V wie Vendetta

Kaum ein Comic hat die Geschichte der sogenannten „Neunten Kunst“ so nachhaltig geprägt wie „V wie Vendetta“. Geschrieben von Alan Moore und gezeichnet von David Lloyd erschien die Comic-Serie erstmals im Jahre 1983 im britischen Magazin „Warrior“ – mitten in den Jahren des Thatcherismus. Ursprünglich als politische Dystopie angelegt, wurde sie nach der Einstellung des Magazins im Jahre 1988 dann bei DC Comics vollständig veröffentlicht und später als Graphic Novel zu einem der wichtigsten Werke der Comic-Geschichte. 40 Jahre später folgt nun eine weitere Besprechung dieses echten Klassikers.

von Daniel Pabst

Viele von uns kennen sie wahrscheinlich und haben sie im Film- und Fernsehen gesehen, selbst einmal (zu Fasching) getragen oder Menschen mit ihr gesehen. Gemeint ist die Guy-Fawkes-Maske: Das weiße, grinsende Gesicht mit Spitzbart und schmalem Schnurrbart, welches längst zum Symbol für Protest, Anonymität und Widerstand geworden ist. Doch nur wenige kennen ihren Ursprung. Dieser liegt in einem Comic. Und dreimal könnt ihr raten, in welchem? Richtig geraten: Es ist der hier rezensierte Comic, „V wie Vendetta“, aus der Feder von Alan Moore und David Lloyd. Wer aber verbirgt sich hinter der ikonischen Maske? Ist es ein Rächer, oder steckt viel mehr dahinter? 

Die Geschichte von Alan Moore entfaltet sich über drei Bücher und spielt in einem totalitären Großbritannien der nahen Zukunft, welches nach einem Atomkrieg unter dem Regime der faschistischen „Norsefire“-Partei steht. Im Land geht Angst um und diese wird durch Propaganda und permanente Überwachung befeuert. Inmitten dieser Dunkelheit taucht plötzlich eine geheimnisvolle Gestalt auf. Mit Namen „V“ lernen die Lesenden einen gebildeten und gleichzeitig radikalen Freiheitskämpfer kennen, der das totalitäre System seinerseits mit Terror und symbolträchtigen Taten aufmischt. Dabei trägt er stets eine Guy-Fawkes-Maske, die das Gesicht des am 05.11.1605 gescheiterten Attentäters (mit gleichlautendem Namen) auf das britische Parlament darstellen soll. 

Wer spätestens jetzt die popkulturelle und ikonische Maske (nein, nicht etwa die aus der Netflix-Serie „Haus des Geldes“) vor sich sieht, der hat vermutlich auch die Verfilmung dieses Comics aus dem Jahre 2005 gesehen (Regie: James McTeigue) mit Natalie Portman und Hugo Weaving in den Hauptrollen. Passenderweise wird der Film übrigens im nächsten Jahr anlässlich des 20-jährigen Jubiläums zurück auf die Kinoleinwand kommen: www.youtube.com/watch. Da kommt diese Comic-Neuauflage im Softcover mit seinen 288 Seiten doch gerade rechtzeitig, oder?

Nun aber wieder zurück zum Inhalt des Comic. Als V die junge Evey Hammond vor einem sexuellen Übergriff und damit auch ihrer drohenden Ermordung durch Angehörige der Geheimpolizei rettet, entfaltet sich eine komplexe Beziehung, die weit über das übliche Helden-Schützling-Muster hinausgeht. Die Leserinnen und Leser folgen nicht nur V und Evey, sondern auch den wichtigsten weiteren Figuren innerhalb des Machtapparats der Norsefire-Partei, wie den Polizisten, Bürokraten, Propagandisten und Wissenschaftlern, die das totalitäre System aufrechterhalten und damit stützen. Dass das kein einfaches Leseerlebnis sein wird, ist anlässlich der darin behandelten Themen geradezu immanent. 

