Orkenspalter und der Mythos

Kann man je genug „Cthulhu“-Abenteuer haben? Wahrscheinlich nicht. Was also liegt näher, als bislang nur als Stream existierende One-Shots zu verschriftlichen? Na gut, ein wenig abwegig ist der Gedanke schon. Hat sich der Aufwand wenigstens gelohnt? Riskieren wir doch einen gemeinsamen Blick!

von Jens Krohnen

„Orkenspalter TV“ gehört zu den ältesten, größten und beliebtesten Rollenspielportalen im deutschsprachigen Internet. Hier sprechen Mháire Stritter und Nico Mendrek gemeinsam mit zahlreichen Gästen über Rollenspiele, rezensieren neue Produkte oder spielen Abenteuer in sogenannten „Let’s Play“-Videos. Gerade für „Cthulhu“ sind so in den letzten Jahren einige Videos mit Szenarien entstanden. Dabei wurden einige Eigenkreationen gestreamt, die bislang nur als handschriftliche Notizen von Mháire verfügbar waren. Nun haben sich einige Mitstreiter den besten Szenarien angenommen und sie in eine schriftliche, für Dritte leitbare Form gebracht. Dennoch merkt man ihnen ihre Herkunft aus dem Stream natürlich an, liegt hier doch oftmals in der Kürze die oft gesuchte Würze.

Gleich fünf Szenarien haben sich hier versammelt. Eröffnet wird der bunte Reigen mit „Die Himmelfahrt“. Das Abenteuer beginnt an Bord eines Hochseedampfers, welcher Zwischenhalt auf der Vulkaninsel Ascension macht. Bereits an Bord geschehen die ersten, merkwürdigen Ereignisse, und auf Ascension wird es nicht besser: Irgendetwas stört die unterseeischen Telegrafenleitungen, und ein Forschungsinstitut verbirgt seltsame Interessen. Klassische Mythosgegner in ungewohnter Atmosphäre – die Kombination weiß zu gefallen und sorgt für einen guten Start in den Band.

Mit „Der Jahrmarkt von Gillingham“ geht es weiter. Das Abenteuer nimmt geschickt Bezug auf ein historisches Ereignis – einen folgenschweren Unfall auf einem Jahrmarkt, der zu einem tödlichen Brand führte. Dieses Ereignis wird mit einem Mythoshintergrund verwoben – ein Schelm, wer hier an Feuervampire denkt – mit einer recht einfachen Schnitzeljagd garniert und kann schlussendlich sogar verhindert werden, wenn die Investigatoren rechtzeitig die richtigen Schlüsse ziehen.

Das wohl klassischste Szenario im Band ist das folgende „Walisisches Potpourri“. Ein Hexenbund, die Verehrung Shub-Nigguraths und ein in den Wäldern herumstreunendes Wesen sind eine klassische Melange. Angereichert mit der wilden Schönheit der schottischen Highlands und gewürzt mit dem Hintergrund eines Minenarbeiterstreiks, der Streikbrecher und Gewerkschafter aufeinanderprallen lässt, ergibt sich ein gut spielbares Szenario mit abwechslungsreichen Szenen.

Schwieriger tue ich mich mit dem daran anschließenden „Die Gefangenen von Cape Clear“. Denn hier werden die Investigatoren gleich zu Beginn der Handlung von Mythoswesen übernommen, die sie auch nicht mehr loswerden. Zum Glück für den Rest der Welt sind sie auf der Insel Cape Clear gestrandet und werden nicht nur von den misstrauischen Dörflern, sondern auch tapferen Mönchen verfolgt. Was nach einem interessanten Rollentausch klingt, hat schlicht zu wenige Seiten in der Aufbereitung erhalten und bleibt so unter seinen Möglichkeiten.

Abgeschlossen wird der Band dann mit dem ganz starken „Dunkle Resonanz“. Hier schlüpfen die Spieler in die Rolle der Mannschaft einer russischen Abhörstation im höchsten Nordosten Russlands inmitten des Kalten Krieges. Als ein amerikanischer Frachter plötzlich seltsame Signale von sich gibt, wird nicht nur die Vaterlandstreue, sondern auch der Erfindungsreichtum der Investigatoren auf eine harte Probe gestellt. Ganz starke Horrorszenen gepaart mit interessanten Handlungsmöglichkeiten und einer absolut unverbrauchten Handlung wissen zu gefallen – auch, wenn es zeitweise schwierig werden kann, die wirklich relevanten Informationen an die Spieler zu bringen.

Summa summarum hat sich der Aufwand, die bislang nur als kryptische Notizen (und natürlich Stream) verfügbaren Szenarien aufzuarbeiten, durchaus gelohnt. Die Abenteuer sind abwechslungsreich, auch wenn drei von ihnen mit doch sehr klassischen Motiven versehen sind. Die Mischung weiß zu gefallen und insbesondere „Dunkle Resonanz“ hat es mir wirklich angetan.

Die Szenarien sind sehr stimmungsvoll mit passenden Photographien bebildert. Außerdem wurde an reichlich Kartenmaterial gedacht, um die unterschiedlichen Schauplätze zu visualisieren. Handouts gibt es dieses Mal leider keine zu bewundern. Das Layout ist bekannt, wirkt aufgeräumt und ist gut lesbar. Lektorat und Korrektorat haben einen guten Job gemacht. Technisch gibt es damit schlussendlich nichts zu meckern.

Fazit: Trotz des sperrigen Namens bietet „Orkenspalter und der Mythos“ eine Auswahl klassischer Szenarien, die sich meist problemlos an einem Spieleabend durchspielen lassen sollten. Die Qualität der meisten Szenarien ist hoch, das Preis-Leistungs-Verhältnis gut. Empfehlenswert.

Orkenspalter und der Mythos
Abenteuerband
Eevie Demirtel, Nico Mendrek, Mháire Stritter u. a.
Pegasus Press 2023
ISBN: 978-3-96928-089-8
84 S., Softcover, deutsch
Preis: 14,95 EUR

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