Königsgambit in Kamborn (II)

Das „Cthulhu“-Rollenspiel erfreut sich großer historischer Authentizität, was Personen, Ereignisse und auch Orte angeht. Im Zuge einer dramaturgischen Ausgestaltung der Geschichte werden dabei oft die Pfade der Historik verlassen und diese mit übernatürlichen Elementen angereichert. In diesem Sinne eröffnet das fiktive Städtchen Kamborn in dem Band „Königsgambit in Kamborn“ zum ersten Mal seine Pforten. Der Vergleich mit den fiktiven Städten Arkham, Dunwich oder Kingsport liegt nahe. Hält dieses norddeutsche Städtchen in den 1920er Jahren dem Vergleich mit diesen umfangreich ausgestalteten Orten Neuenglands stand?

von Oliver Adam

Der Softcoverband „Königsgambit in Kamborn“ reiht sich in Aufmachung und Gestaltung nahtlos in das hohe Niveau der „Cthulhu“-Publikationen ein und umfasst auf 64 Seiten eine Kurzbeschreibung Kamborns sowie zwei Abenteuer im Umfeld des Städtchens.

Wie in „Wissenswertes über Kamborn“ zu erfahren ist, liegt diese Stadt in Norddeutschland und hat rund 33.000 Einwohner. Das Kapitel skizziert Grundinformationen zur Verwaltung der Stadt, der örtlichen Industrie und der Verkehrsanbindung. Darüber hinaus werden Unterbringungsmöglichkeiten, die Militärpräsenz und die Bedeutung der Religion erwähnt. Dabei bleibt das nur dreiseitige Kapitel sehr oberflächlich. Dies wird damit begründet, dass der Spielleiter mehr als diese Informationen zu Beginn im Sinne des „need to know“ erstmal nicht brauche. In weiteren Publikationen sowie in den beinhalteten Abenteuern sollen die Informationen zu Kamborn sowohl räumlich als auch in Bezug auf seine Einwohner Stück für Stück weiter wachsen und immer mehr Form annehmen. Kamborn soll also ein lebendes Konstrukt werden, das mit den Beiträgen der verschiedenen Autoren im Sinne eines gemeinsamen kreativen Prozesses weiterentwickelt wird.

Auch wenn der Grundgedanke eines mysteriösen, fiktiven Ortes in Deutschland, der mit den Beiträgen der Autoren immer mehr Gestalt annimmt, durchaus reizvoll ist, zeigt sich in der Praxis, dass dieser Ansatz auch deutliche Schwächen hat. Entscheiden sich die Spieler für Aktivitäten, die über die wenigen im Quellenteil und in den Abenteuern beschriebenen Orte und Persönlichkeiten hinaus gehen, muss der Spielleiter diese völlig frei improvisieren. Dabei ist der Quellenteil kaum hilfreich, da Kamborn ein weißer Fleck mit wenigen beschriebenen Punkten bleibt und auch keine grundlegenden Leitplanken zu Atmosphäre, Stimmung oder Story gegeben werden. Im schlimmsten Fall widersprechen die in zukünftigen Publikationen eingeführten Personen und Plotbausteine dann den Improvisationsresultaten des Spielleiters. Hier wäre es sinnvoller gewesen, den vielversprechenden Ansatz der fiktiven Stadt Kamborn griffiger, thematischer und gehaltvoller zu gestalten und damit auf ein breiteres Fundament für zukünftige Entwicklungen zu stellen.

Das erste Abenteuer „Der Monolith“ führt die Investigatoren in den dörflichen Stadtteil Hubbüttel, der etwas abseits von Kamborn liegt. Hier haben sich die Einwohner nach einem Fund im Moor vom christlichen Glauben abgewandt. Die Ermittlungen unter den eigenbrötlerischen Bewohnern führt schließlich zu einem blasphemischen Kult und einem Showdown im Sumpf mit einem Großen Alten. Für erfahrene Spieler ist der Plot ziemlich vorhersehbar und wenig innovativ, das Abenteuer richtet sich jedoch an Einsteiger, die hier einen schönen und stimmigen Einstieg erleben können. Zu erwähnen sind auch die bedauerlich häufigen Textfehler sowie eine fehlerhafte Tabelle. Hier hat Pegasus zwischenzeitlich nachgebessert und eine korrigierte Seite bereitgestellt (https://www.pegasus.de/cthulhu/spielhilfe-zu-bestimmten-veroeffentlichungen/koenigsgambit-in-kamborn/).

Das zweite Abenteuer „Blutrausch“ spielt direkt in Kamborn. Hier werden die Investigatoren mit dem bestialischen Mord an Prof. Dr. König konfrontiert. Bei ihren Ermittlungen können sie einige Lokalitäten Kamborns erkunden, wie beispielsweise das Institut für gerichtsärztliche Medizin, ein Aktionshaus sowie die Universität, und dort verschiedene Verdächtige aus akademischen Kreisen befragen. Im Kern ist „Blutrausch“ ein investigatives Abenteuer, das aufgrund einer bevorstehenden Expedition wichtiger Verdächtiger auch mit dem Thema Zeitdruck spielt. Am Ende können die Investigatoren herausfinden, dass der Mord im Zusammenhang mit einem kürzlich versteigerten Ritualmesser steht und in den Showdown gegen das messergebundene Mythoswesen ziehen. Das Abenteuer lebt von den schillernden Figuren, deren Handlungen glaubhaft erklärt werden, sowie von den gut verzahnten Szenen. Es gibt sogar eine Spurentabelle für den Spielleiter, die übersichtlich alle Hinweise und deren Quellen auflistet. Der eigentliche Handlungsablauf ist dabei sehr klassisch, und erfahrene Spieler werden wenig Neues oder Innovatives finden.

Fazit: „Königsgambit in Kamborn“ ist der erste Band einer Produktlinie, die den fiktiven Ort Kamborn beschreibt und für das „Cthulhu“-Rollenspiel spielbar macht. Dabei bleibt die Beschreibung des Ortes in diesem Buch noch oberflächlich und knapp. Auch wenn bereits angekündigte zukünftige Publikationen Kamborn weiter ausschmücken werden, kann die Ausgestaltung der beträchtlichen weißen Flecken vor allem bei unerfahrenen Spielleitern zu großen Schwierigkeiten führen. Aus diesem Grund ist Kamborn noch weit davon entfernt, mit den fiktiven cthuloiden Orten in Neuengland mithalten zu können. Neben dem Quellenteil enthält „Königsgambit in Kamborn“ zwei handwerklich gut gemachte Abenteuer (wobei das erste Szenario eine etwas höhere Anzahl handwerklicher Fehler in der Produktion aufweist), die eher klassische und geradlinige Wege gehen. Insgesamt ist „Königsgambit in Kamborn“ ein guter Quellen- und Abenteuerband, der jedoch nicht ganz an das Niveau anderer Softcoverbände wie „Terror Germanicus“, „Horror Americana“ oder „Stummer Schrecken“ herankommt.

Königsgambit in Kamborn
Abenteuerband
Sabrina Hubmann, Valentin Masszi
Pegasus 2019
ISBN: 978-3957892331
64 S., Softcover, deutsch
Preis: EUR 9,95

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