von Markus Kolbeck
Der Band von Dietmar Dath ist 2019 als 942-seitiges Hardcover zum Preis von unter 40,- Euro beim Verlag Matthes & Seitz erschienen. Er ist in zehn Kapitel unterteilt und nicht bebildert, beinhaltet aber einige Skizzen und Formeln. Er besitzt erfreulicherweise ein Lesebändchen.
Inhalt
Als Teil der Fantastik und im Unterschied zu Fantasy und Horror will SF, dass sich der*die Leser*in dem „willing suspension of disbelief“ ergibt. In Bezug auf Theodor W. Adorno sei „Kunst Magie, befreit von der Lüge, Wahrheit zu sein“. Beschreibend ist auch Arthur C. Clarkes Aussage: „Jede Technik, die hinreichend weit fortgeschritten ist, lässt sich von Magie nicht unterscheiden.“ Dath bemüht in der Beschreibung der Ursprünge und der Entwicklung der SF Georg Friedrich Wilhelm Hegel, Karl Marx, Immanuel Kant, (den bereits genannten) Theodor W. Adorno, Arno Schmidt, James Joyce, Karl Popper, Johann Wolfgang Goethe, J. R. R. Tolkien, H. P. Lovecraft, J. K. Rowling und viele mehr. Dabei geht Dath bis zu den Wurzeln in Romantik, Naturalismus, Realismus, Rationalismus usw. zurück.
Der Autor bemüht dabei Themen aus Geschichte, Religion, Politik, Kunst, Wissenschaft, Philosophie, Literatur etc. und behandelt Fragen des Lebens wie Erkennen, Verstand, Wissen, Wahrnehmung, Glauben, Vorstellungskraft usw. und eröffnet so neue Darstellungsperspektiven für die SF. Mit sehr umfassenden Kenntnissen der SF-Literatur beschreibt der Autor deren Geschichte, wie sie sich in den unterschiedlichen Herangehensweisen und Denkrichtungen der SF-Schriftsteller*innen und der Untergenres, sie sie bedienen, darstellt. An Untergenres werden etwa Proto-SF, die SF des Goldenen Zeitalters, Hard SF, Space Opera, New Wave, Ouripol, Cyperpunk / Steampunk ausführlich erläutert und diskutiert.
An SF-Autor*innen und Verlegern sind – um nur einige der ausgiebiger behandelten aufzuführen – Jules Verne, H. G. Wells, Hugo Gernsback, John W. Campell, Catherine Lucile Moore, Isaac Asimov, Robert Heinlein, Arthur C. Clarke, Iwan Antonowitsch Jefremov, Ray Bradbury, Michael Moorcock, Harlan Ellison, Thomas M. Dish, Philip K. Dick, Stanislaw Lem, Joanne Russ, William Gibson, Greg Egan und Cixin Liu zu nennen.
Dietmar Dath zum Inhalt und der Zielrichtung des Bandes: „‚Niegeschichte‘ will wissen: Was für eine Maschine ist SF? Wer hat sie gebaut? Wem gehört sie? Wer benutzt sie, wogegen, wofür?“
Kritik
Dath ist ein hervorragender Kenner der Materie, und seine Ausflüge in die Gefilde der SF und verwandter Themen wie etwa Theodor W. Adornos „Ästhetische Theorie“ sind bestechend. Schnell wird aber klar, dass das Buch anspruchsvoll bis sehr anspruchsvoll ist. Und das nicht nur wegen der gewählten Sprache, sondern auch wegen den vielen genannten SF-Werken. Das heißt konkret, es wendet sich nicht nur an gebildete Leser*innen, sondern auch an Kenner*innen der SF-Literatur. Wer sich zu diesem Personenkreis zählt und sich auf das Buch einlassen will, kann dann aber auch ein intellektuelles Abenteuer erwarten!
Der Wortschatz des Schriftstellers an Fachbegriffen und Fremdwörtern ist enorm! In den vollen Genuss des Buches kann man nur kommen, wenn man sowohl eine profunde Allgemeinbildung in Philosophie, Naturwissenschaften, Mathematik, Logik usw. hat, vor allem aber ein gutes Wissen in (SF-)Literatur und deren Entwicklung in den letzten Jahrzehnten. Vieles wird aber recht anschaulich im Band erklärt, sodass man auch – mit Einschränkungen – ihn lesen und verstehen kann, wenn man diese Voraussetzungen nicht vollumfänglich besitzt.
Fazit: „Niegeschichte“ ist ein intellektuelles Vergnügen ohne Gleichen. Die intensive Diskussion richtet sich an profunde Kenner*innen von SF und Genreprofis wie SF-Autor*innen, -Verleger*innen, -Lektor*innen etc., die ihren geistigen Horizont SF-Literatur betreffend erweitern wollen. Das Sachbuch ist hervorragend und fantastisch gut geschrieben, allerdings auch oftmals zu anspruchsvoll geraten!
Niegeschichte – Science Fiction als Kunst- und Denkmaschine
Sachbuch
Dietmar Dath
Matthes & Seitz 2019
ISBN: 978-3-95757-785-6
942 S., Hardcover, deutsch
Preis: 38,00 EUR
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