Sandy Petersen’s Cthulhu Mythos DSA

„Das Schwarze Auge“ hat in seiner langjährigen Geschichte bereits viel erlebt. Vom Orkensturm bis zur Wiederkehr des Dämonenmeisters gibt es kaum ein klassisches Fantasy-Motiv, das noch nicht Einzug in Aventurien gehalten hat. Nun gibt es also auch die Möglichkeit, gegen die „Großen Alten“ zu Felde zu ziehen. Lohnt sich das?

von André Frenzer

„Dungeons & Dragons“ und H. P. Lovecrafts Großer Alter Cthulhu haben eine lange, gemeinsame Geschichte. Denn Rollenspielschöpfer Gary Gygax empfahl bereits in seinem berühmten „Appendix N“, jener Leseliste, die er der ersten Edition von „Dungeons & Dragons“ beifügte, seinen Spielern, sich näher mit Autoren aus Providence zu beschäftigen. Und so verwundert es vielleicht nicht, dass bereits in frühen Inkarnationen des ersten Rollenspiels der Welt lovecraftsche Schrecken Einzug hielten. Diese eher ungewöhnliche Symbiose hielt sich dann auch konsequent über die Jahre. Immer wieder gab und gibt es Abenteuer für „Dungeons & Dragons“ oder auch das Derivat „Pathfinder“, die sich dem schrecklichen „Cthulhu-Mythos“ widmen. Die letzte Inkarnation dieser Verbindung, „Sandy Petersen’s Cthulhu Mythos“ für die 5. Edition von „Dungeons & Dragons“ wurde nun für Deutschlands bekanntestes Rollenspiel, „Das Schwarze Auge“, konvertiert.

Sandy Petersen ist natürlich vielen Rollenspielern durch seine Arbeit an „Call of Cthulhu“, dem Urvater aller cthuloiden Rollenspiele ein Begriff. Kaum jemand verfügt über einen derartigen Erfahrungsschatz, wenn es um lovecraftsches Rollenspiel geht, wie Petersen. Für seine eigene Spieleschmiede Petersen Games schuf er vorliegendes Werk, „Sandy Petersen’s Cthulhu Mythos“ für die neueste Inkarnation von „Dungeons & Dragons“. Zoe Adamitz und Alex Spohr besorgten die Konvertierung auf „Das Schwarze Auge“.

Inhalt

Schon ein erster Blick ins Inhaltsverzeichnis verrät die schier unglaubliche Materialfülle, die Petersen hier zusammengetragen hat. Stolze 420 eng bedruckte und großzügig illustrierte Seiten warten auf den Leser. Wer sich bereits ein wenig mit lovecraftschem Rollenspiel auskennt, wird sich gleich heimisch fühlen. So finden sich Regeln für Geistesgestörtheiten, ein Mythos-Grimoire, die geistzersetzenden Folianten des Mythos, liebgewonnene Kulte sowie ein umfangreiches Bestiarium wieder. Aber ein wenig der Reihe nach.

Die ersten Kapitel des Buches wenden sich an die Spieler. So werden gleich vier neue, spielbare Rassen vorgestellt, deren Verbindung zum Cthulhu-Mythos überdeutlich ist. So ist es nun möglich, Katzen aus den Traumlanden ebenso zu verkörpern wie die unheimlichen Mythos-Ghoule, die aquatischen Gnorri oder die hinterhältigen Zoog. Ganz typisch für „Das Schwarze Auge“ werden dann zunächst neue Talente, Vorteile, Nachteile und Sonderfertigkeiten vorgestellt, die den neuen Rassen zur Verfügung stehen. Ein weiteres Kapitel widmet sich neuen Regeln, von denen das für Geisteskrankheiten und Wahnsinn wohl am wenigsten überraschen dürfte. Außerdem wird die cthuloide Magie vorgestellt, die sich von der „normalen“ Magie Aventuriens maßgeblich unterscheidet und ohne Magiepunkte funktioniert. Ein umfangreiches Grimoire neuer Sprüche und Rituale rundet das Magiekapitel ab.

Das nächste Kapitel stellt dann Mythos-Kulte und Kultisten aller möglichen Rassen sowie unterschiedlichster Mythos-Entitäten vor. Interessant sind hier die neu eingeführten Rassen – wie die widerwärtigen Tcho-Tcho –, aber auch an eine Beschreibung wie sich die „klassischen“ Rassen angesichts des Mythos einbinden lassen, wurde gedacht. Die nächsten beiden Kapitel sind zugleich die umfangreichsten des Bandes und erweitern das Arsenal des Spielleiters um eine erkleckliche Anzahl schrecklicher Wesenheiten. Das erste Kapitel stellt die eher „normalen“ Monstren des Mythos vor – vom Älteren Wesen bis zum Yothaner sind hier alle möglichen und unmöglichen Kreaturen aufgeführt. Das zweite widmet sich den furchtbaren „Großen Alten“, zu denen zum Beispiel Cthulhu persönlich gehört, sowie den äußeren und älteren Göttern, wie dem Dämonensultan Azathoth. Das Kapitel gibt sich große Mühe, jede dieser gottgleichen Wesenheiten zu etwas Besonderem zu machen. Allerdings verzichtet die Beschreibung auf die „Eskalationsstufen“ der „Dungeons & Dragons“-Variante, sondern stellt diese Wesen als extrem hochstufige Gegner vor. Die hohen Spielwerte dieser Wesenheiten machen deutlich, dass eine Begegnung mit einer einzelnen dieser Kreaturen den Höhepunkt einer langen Kampagne darstellen sollte.

