So nicht, Schurke!

„So nicht, Schurke!“ ist ein Rollenspiel, das sich an Kinder richtet. Eltern sollen damit die Möglichkeit bekommen, ihre Kinder ab 4 Jahren an das tolle Hobby „Rollenspiel“ heranzuführen. Dazu gibt es für relativ günstiges Geld eine große Box mit viel Material und noch mehr Ideen.

von Amel

„So nicht, Schurke!“ ist nicht das erste Spiel, das sich an Kinder richtet, es ist jedoch das aufwändigste und größte, das ich kenne. Seien wir ehrlich, erfahrene Rollenspieler, die ihre Kinder (Neffen, Nichten, Patenkinder oder wen auch immer) an Rollenspiel heranführen wollen, benötigen eigentlich keine Regelwerke dafür. Einen Würfel holt man aus dem Brettspielschrank und: „Wer höher würfelt, gewinnt“ genügt, um Konflikte aufzulösen. Ideen sollten auch genug vorhanden sein, denn ein Spiel wird vermutlich nicht länger als 30 oder 60 Minuten dauern, dafür fällt dem Durchschnittsspielleiter genug ein. Die Kinder bringen ohnehin ihre eigenen Vorstellungen mit, auf die man eingehen sollte. Die Frage ist also, was „So nicht, Schurke!“ liefert, das wir nicht selbst problemlos erfinden können.

Die Antwort lautet: Begeisterung! Die Box ist vollgepackt mit Ideen, Geschichten, Figuren und niedlichen Bildern, bunten Würfeln und netten Spielkarten. Ich habe die beiden Hefte an einem Sonntag durchgelesen und hätte am liebsten sofort losgespielt.

Die Box hat die normale Größe, die man heutzutage bei den meisten Gesellschaftsspielen sieht (jedenfalls die Standardgröße von Pegasus-Spielen). Das Bild auf den Deckel der Box finde ich furchtbar. Diesen Stil von Kindern mit unproportional großen und „platten“ Köpfen mochte ich noch nie. Aber das ist wohl Geschmackssache. Dafür sieht man auf den ersten Blick, was einen erwartet. Die Figuren bieten dieselbe bunte Mischung an Ideen, die der Leser in der Box entdecken wird.

In der Box findet man einen Zettel, der erklärt, wo man zu lesen anfängt, ein Regelbuch, ein Abenteuerbuch (beide Softcover), ein paar bunte Charakterbögen, zwei Stanzbögen mit Pappmarkern, 5 sechsseitige Würfel und einen Stapel Karten. Die Würfel sind toll geworden. Sie sind groß, in knalligen Farben und haben das Schurke-Symbol anstatt der sechs. Die Karten sind etwas größer als Spielkarten. Sie könnten etwas stabiler sein, aber es sollte ausreichen. Auf ihnen findet man Bilder von Charakteren, Monstern, Begleitern und Karten mit Tricks der Begleiter. Die dazu passenden Erklärungen sind auf den Karten ebenfalls abgedruckt. So kann man Bilder oder Erklärungen auf den Charakterbogen legen, anstatt darauf zu schreiben. Das ist alles sehr gelungen.

Die Marker sind stabil und hübsch, nur leider viel zu wenige. Spielt man mit zwei Kindern, können sie schon knapp werden, bei drei Kindern muss man Glück haben, damit sie reichen. Beim Spiel mit Kindern ist so etwas besonders ärgerlich, aber zum Glück gibt es auf der Webseite des Uhrwerk-Verlags die Stanz- und Charakterbögen zum Download, sodass man selbst für Nachschub sorgen kann. Falls es irgendwann eine neue Auflage geben sollte, könnte ich mir vorstellen, dass das korrigiert wird.

Das Regelbuch hat etwas über 100 Seiten, große Schrift und viele Bilder. Auf der Rückseite des Buchs ist die Karte von Fabula, dem Land, in dem die Abenteuer stattfinden. Sie ist hübsch und bereitet auf das vor, was uns erwartet. In den Kinderzimmern unserer kleinen Helden gibt es nämlich Tore nach Fabula – auch das Land Nebenan genannt. Die vier Teile von Fabula sind danach benannt, wo man die Tore findet. In „Aus dem Fenster“ erleben die Kinder Abenteuer mit Raumfahrt und Raketen, unter Wasser oder in Rennautos. In „Hinter dem Bücherregal“ gibt es Superhelden, Spione und Dinosaurier. In „Unter dem Bett“ wird es gruselig mit Monstern, dunklen Schlössern, Geistern und Vampiren. „Im Schrank“ finden die Spieler Ritter und Burgen, Drachen und Einhörner, Königinnen und Zauberer. Für jeden Landesteil werden ein paar Örtlichkeiten in kurzen Worten und voller Abenteuer und Abenteuerlichkeiten beschrieben. Hinter den Büchern findet man beispielsweise u. a. den Blaubaumwald, den Krempelhof und das Monstermuseum. Mit dem Schleifen-Schlaufen-Ringel-Zug kommt man von A nach B.

