Designers & Dragons

„Designers & Dragons – Eine Geschichte des Rollenspiels“ ist ein überaus detailreicher, informativer und gut recherchierter Überblick von Autor Shannon Appelcline über den englischsprachigen, seltener internationalen Rollenspielmarkt. Auch wenn die Edition kostspielig ist, sollte man als ernsthafte*r Rollenspieler*in über eine Anschaffung nachdenken! Näheres zum Werk in dieser Rezension.

von Markus Kolbeck

Die fünfbändige Hardcover-Ausgabe des Rollenspielsekundärwerks mit sage und schreibe 1800 Seiten Umfang (einschließlich der Seiten mit römischen Ziffern) kostet in der Edition mit Buchschuber rund 120,- Euro, in der Edition ohne Schuber rund 110,- Euro. Alle Bände sind mit einem Lesebändchen ausgestattet. Die Edition ist ursprünglich von  Feder&Schwert auf den Weg gebracht worden (in der Übersetzung aus dem Englischen ins Deutsche), wurde aber nach der Insolvenz des Verlags vom Uhrwerk-Verlag 2021 veröffentlicht. Die englischsprachige Originalausgabe ist in der Erstausgabe 2011, in der Zweitausgabe 2014 erschienen. Die ersten vier dicken Bände sind jeweils den Jahrzehnten von 1970-2009 gewidmet, jeder Band schildert die komplette Geschichte der Rollenspiel-Verlage (und ihrer Rollenspiele), die in diesem Jahrzehnt an den Start gegangen sind. Die Historien der Verlage reichen bis ins Jahr 2019. Der fünfte, dünnere Band ist dem Anhang mit ergänzenden Essays gewidmet. Das Werk ist durchgehend mit Cover-Bildern der Rollenspiel-Werke bebildert, allerdings in Schwarz-Weiß.

Inhalt

Die ersten vier Bände sind jeweils gleich aufgebaut: Es gibt jeweils zwei Vorworte, eines davon von einem Gastautor. Die Hauptkapitel sind in die Unterkapitel zu den jeweiligen Rollenspiel-Verlagen unterteilt. Jedem Hauptkapitel ist ein Überblick über diese Epoche des Rollenspiels gewidmet und eine Tabelle mit den darin vorkommenden Verlagen, ihrem Startjahr und ihrem „Todesjahr“ (leider hat es nicht jeder Verlag bis in die heutige Zeit geschafft) beziehungsweise dem Vermerk „heute“, wenn der Verlag bis heute existiert. Im Anhang I sind jeweils 10 Dinge vermerkt, sie sich lohnen, über Rollenspiele im jeweiligen Jahrzehnt zu wissen. Im Anhang II sind Bibliographie und Danksagungen untergebracht. Es werden in der Bibliographie Bücher, Magazine und Websites aufgeführt. Außerdem gibt es eine Auflistung der umfangreichen Faktenprüfer, Scanner und einen ausführlichen Index.

Es werden neben Tischrollenspielen (Pen-&-Paper-Rollenspiele) auch eine Auswahl an LARPs (Live Action Roleplaying Games), Computer-Rollenspielen, Online-Rollenspielen, Play-by-Mails (Postspielen / Briefspielen), Miniaturen, Rollenspielmagazine, Fanzines, fantastischer Literatur, Spielbüchern, Comics, War Games, Brettspielen, Sammelkartenspielen und Conventions behandelt. Besonderes Augenmerk wird auf den d20-Boom und den starken Sammelkartenspiele-Trend gelegt, auch Indie-Rollenspiele (wie „Sorcerer“ (1996) von Adept Press) finden ausführlich Erwähnung. Es werden alle Klassiker und großen Pen-&-Paper-Rollenspiele von allen großen Verlagen beschrieben. Sehr viele der mittelgroßen und viele der Kleinverlage fanden auch Aufnahme in das Werk. Es werden praktisch alle Rollenspiele genannt, die entweder beliebt waren (bei den Spieler*innen und/oder den Kritiker*innen), gute Verkaufszahlen hatten oder in einer besonderen Weise als innovativ für die Rollenspielszene gelten. Es finden sich darunter natürlich Riesen wie TSRs „Dungeons & Dragons“ („D&D“) von 1974 und „Traveller“ (1977) von Game Designers' Workshop (GDW), außerdem „RuneQuest“ (1978) und „Call of Cthulhu“ (1981) von Chaosium, ferner „Paranoia“ (1984) von West End Games (WEG) und „Shadowrun“ (1989) von FASA. „Vampire: The Masquerade“ (1991) von White Wolf und „Pathfinder“ (2009) von Paizo Publishing sollen auch noch genannt sein. Es werden ferner Aberdutzende und Aberdutzende von weiteren Rollenspielen beschrieben.

