Wege der Vereinigungen

Alles begann mit einem Aprilscherz. Ein paar Jahre und ein enorm erfolgreiches Crowdfunding später präsentiert Ulisses Spiele nun haufenweise Material rund um die aventurische Sexualität. Nachdem wir in den vergangenen Rezensionen bereits umfangreich auf das Zusatzmaterial eingegangen sind, ist es nun Zeit, sich dem Hauptwerk zu widmen. Wie gelungen ist es nun, dieses „Wege der Vereinigungen“?

von André Frenzer

Es ist eine Geschichte wie aus einem Märchen. Vor einigen Jahren wurde im Zuge eines Aprilscherzes ein Regelband mit dem schönen Titel „Wege der Vereinigungen“ angekündigt. Die damaligen Regelbände für „Das Schwarze Auge“ in der Version 4.1 trugen alle den Titel „Wege des…“, sodass diese Veröffentlichung fast logisch erschien. Thematisiert werden sollte die aventurische Sexualität und die zugehörigen Regeln. Nachdem das Thema eigentlich nur für einen kurzen Lacher herhalten sollte, tauchte es doch immer wieder auf Seiten des Verlages aber auch der Community auf. So entschloss sich Ulisses 2017 dazu, mit einem Crowdfunding das tatsächliche Interesse der Spielerschaft an einem Sex-Regelwerk zu erfragen. Nun, das Crowdfunding wurde extrem erfolgreich und seit dem Sommer 2018 liegt nun „Wege der Vereinigungen“ als 240 Seiten starker Hardcoverband vor.

Inhalt

Mir fiel es schwer zu glauben, dass sich mit einem als Aprilscherz gestarteten Band tatsächlich 240 Seiten füllen lassen. Doch den Autoren ist es gelungen eine Menge Material zu versammeln, welches das Thema Liebe und Sexualität in Aventurien tatsächlich recht umfassend beleuchtet.

Eröffnet wird der Band mit einem kurzen Geschichtsabriss; hier werden amouröse Abenteuer berühmter Aventurier vorgestellt, die einen mehr oder weniger großen Einfluss auf die aventurische Geschichte hatten. Daran schließt dann eine umfassende Vorstellung von sexuellen Sitten und Gebräuchen in verschiedensten aventurischen Regionen an. Seien es tulamidische Harems, weidener Minne oder al’anfanische Orgien – jede Region, aber auch andere Rassen wie Elfen und Zwerge werden mit ihren Vorstellungen von erfüllter Sexualität vorgestellt. Eigene Kapitel enthalten die aventurische Weltsicht auf Homosexualität – die in Aventurien im Übrigen deutlich weniger Repressalien erfährt, als es in unserer Welt auch heute noch oftmals der Fall ist –, und auch ausgefallenere Spielarten der Sexualität finden Erwähnung. Eine Betrachtung der aventurischen Prostitution rundet das Hintergundkapitel ab.

Die nächsten rund 110 Seiten enthalten dann Fokus-Regeln für alle möglichen erdenklichen Sexpraktiken. Neben den Regeln für Geschlechtsverkehr in unterschiedlichsten Formen und Variationen werden Regeln für Geschlechtskrankheiten, Zeugung und Empfängnis, Sexualmagie inklusive neuen Zaubersprüchen und karmales Götterwirken vorgestellt. Ebenfalls in diesem Kapitel finden sich passende Ausrüstungsgegenstände – von der Liebeskugel bis zum Olisbos (dem aventurischen Pendant eines Dildos) sowie karmalen Zeremonialgegenständen ist hier alles vertreten. Daneben gibt es für neu zu erschaffende Helden einen Haufen neuer Würfeltabellen um die eigene Sexualität besser zu definieren – Penis-, Vagina- und Brustgrößen können dabei ebenso erwürfelt werden wie die Schambehaarung. Zu guter Letzt gibt es auch neue Vor- und Nachteile, die sich allesamt um das Thema Sex drehen.

Die letzten Seiten widmen sich dann neuen Professionen – inklusive den passenden Professionspaketen und einigen Archetypen die – ganz im Stil der Kompendien – in einer episodenhaft gestalteten Kurzgeschichte vorgestellt werden und gleich mit spielfertigen Werten versehen sind. Ein Anhang mit ein paar neuen Hintergrundregeln und einigen Belkelel-Dämonen schließt den Band ab.

Kritik

Man kann den Autoren hinter „Wege der Vereinigungen“ sicherlich nicht vorwerfen, sich keine Mühe mit dem Thema gegeben zu haben. Gerade der Regelteil ist sehr akribisch und deckt verschiedenste Spielarten der Liebe ab. Doch man merkt dem Band an, das man eben nicht nur eine – für damalige Verhältnisse – typische Regelschwemme produzieren wollte, sondern tatsächlich das Thema Sexualität in Aventurien ganzheitlicher vorstellen wollte. Das Problem an dieser Herangehensweise: Der Band ist in dieser Form weder der Fisch „Aprilscherz“ noch das Fleisch „Kompendium“.

Es gibt einige Absätze, in denen man dem Band seinen Ursprung als Aprilscherz anmerkt. Wenn etwa die tierliebe Beispielprostituierte „besonders gut zu Vögeln“ ist, dann ist das schon zotigster Stammtischhumor. Doch es geht auch feinsinniger, wenn zum Beispiel Regeln für den obligatorischen „Kettenhemd-Bikini“ vorgestellt werden, den die Amazone von Welt ja früher auf dutzenden Titelbildern zur Schau tragen musste. Und auch das Regelgerüst hätte ein netter Scherz sein können, wenn – ja, wenn es sich nicht so furchtbar ernst nehmen würde.