An den genannten Beispielen kann man es schon erahnen: Ich ziehe meinen Hut vor der Übersetzungsarbeit, die hier geleistet wurde. Sehr viele – vermutlich die meisten – Namen sind irgendwelche Wortspiele oder müssen einfach irgendwie niedlich klingen. An manchen Stellen kann man erahnen, wie der Begriff im Englischen wohl gelautet haben mag und wo mir das gelang, ist die Übersetzung (oder genauer Übertragung) ins Deutsche hervorragend gelungen. Miss Terien war vermutlich mal eine Miss Tick; die Schlüsselbeininseln hießen vielleicht Skeleton Key Islands – um nur zwei Beispiele zu nennen. Ich möchte nicht wissen, wie viel Hirnschmalz und Arbeit in die Übersetzung geflossen sind. Das Ergebnis kann sich wirklich sehen lassen.

Die Regeln werden verständlich erklärt. Es gibt ein paar Redundanzen, um die Einstieg zu erleichtern. Die Einleitung erklärt beispielsweise Dinge, die später noch einmal aufgegriffen werden. So wie das hier gezielt eingesetzt wird, ist das eine gute Sache. Diverse kleine Details machen die Regeln zu weit mehr als einfach nur: „Würfle mal.“

Die Charaktere bestehen aus einer Art Charakterklasse – einem Nomen – und abhängig vom Alter der Kinder eventuell noch aus einem Verb und einem Adjektiv. Ein Charakter ist also vielleicht eine „Coole Kämpferin, die das Böse bezwingt“. Das Nomen liefert die Attributswerte, die Ausrüstung, einen Kniff (also eine besondere Fähigkeit wie die Stärke von Superhelden) und mögliche Hintergründe. Ein kleines Kästchen mit anderen Bezeichnungen für das Nomen macht klar, wie einfach man beispielsweise aus einem Spion einen Dieb oder Ninja machen kann. Verben und Adjektive geben weitere kleine Boni oder Besonderheiten. Zusätzlich hat jedes Kind einen Begleiter, wie die kleine Schwester oder einen Alien. Auch die Begleiter tragen zum Erfolg einer Mission bei. Sie beherrschen Tricks, mit denen sie die Kindern unterstützen können.

Die Regeln benutzen einen W6. Je nach Schwierigkeit gibt der Spielleiter eine Zielzahl vor, die auf dem Würfel mindestens gewürfelt werden muss, um beispielsweise auszuweichen oder über eine schwankende Brücke zu balancieren. Ein Kind kann einen Punkt des passenden Attributs ausgeben, um die Zielzahl um eins zu senken. Die Attribute sind Stark, Schnell, Schlau und Fabelhaft. Fabelhaft kann nur eingesetzt werden, um einem anderen Kind zu helfen. Mir gefallen die Regeln. Sie bieten etwas mehr als nur einen improvisierten Würfelwurf und bringen etwas „Spiel“ ins Rollenspiel, ohne auch nur ansatzweise kompliziert zu sein. Über „Fabelhaft“ können die Kinder zusammenarbeiten, was auch toll ist. Die großen Würfel in knalligen Farben, die in der Box sind, dürften ebenfalls zum Spaß beitragen.

Das kurze Monsterkapitel ist angefüllt mit witzigen Gegnern für die Charaktere. Es gibt unter anderem Ritter des Rempelordens, die Schlafmütze, Ninja-Zombies, Robosaurier und Spaßbremsen. Die Zeichnungen gefallen mir nicht alle, sind aber meist recht niedlich.

Das zweite mit 48 Seiten dünnere Heft enthält ein Kapitel mit sinnvollen Spielleitertipps, Spielbeispielen und drei Abenteuer. „Verschollen in den Drachenrotzfällen“ führt die Charaktere zu den gleichnamigen Fällen, um Nüffel, den Kumpel der Bienenkönigin zu retten, der darin verschollen ist. In „Rennen gegen die Zeit“ spielt eine Zeitmaschine verrückt und im „Fluch des Abenteuerlandes“ müssen die Kinder den gleichnamigen Vergnügungspark retten, weil sich die Sonne blau gefärbt hat, was den Fluch auslöste. Alle drei Abenteuer sind niedlich und durchaus spannend. Und vor allem sind sie leicht zu spielen und zu leiten. Spielerhandouts und Bilder, die man den Kindern zeigen kann, machen die Geschichten zusätzlich anschaulich.

Fazit: „So nicht, Schurke!“ hat mir in vielfacher Hinsicht Spaß gemacht. Es steckt voll von Ideen, die den Leser dazu bringen, sofort losspielen zu wollen. Die Regeln sind einfach und gelungen. Die Materialien sind hübsch und vielseitig. Ich freue mich schon drauf, meinen Neffen zu den Drachenrotzfällen zu führen, damit wir Nüffel retten können.

So nicht, Schurke!
Grundregelwerk
Shanna Germain, Monte Cook
Pegasus Spiele, Uhrwerk Verlag
156 S., Box mit 2 Softcovern und Spielmaterial
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