Space 1889 Grundregelwerk

„Alles, was Jules Verne hätte schreiben können.

Alles, was H.G. Wells hätte schreiben sollen.

Alles, woran Arthur Conan Doyle dachte,

aber nie veröffentlichte – weil es zu phantastisch war.“

(Klappentext von Space: 1889)

 

von Tufir

Bei solchen Autorennamen, wie den oben erwähnten, tauchen vor dem geistigen Auge Bilder auf, die einen in eine Abenteuerwelt eintauchen lassen, die ihresgleichen sucht. Fremde Welten, scheinbar unlösbare Verbrechen, technische Entwicklungen, die ihrer Zeit weit voraus sind, und vor allen Dingen Gentlemen im Sinne des Wortes und extrovertierte Frauen in ausufernden Klamotten. Im Steampunk-Genre steht alles im Zeichen der Dampfkraft und der außergewöhnlichen Erfindungen, von denen einige bereits bei Jules Verne zu finden sind. Das Genre erfreut sich großer Beliebtheit, und gerade deshalb ist es wenig verwunderlich, dass immer mehr Romane, Spiele und auch Musik den Weg in die Regale finden.

Im Rollenspielbereich finden sich erste Steampunk-Ausprägungen bereits in den frühen 1980ern. Das Erscheinen von „Space 1889“ in Amerika im Jahre 1988 und den vielen Brett- und Computerspielen und auch Romanen legte den Grundstein für dieses Rollenspielgenre. Bis zur deutschen Übersetzung hat es nun etwas mehr als 20 Jahre gedauert und gäbe es nicht den Uhrwerk Verlag und Stefan Küppers, den Redakteur der deutschen Ausgabe, dann würden wir möglicherweise immer noch auf dieses warten und müssten weiterhin in englischen Büchern nach Abenteuern auf der Erde, dem Mars, der Venus und dem Merkur suchen.

Der erste Blick auf und ins Buch ist ansprechend und macht deutlich Lust auf mehr. Man wird von einer Karte des Mars begrüßt und erblickt beim Weiterblättern bräunlich eingefärbte Seiten, die sehr gut zur Epoche und zur Stimmung des Rollenspiel passen, was man beim anschließenden „Lesen“ auch bestätigt bekommt. Das Werk hat ein tolles Layout und die Bilder sind detailliert gezeichnet und vermitteln eine gute Vorstellung der Welten und deren Bewohner. Im hinteren Teil des Buches finden sich einige graue und einige farbige Seiten, die sich den Charakteren widmen. Den Abschluss bildet eine Karte der Venus.

Am Anfang des Textbereiches steht das Vorwort von Stefan Küppers, in dem etwas zur Entstehung und dem Hintergrund von „Space 1889“ gesagt wird. Daran schließt ein Einstiegskapitel an, in dem die Welt des Rollenspiels näher in Augenschein genommen wird, einige bedeutende Romangenres vorgestellt werden und der Spielleiter dadurch einige Tipps zum Leiten des Rollenspiels erhält.

Die nächsten knapp 50 Seiten widmen sich der Erde, der alternativen Geschichte und wie eine wichtige Erfindung, namentlich die der Ätherreisen, die aktuelle Gesellschaft formte und fremde Welten beeinflusste. Die viktorianische Gesellschaft und ebenso die anderer Länder der Welt finden sich hier wieder, dazu auch ein Bestiarium, welches die gefährlichsten Tiere der Erde beschreibt und in Werte fasst. Das Gleiche kann man dann in den Folgekapiteln zu den drei im Spiel bewohnbaren Planeten, Mars, Venus und Merkur finden, wobei hier auch die Bewohner der jeweiligen Planeten und deren Geschichte und nicht nur selbige der Eroberer und Kolonialherren erzählt wird. Hier finden sich wirklich gute Ideen zu Marsianern, Sauriern und zu Schätzen der Welten. Der Mars ist eine Welt mit einer untergegangenen Hochkultur, in deren Ruinen die Marsbewohner auf ihr Ende warteten, bis die Menschen von der Erde kamen, und sie nun neuen Mut zum Leben gefunden haben. Die Venus ist ein großer Dschungel, in dem Dinosaurier ihr Unwesen treiben und der den Bewohnern der Erde zeigt, wie ihre Welt einst war und was sie bereits vernichtet haben. Der Merkur hingegen ist ein extrem junger Planet, auf dem Mineralien und Gase abgebaut werden können und der ansonsten nicht viel zu bieten hat. Wobei Mineralien und Gase für einige natürlich nicht gerade unbedeutend sind.

