Junkyard Joe

Die Erfindung eines Roboters, der uns Menschen überlegen ist, ist keine neue Überlegung, sondern beschäftigt die Literatur, die Kunst und die Filmwelt seit vielen Jahrzehnten. Immer wieder wurde darüber nachgedacht, wie es wäre und was es bedeuten würde, wenn die menschlichen Grenzen überwunden werden? Der technologische Fortschritt und die Neugierde haben es möglich gemacht, dass die Trennung zwischen Fiktion und Realität zunehmend geringfügiger wird. Dass mit diesen, dem Menschen dienenden Maschinen(?), aber zwangsläufig neue Fragen aufgeworfen werden, scheint selbstredend. Was, wenn ein Roboter plötzlich menschliche Gefühle entwickelt und beginnt, autonom zu handeln?

von Daniel Pabst

Die Schöpfer von „Junkyard Joe“ sind in der Comic-Szene keine Unbekannten: Geoff Johns und Gary Frank sorgten zuletzt mit der Comic-Reihe „Geiger“ für Aufmerksamkeit. Auch in diesem Werk wurde der Krieg behandelt. Statt in eine atomverseuchte Zukunft werfen die Lesenden in „Junkyard Joe“ zunächst einen Blick zurück in die Zeit des Vietnamkriegs. Dort nämlich wird ein übermenschlicher Soldat eingesetzt, der sich einem amerikanischen Team anschließt und mit diesem durch die vietnamesischen Sümpfe zieht. Ein (Anti-)Kriegscomic also, könnte man meinen. Das jedoch trifft es nur halb, denn im Fokus steht die Titelfigur „Junkyard Joe“, die in Wirklichkeit ein Roboter ist – geschaffen, allein um zu töten.

Dass er ein Roboter ist, wissen die Soldaten anfangs nicht. So wundern sie sich, dass „Junkyard Joe“ wenig spricht, nichts essen möchte und keine Angst zu haben scheint. Als die Truppe plötzlich angegriffen wird, stellt sich einzig dieser neue Soldat den Feinden und dem Unbekannten gegenüber. Damit rettet er deren Leben und inmitten der explodierenden Bomben, bleibt ein metallisches Skelett übrig. Da begreifen die Soldaten – bei ihrem Neuen handelt es sich um einen Roboter. Doch seltsamerweise beginnt er, sich beim abendlichen Kartenspielen in der Hölle zu beteiligen und nimmt eine kumpelhafte Stellung ein. Derjenige, mit dem er sich am besten „versteht“, ist der Soldat Morrie Davis, auf den in der Heimat seine Frau und ein Baby warten. Er ist es auch, den der Roboter bei einem erneuten Angriff später als Einzigen wird retten können und in ein Lazarett bringen wird.

Nach diesem beeindruckenden Eingangsszenario gibt es einen Zeitsprung in die Gegenwart. „Junkyard Joe“ ist dort zu einer Comic-Figur geworden! Morrie Davis, so erfahren wir, hat nach dem Krieg angefangen als Comic-Autor und Comic-Zeichner zu arbeiten. In seinen sonntäglich erscheinenden Comic-Strips verarbeitet er sein Kriegstrauma und begeistert damit das ganze Land. Was die Lesenden in dieser Geschichte nicht wissen, ist jedoch, dass es diese Figur tatsächlich gegeben hat. Das liegt daran, dass selbst Morrie Davis nach dem Krieg denkt, er habe sich den Roboter nur eingebildet. Und so schreibt er Woche für Woche neue Geschichten, bis er nicht mehr weitermachen kann. Grund dafür ist der Tod seiner geliebten Ehefrau. Erschöpft, müde und gezeichnet von den Jahrzehnten nach dem Krieg, verkündet er das Ende seiner Comic-Figur.

Nach den ersten 50 Seiten des Comics geschieht das Überraschende und gibt der Geschichte einen Spin, der dafür sorgt, dass man den Comic nicht mehr aus der Hand legen möchte: „Junkyard Joe“ steht vor der Tür von Morrie Davis! Warum ist dieser Roboter wieder aufgetaucht? Wo war er all die Jahre? Handelt es sich um ein und denselben Roboter wie damals im Vietnamkrieg? Gibt es einen Grund, weswegen er weiterhin die Uniform der US-Army und einen Kriegshelm trägt? Muss man sich vor ihm fürchten? Fragen über Fragen, die im weiteren Verlauf des Comics beantwortet werden. Aber damit nicht genug. Neben der Erzählung über „Junkyard Joe“ wird ein weiterer Erzählstrang aufgemacht. Hier handelt es sich um eine Familie, die in das Nachbarhaus von Morrie Davis zieht, nachdem sie ihre Mutter verloren haben. Wie passt das zusammen?

In diesem Comic – man merkt es – geht es nur vordergründig um eine Killermaschine und den Krieg. Über allem thront die schmerzhafte Frage, wie man mit Verlust und Traumata umgeht und welche Wege es aus der Trauer gibt? Denn Morrie Davis ist als Veteran bis zum Eintreffen von „Junkyard Joe“ nicht mehr in die Stadt gegangen, sondern hat sich in seiner „Künstlerhöhle“ verschanzt, um nicht andere Menschen treffen zu müssen. Ebenso ist der Familienvater ins Nachbarhaus gezogen, um die Orte zu verlassen, die ihn an seine kürzlich verstorbene Ehefrau erinnern. Hier müssen seine drei Kinder einen Neuanfang an der Schule wagen und sich damit auseinandersetzen, wie ihr persönlicher Neuanfang gelingen soll …

Erweitert werden diese Erzählebenen dann mit einem Auftragskommando, welches gemeinsam mit dem Schöpfer des Roboters Jagd nach „Junkyard Joe“ macht. Dieser soll wieder zurückkehren und seinem wahren Ziel dienen: im Krieg zu töten. Dass der Roboter jedoch ebendies nicht „will“ und stattdessen im Haushalt von Morrie Davis anfängt, aufzuräumen und zu putzen, ist für seinen Schöpfer unverständlich. Was einmal geschaffen wurde, kann doch nicht wieder rückgängig gemacht werden, oder? Und so befinden sich plötzlich nicht nur Morrie Davis und der Roboter im Kampf um deren Freiheit, sondern auch die drei Kinder des neuen Nachbars, welche mir nichts, dir nichts zwischen die Fronten geraten sind.