Zusammengefasst würde ich konstatieren, dass mir keine Zielgruppe für diesen Band einfällt. Für einen Aprilscherz ist er viel zu aufgebläht, für jemanden, der tatsächlich an den settingrelevanten Eigenheiten der aventurischen Sexualität interessiert ist, hätte es den 100-seitigen Regelapparat nicht gebraucht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es tatsächlich Spielgruppen gibt, denen ein umfangreiches Regelgerüst für die sexuellen Eskapaden ihrer Charaktere in der Vergangenheit wirklich gefehlt hat. Somit verschenkt „Wege der Vereinigungen“ zwei Chancen – entweder die, ein gelungener Scherz zu sein, oder die, ein gelungener Settingband zu sein.

Die politische Komponente

Kann, ja darf ich „Wege der Vereinigungen“ besprechen, ohne auch die viel diskutierte politische Komponente des Bandes zu nennen? Immerhin hat die Arbeit an diesem Band den Verlag Ulisses die langjährige Zusammenarbeit mit zwei Autoren gekostet, es gab diverse ausufernde Diskussionen in verschiedenen Internetforen und auch Blogs oder andere Onlineportale waren mit Herzblut in eine Diskussion verstrickt, die weit über den Sinn und Unsinn von bestimmten Regeln hinausging.

Ausgelöst wurde diese Diskussion schlussendlich durch Ulisses? vollmundige Ankündigung, dass der Band die in Aventurien wie selbstverständlich gelebte Gleichberechtigung vorstellen sollte. Dabei geht es nicht nur um die Gleichberechtigung der beiden Geschlechter, sondern eben auch den erfrischend aufgeklärten Umgang mit Homosexualität oder auch exotischeren Spielarten der Liebe und Sexualität, den der durchschnittliche Aventurier an den Tag legt. Um es kurz zu machen: Man merkt „Wege der Vereinigungen“ an, dass die Autoren bemüht darum waren, in möglichst wenige Fettnäpfchen zu treten. Hier aber zeigt sich wiederum der „Fluch des Aprilscherzes“, denn es hat sich eben doch der eine oder andere zotige Altherrenwitz in den Band geschlichen, der diese guten Bemühungen zunichtemacht.

Ich kann die umfangreichen Vorwürfe, die dem Verlag in punkto Rassismus und Sexismus rund um „Wege der Vereinigungen“ gemacht wurden, nicht in dieser Form teilen, denn ich sehe den guten Willen hinter vielen Ansätzen, die vielleicht nicht bis zum Ende durchdacht wurden. Wer allerdings diesen guten Willen nicht attestieren kann oder möchte, wird mehr als eine Gelegenheit finden, unzufrieden oder gar verärgert aus der Lektüre von „Wege der Vereinigungen“ hervorzugehen.

Licht und Schatten


Schlussendlich kann ich kaum ein gutes Fazit unter „Wege der Vereinigungen“ ziehen. Der Regelteil ist nicht nur maßlos aufgebläht und steht damit den Regelwüsten der Vorgängerversion in nichts nach, nein, er ist auch noch absolut überflüssig und in seiner geballten Wucht nur mäßig lustig. Der eigentlich interessante Settingteil geht im 100-seitigen Regelmoloch nahezu unter und wird inhaltlich seinen eigenen Ansprüchen nur unzureichend gerecht.

Und doch kann ich „Wege der Vereinigungen“ etwas Positives abgewinnen: In den vergangenen Wochen konnte ich einige Publikationen vorstellen, die im Zuge des Crowdfunding finanziert wurden. „Wege der Vereinigungen“ ermöglichte die Vorstellung eines interessanten Abenteuersettings, Belhanka, das auch abseits aller Lustbarkeiten dazu einlädt, politische Intrigen zu erleben. Das Crowdfunding finanzierte zwei Abenteuerbände, die kriminalistischen Spürsinn und riskantes Ränkespiel belohnen, mit Witz und Humor geschrieben sind und auch ganz hervorragend ohne sexuelle Fokusregeln funktionieren. Und zu guter Letzt haben wir dem Crowdfunding eine Menge nahezu universell einsetzbares Spielmaterial wie Tempelkarten, ungewöhnliche Nichtspielercharaktere oder neue Kreaturen und Dämonen zu verdanken.

Nein, „Wege der Vereinigungen“ ist kein gutes Buch. Doch das Experiment „Wege der Vereinigungen“ als Gesamtpaket hat bewiesen, dass es gutes und spielenswertes Material hervorgebracht hat.

Fazit: „Wege der Vereinigungen“ ist als ein Buch angekündigt worden, „das niemand braucht“. Immerhin diese Ankündigung wurde konsequent eingehalten. Ich empfehle, das Augenmerk auf das Zusatzmaterial zu richten, das im Zuge des Crowdfundings finanziert wurde – hier findet sich interessanteres Material.

Wege der Vereinigungen
Quellen- und Regelbuch
Alex Spohr, Axel Spor, Nathan Fürstenberg u. a.
Ulisses Spiele 2018
240 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 39,95

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