Optik

Die Illustrationen des Bandes sind mit dem Adjektiv „opulent“ nur unzureichend beschrieben. Die Zeichnungen bewegen sich auf einem einheitlichen, hohen Niveau und sind äußerst zahlreich über die verschiedenen Seiten verstreut. Ob die direkte Bebilderung der lovecraftschen Wesen etwas von ihrem Schrecken nimmt, darüber mag man streiten. Lovecraft beschrieb seine Wesen schließlich selbst oftmals als „unbeschreiblich“. Dennoch sind die Illustrationen gelungen. Auch das Layout mit seinen verschnörkelten Hintergründen weiß zu gefallen. Technisch gibt es damit nichts zu meckern.

Aventurisierung

Mir erschien das Crowdfunding rund um den Cthulhu-Mythos und „Das Schwarze Auge“ eher suspekt. Braucht Aventurien die „Großen Alten“? Gewinnt der Mythos etwas hinzu, wenn man ihn in eine eher märchenhafte Welt wie Aventurien packt? Und wie funktional wird die Anbindung von Lovecrafts Schöpfung?

Zunächst einmal muss ich den Autoren attestieren, dass sie sich reichlich Mühe gegeben haben, den Mythos zu aventurisieren. Neben der Konvertierung von Spielwerten, neben stimmigen Wahnsinns-Regeln, neben dem Schaffen neuer „typischer DSA“-Regeln wie Vor- und Nachteilen haben sie sich auch reichlich Gedanken darum gemacht, wie der Mythos nach Aventurien passen könnte. Das spiegelt sich einerseits in zahlreichen Ingame-Texten wider, die z. B. die Ingerimm-Kirche uralte Inschriften über Cthuga hüten lassen; aber auch die generelle Erklärung, welche die Mythoskreaturen in einer Sphäre jenseits der siebten (welche – wie wir alle wissen – den Dämonen vorbehalten ist) einordnet und so im aventurischen Kontext greifbarer macht, ist nicht schlecht gelungen. Die Aventurisierung geht sogar so weit, dass bestimmte Kapitel aus der 5E-Vorlage gestrichen wurden – immerhin sind „Tiefe Wesen“ eher auf Erden beheimatet, sodass keine direkte Verbindung zu Dere gezogen werden kann, weswegen man diese Kreaturen dann auch nicht in diesem Buch wiederfindet. Hier wurde wirklich versucht, nicht nur mit ein paar Spielwerten das gleiche Buch erneut zu verkaufen, sondern einen neuen Hintergrund zu schaffen.

Fraglich bleibt für mich, ob es das allerdings überhaupt gebraucht hätte. Horror und Fantasy sind von jeher eine komplex umzusetzende Mischung, was hier noch einmal mehrfach auffällt. Aventurien ist bislang hervorragend ohne den Einfluss der Großen Alten ausgekommen, wie ich finde. Tatsächlich ist der Mythos in seiner Grundstimmung so grundverschieden zu der märchenhaften Hotzenplotzigkeit des aventurischen Kontinents, dass es sich irgendwie nicht „richtig“ anfühlt, hier die vernichtenden Kräfte des Mythos walten zu lassen. Dazu kommt, dass es deutlich bessere Regelsysteme gibt, um den Kampf gegen den Mythos zu simulieren – „Das Schwarze Auge“ ist nun einmal nicht für seine schnellen und unkomplizierten Kampfregeln berühmt. Was bleibt, ist der Respekt vor der großen Mühe der konvertierenden Autoren mit dem schalen Beigeschmack, ob es dieses Buch tatsächlich gebraucht hätte.

Fazit: Wer darüber nachdenkt, den Cthulhu-Mythos mit seiner „Das Schwarze Auge“-Kampagne zu verbinden, der kommt an diesem Band kaum vorbei. Das gelieferte Material ist umfassend, erschöpfend und inspirierend. Die hohe Informationsdichte, die Kreativität im Umgang mit dem Mythos in Aventurien und das ansprechende Design ergeben eigentlich ein gutes Buch. Leider gewinnen beide Settings nicht unbedingt durch die Verquickung miteinander, sodass ein schaler Beigeschmack der Unnötigkeit bleibt.

Sandy Petersen’s Cthulhu Mythos DSA
Quellenbuch
Sandy Petersen, James Jacobs, Zoe Adamitz u. a.
Ulisses Spiele 2020
ISBN: 978-3963313967
420 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 59,95

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