Was diesen Comic so besonders macht, ist die Abweichung vom Erwartbaren. Der Beginn lässt an einen reinen Kriegscomic denken, welcher sich allmählich in einen Antikriegscomic entwickelt. Da denkt man an den wahrscheinlich berühmtesten (Anti-)Kriegsfilm „Apocalypse Now“ (1979) von Francis Ford Coppola, oder auch an „Full Metal Jacket (1987) von Stanley Kubrick. Und dass einem beim Lesen solche Gedanken und Bilder aus den Filmen im Kopf erscheinen, spricht für die Stärke dieses Comics. Das diese Kraft nicht allein durch die Handlung und die starken und einfühlsamen Monologe entsteht, ist selbstredend. So sind es auch die Zeichnungen und die Farben in diesem Comic, welche durch das von Cross Cult gewählte großformatige Hardcover beeindrucken. Immer wieder stehen die Gesichter der Figuren im Vordergrund und nehmen bisweilen einzelne Panels ein. Hierdurch lässt sich mitfühlen und die Figuren wirken authentisch.

Dass es in einem Comic um einen Comic-Zeichner geht, welcher als Veteran angefangen hat, seine Erlebnisse auf eine Art und Weise künstlerisch auszudrücken ist eine schöne Weise, zu zeigen, wie man Erfahrungen verarbeiten kann. Nicht ohne Grund haben die Autoren und Zeichner dieses Comics immer wieder die fiktiven Comic-Strips abgedruckt. Enden tun diese Comic-Strips wiederkehrend damit, dass es sich bei „Junkyard Joe“ um einen Roboter und um keinen Menschen handelt, weswegen er anders handelt als die Soldaten. Aber genau diese Grundannahme widerspricht dem, was wir Lesende von „Junkyard Joe“ miterleben. Er sorgt sich um sein Umfeld und macht sich Gedanken über sein Handeln. Wenn er nicht so aussehen würde wie ein Roboter, könnte man glatt meinen, es handele sich um einen Menschen aus Fleisch und Blut.    

So geht von einer ursprünglich zur Zerstörung und zum Morden geschaffenen Maschine zunehmend weniger Gefahr aus. Dabei sind seine Kräfte weiter übermenschlich und sein Umfeld vergisst, dass es sich um eine tickende Zeitbombe bei ihm handeln könnte. Wie also umgehen mit diesem Konflikt? Kann der Mensch Robotern vertrauen und sie gleichbehandeln, oder muss er sich Sorgen machen, dass ein von ihm geschaffener „Diener“, die Rollenverhältnisse ins Gegenteil verkehren wird, wenn man ihn nur machen lässt und nicht frühzeitig Einhalt gebietet? Der Comic „Junkyard Joe“ lässt in beide Wege philosophieren und beeindruckt durch seine Tiefe. Da auf dem Buchrücken die Zahl „1“ zu lesen ist, kann es eine Fortsetzung geben, was am Ende des Bandes angedeutet wird. Notwendig ist eine solche nicht. Das Werk spricht für sich.

Am Ende des Comics warten auf die Lesenden stolze 22 ganzseitige Covervarianten von „Junkyard Joe“. Zudem wurde der Comic durch Texte der Autoren und weiterer Künstler bereichert, die wissen lassen, woher ihre Ideen stammen. Sie danken den amerikanischen Veteranen und den amerikanischen Hilfsorganisationen, welche dafür sorgen, dass niemand nach einem Kriegsdienst allein gelassen wird. Denn machen wir uns nichts vor: Dieser Comic ist auch als eine Allegorie für den durch den Krieg abgestumpften und aufgrund seiner Erlebnisse mechanisch-werdenden Menschen zu lesen, dessen „eingerostete“ Gefühle erst wieder allmählich und sehr beschwerlich auf „Betriebstemperaturen“ erwärmt werden können.

Fazit: Dieser Comic ist eine Wucht. Die Vermengung aus der Frage zum Unterschied zwischen Mensch und Roboter mit Fragen zum (Un-)Sinn von Kriegen und den dadurch hervorgerufenen Traumata und posttraumatischen Belastungsstörungen ist erschütternd und rüttelt wach. Wenn einen die Schlagzeilen über Kriege und deren Opfer zu erdrücken scheinen, so zeigt dieser Comic den Krieg aus einer weiteren Perspektive und macht darauf aufmerksam, dass auch für die Soldaten das Ende eines Kriegseinsatzes kein Automatismus für (innere) Ruhe ist, sondern es der Unterstützung und Hilfe bedarf. Junkyard Joe“ von Geoff Johns und Gary Frank ist ein sehr zu empfehlendes Werk, das unangenehme und zeitlose Fragen stellt.      

Junkyard Joe
Comic
Geoff Johns, Gary Frank
Cross Cult 2024
ISBN: 978-3-98666-207-3
200 S., Hardcover, deutsch
Preis: 35,00 EUR

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