Es soll noch beispielhaft auf eine der  Verlagshistorien eingegangen werden, nämlich die umfangreichste: die von TSR (Tactical Studies Rules) (1973-1997). Auf diesen Verlag geht das erste Rollenspiel der Welt zurück! Gegründet wurde er von Gary Gygax und Don Kaye. Die Anfänge des Rollenspiels lagen in Tabletop-Spielen (War Games) wie „Chainmail“ (1971), einer Fantasy-Erweiterung herkömmlicher War Games. Die Kampagne „Braunstein“ (1969), geleitet von Dave Arneson, basierte auf einem napoleonischen Miniaturenspiel mit Einer-gegen-Einen-Kampfregeln. „Braunstein“ war vermutlich die erste historische Rollenspielkampagne und Dave Arneson damit der erste Rollenspielspielleiter. Dann wurde 1974 das Fantasy-Rollenspiel „Dungeons & Dragons“ von Gary Gygax und Dave Arneson als erstes Rollenspiel der Welt veröffentlicht! Damals gab es als Charakterklassen nur Kleriker, Magier und kämpfende Männer. Aus „Chainmail“ und „Braunstein“ entstand dann die Fantasy-Kampagne „Black Moor“, die 1975 veröffentlicht wurde. Es wurden später noch andere Rollenspiele in den Gründerjahren veröffentlicht, aber TSR blieb für lange Zeit der Marktführer. Das Supplement „Greyhawk“ erschien ebenfalls 1975. Das TSR-Rollenspielmagazin „Dragon“ wurde erstmals 1976 veröffentlicht. „Advanced Dungeons & Dragons“ („AD&D“) erschien als vierbändige Ausgabe von 1977 bis 1980. Das waren die ersten und wichtigsten Schritte von TSR in den Anfangsjahren.

Der fünfte Band von „Designers & Dragons“ enthält in Form eines Anhangs mehrere Essays und zwar zu Frauen im Rollenspiel, den Spielrunden „Aurania Gang“, „Hero Auxiliary Corps“ und „RuneQuest-Mafia“, außerdem in Gestalt von Jahreschroniken von 2008 bis 2017 Essays zu den jeweiligen Jahren in der Rollenspielszene. Auch hier gibt es wieder eine Bibliographie, eine Danksagung und einen Index.

Kritik

Ein umfangreicheres und detaillierteres Werk zu der Gesamtheit der Rollenspielgeschichte gibt es meines Wissens nach nicht. Es ist sehr informativ, sehr detailliert und sehr gut recherchiert, was man auch an den vielen Faktenprüfern in jedem Band sieht. Die Angaben in den Bänden und in den Bibliographien laden zu einem tiefer gehendem Studium ein. Es ist wirklich ein phänomenales Werk, das seinesgleichen noch sucht! So mag es erfreuen, dass Shannon Appelcline noch weitere Rollenspielgeschichtswerke plant, darunter eine Historie aller „D&D“-Veröffentlichungen (die dann noch detaillierter wäre als die hier vorliegende). Wer braucht solch ein umfassendes Werk? Es richtet sich sicherlich vor allem an ernsthafte, engagierte Rollenspieler*innen, die sehr an ihrem Hobby und seiner Geschichte interessiert sind. Alle anderen sollten sich an einem weniger umfangreichen Werk probieren (siehe unten).

Für solch ein umfangreiches Werk halten sich die Rechtschreibfehler in Grenzen, sodass man normalerweise darüber hinwegsehen kann. Jedoch haben sich einige Fehler bei der Schreibweise bei Produkten, einem Verlag und einem Autor eingeschlichen, die hier aufgeführt werden sollen. „City State of the Invincible Overlord“ wird einmal als „City State of the Invincible Overmind“ wiedergegeben, der Name „Aniolowski“ als „Aniolowsaki“, „White Wolf Magazine 24“ als „White Wolf Magazin 4“, „D&D 4E“ wohl einmal als „3E“, „Pathfinder“ als „Pathinder“, „Paranoia“ als „Paranoid“ und „Steve Jackson Games“ als „Steve Jacks Games“. Zumindest diese etwas blöden Fehler sollte man in zukünftigen Auflagen korrigieren.

Zur Aufmachung des Werks lässt sich ansonsten noch schreiben, dass diese ansprechend ist und das Layout tadellos. Die Covergestaltung ist in Farbe und die Schwarz-Weiß-Coverbilder im Inneren kann man meist gut erkennen, es sei denn, die Vorlage ist zu dunkel. Hätte man die Bebilderung in Farbe gedruckt, wäre der Preis wohl explodiert. Als Hardcover-Edition mit fünf Bänden bei gegebenem Umfang von 1800 Seiten ist auch der Preis von rund 120,- Euro beziehungsweise rund 110,- Euro (je nach Edition) vernünftig, dann hat man auch die gesamte Rollenspielgeschichte in einem Werk vorliegen.

Passend zum Thema sind für Leser*innen, die kürzere Werke vorziehen, die Sachbücher „Drachenväter“ und „Drachenväter: Die Interviews“ empfohlen. „Drachenväter“ ist etwas teurer, aber dafür in Farbe bebildert. Wer sich nur für die Geschichte von „D&D“ interessiert, ist vielleicht mit dem Sachcomic „Der erste Spielleiter“ gut beraten.

Fazit: Etwas Besseres zum Thema wurde noch nicht geschrieben! Ich finde die Bände inhaltlich phänomenal! Es ist kein langweiliges Geschichtswerk, sondern die Aufs und Abs der Rollenspielverlage lassen sich mit Interesse verfolgen. Die Rollenspielgeschichte „Designers & Dragons“ von Shannon Appelcline schreibt sicherlich ihrerseits Rollenspielgeschichte! Eine klare Empfehlung von mir für alle Interessierten an Rollenspiel-Geschichte!

Designers & Dragons
Rollenspiel-Sekundärwerk
Shannon Appelcline
Feder&Schwert / Uhrwerk 2021
ISBN: 978-3-95867-238-3
1800 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 109,95

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