Der Regelteil des Buches beginnt mit einem Überblick über die Charaktererschaffung, dem ein Beispiel folgt, bevor das Ganze detaillierter vorgestellt wird. Es finden sich typische Archetypen für die Zeit und das Genre und sechs typische Attribute und einige sekundäre Attribute, über die man ebenso kein Wort verlieren muss, wie auch über die Fertigkeiten und die Talente. Zwei für andere RPG-Systeme recht unbedeutende Faktoren, die jedoch das Ubiquity-System auszeichnen, sollten man hier auf jeden Fall kurz erwähnen: Die Motivation, welche  entsprechend anzeigt, was den Charakter antreibt, und die Ressourcen, die so etwas wie Hintergründe mit Werten und dementsprechend mit spielrelevanter Bedeutung sind. Beide Regelmechanismen erscheinen interessant und dürften für „Space 1889“ durchaus Sinn machen. Direkt hinter den Regeln für die Charaktererschaffung finden sich dann auch acht spielfertige Charaktere.

Nach dem Charakterkapitel wird das wirklich einfache Ubiquity-System vorgestellt. Der Spieler wirft eine Anzahl Würfel in Höhe des Attributs plus Fertigkeit und etwaigen Boni und jede gerade Zahl ist ein Erfolg. Je nach Erfolgsschwelle, die Schwierigkeit, muss eine Anzahl von erfolgen geworfen werden, damit eine Probe gelingt. Mehr ist es nicht und das System ist schnell verstanden und passt absolut zum Hintergrund des Spiels. Ein wichtiger Aspekt, der sich aus der bereits vorgestellten Motivation ableitet, ist die Regel der Stilpunkte. Diese Punkte erhält man, wenn man seiner Motivation nach handelt oder sich einer Schwäche hingibt. Diese Punkte kann man einsetzen, um zum Beispiel Zusatzwürfel zu erhalten und Schaden zu reduzieren. Es folgen Regeln zum Kampf, dem Schaden und der Heilung.

Würde zu diesem Punkt nicht noch die Ausrüstung fehlen, könnte man direkt mit dem Spiel loslegen. Diese Ausrüstung findet sich im letzten Kapitel und sie kann sich durchaus sehen lassen. Schöne Bilder illustrieren die Beschreibung von Waffen und Fahrzeugen in Begleitung von durchdachten Werten und guten Beschreibungen.
Im Anhang finden sich schließlich noch viele Inspirationsquellen, mit unterschiedlichen Lesetipps, die auch das „Wie“ des Spielens beeinflussen können. Ein Glossar und ein Index, runden die textliche Information ab. Den Abschluss bildet, wie man es aus anderen Regelwerken gewohnt ist, der schlichte aber doch ansprechende und vor allen Dingen überschaubare Charakterbogen.

Layout, Inhalt und Regeln überzeugen beinahe auf ganzer Linie und auch andere Dinge machen deutlich, dass der Verlag und die Redaktion gute Arbeit geleistet haben. Das Lektorat und das Korrektorat sind wirklich gelungen und auch der Schreibstil ist gut. Langeweile kommt beim Lesen nicht auf, wenn man auch nur ein minimales Interesse am Genre oder dem Werk an sich hat. Das Einzige, das irgendwie fehlt, ist ein ausgearbeitetes Einstiegsabenteuer.

Fazit: „Space 1889“ ist ein sehr gut gelungenes Steampunk-Rollenspielwerk in einer interessanten Variante unserer Welt, bei der eine Erfindung nicht nur eine sondern gleich vier Welten für immer verändert hat. Tolle Bilder und tolle Beschreibungen zeichnen ein klares Bild vor den Augen der Spieler und des Spielleiters, und die Ubiquity-Regeln ermöglichen das Spielen nach vielen Arten, zum Beispiel eher pulpig oder auch eher düster. Es ist also für alle etwas in diesem Spiel, das endlich seinen Weg ins Deutsche gefunden hat, und es wird im Laufe der Jahre den deutschen Rollenspielmarkt sicherlich um einige interessante Details erweitern.


Space 1889
Grundregelwerk
Patric Götz (Herausgeber), Stefan Küppers (Redakteur)
Uhrwerk Verlag 2012
ISBN: 978-3-942012-45-4
263 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 39,95

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