpfe umreißen und kurze Schlaglichter auf Situationen werfen. Sechzehn Bilder auf einer Seite sind bedeutend mehr als die üblichen drei bis acht und sorgen für zusätzliche Dramatik beim Konsumieren des Heftes.
Die Bilder an sich sind etwas ungenauer gezeichnet und mehr skizziert, aber das passt gut zu den Ereignissen und der Idee eines schnellen, dynamischen Kampfes. Die Charaktere erkennt man dennoch hinreichend gut und kann mitfiebern. Neben dieser stilistischen Seite, ist inhaltlich die Rückkehr von Negan ein permanenter Stachel, nicht nur im Kopf von Rick. Auch der Leser weiß nicht, was dieser durchtriebene, manipulative Psychopath wirklich denkt und was ihn antreibt. Sich also neben den Feinden von außen auch um die innerhalb der Gemeinschaft zu kümmern, sorgt nicht unbedingt dafür, ohne Ablenkung die besten Entscheidungen zu treffen, während den Leser die ganze Zeit die Unruhe umtreibt, was dieser Charakter als nächstes ausheckt.
Am Ende dieser Ereignisse ist man selbst als Leser erschöpft (wenngleich natürlich bedeutend weniger als die Protagonisten) und braucht erst einmal eine Pause. Aber wie es eben in einem Krieg ist, kann man sich nur dann kurze Gefechtspausen nehmen, wenn dies der Feind zulässt. Der aktuelle hat das jedoch als allerletztes im Sinne. Denn es ist dieses Mal nicht nur ein Konflikt um ein Territorium oder Vorräte, sondern es ist beinahe persönlich. Es geht um eine unterschiedliche Ideologie und die Zerstörung der anderen Fraktion. Da werden keine Pausen eingelegt und keine Gefangenen gemacht.
Fazit: Nach den Vorbereitungen im letzten Band, ist nun in „Der Krieg der Flüsterer“ der Krieg im vollen Gang. Für den Leser besonders interessant sind die verschiedenen Kniffe, die sich die Verteidiger überlegt haben. Da nicht alles vorher dem Leser erläutert wurde, gibt es auch hierbei Überraschungen. Ebenso wird man von einer wahren Bilderflut mitgerissen. Wohl dem, der sich beim Lesen konzentrieren kann, um den Ereignissen genau folgen zu können. Aufgrund des gesamten Hintergrundes der Konfrontation erlebt man hier eine nie geahnte Intensität, die selbst für die Welt von „The Walking Dead“ in den Comics nicht alltäglich ist. Die aktuelle Geschichte mit den Flüsterern, die die letzten Bände dominiert, ist bisher hervorragend umgesetzt und offenbart den aktuell hohen Anreiz des Weiterlesens und die Qualität der Comic-Reihe.
The Walking Dead 27: Der Krieg der Flüsterer
Comic
Robert Kirkman, Charlie Adlard, Stefano Gaudiano, Cliff Rathburn
Cross Cult 2022
ISBN: 978-3-96658-731-0
134 S., Softcover, deutsch
Preis: 8,99 EUR
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