Eine besondere stilistische Eigenheit von „V wie Vendetta“ ist der bewusste Verzicht auf Gedankenblasen und textlichen Geräuscheffekte, was man so aus tausend anderen Comics kennt und hier auch erwartet hätte. Doch Alan Moore und David Lloyd vertrauten bei der Schaffung dieses Klassikers ganz auf die Kraft der Bilder und ihrer Dialoge. Das Schweigen, die sich wiederholenden Pausen und die gesamte visuelle Darstellung erzeugen eine alarmierende Authentizität. Die zu sehende Gewalt, der Schmerz und die erschütternden Ereignisse gewinnen an Tiefe und werden einen sicherlich nicht in Ruhe lassen. Wer diesen Comic noch nicht gelesen hat, der wird ein Werk zu Gesicht bekommen, welches sich – nicht nur wegen der Verkleidung von V – wie ein Theaterbesuch anfühlt.

Das besondere ist zudem, dass sich beim Lesen viele Fragen stellen. So fragt man sich, ob V ein Held oder schlicht ein zu verurteilender Terrorist ist? Man möchte wissen, wer hinter der Maske steckt? Mit der Maske als Symbolbild dieses Comics stellt sich zudem zwingend die übergreifende Frage, ob nicht jede und jeder ein „zweites Gesicht“ trägt und sich ab und zu hinter einer Maske versteckt oder sich zumindest dahinter verstecken möchte? Dieses Thema wurde nicht nur bei Stanley Kubrick in „Eyes Wide Shut“ behandelt. Es findet sich in vielen Werken und auch Musikstücken, wie exemplarisch das Lied von Peter Fox „Das zweite Gesicht“. Gleichzeitig werden Masken – wie man vor gar nicht allzu langer Zeit schmerzlich erfahren musste – aus gesundheitlichen Gründen getragen und dienen dann wiederum nicht dem Verbergen, sondern dem Schutz der Anderen. Man merkt also – je tiefer man sich mit dem Thema „Masken“ beschäftigt –, dass sich eine einfache Antwort verbietet …

Auch Alan Moore verweigert sich einfachen Antworten. „V wie Vendetta“ zwingt die Lesenden, selbst nachzudenken und ihre moralischen Maßstäbe zu hinterfragen. Sind diese unerschütterlich oder bekommen diese Risse? In dieser Geschichte gibt es keine eindeutigen Antworten. Selbst die Widersacher werden selten als eindimensionale und banale Figuren dargestellt, sondern bieten komplexe Persönlichkeiten mit (nachvollziehbaren?) Überzeugungen, Ängsten und inneren Widersprüchen. Will Alan Moore damit sagen, dass es „gut“ und „böse“ also gar nicht gibt, sondern vielmehr nur noch „Graubereiche“ in unseren modernen Zeiten existieren?

Besonders spannend – auch für Comic-Sammlerinnen und -sammler –  an dieser Neuausgabe von „V wie Vendetta“ ist das Hinzufügen von zwei Kurzgeschichten, die ursprünglich parallel zur Erstveröffentlichung im „Warrior“-Magazin erschienen sind. Diese sogenannten Zwischenspiele wurden von den Autoren selbst nie als wesentlicher Bestandteil der Handlung betrachtet – und das zu Recht. Sie erweitern zwar das thematische Umfeld des Comics und geben zusätzliche Einblicke in die Welt, sind aber eher als atmosphärische Ergänzungen anstatt als notwendige Kapitel zu verstehen.

Abgerundet wird diese Ausgabe dann noch durch einen zehnseitigen Anhang, der in die Entstehungsgeschichte von „V wie Vendetta“ eintaucht. Er beleuchtet Alan Moores erste Ideen, die ihren Ursprung in seiner Arbeit für das „Marvel UK Hulk Weekly“ hatten, sowie seinen regen Austausch mit dem Zeichner David Lloyd und dem Comic-Redakteur Dez Skinn. Wer Alan Moore schon immer fragen wollte: „Woher bekommen Sie Ihre Ideen? Was inspiriert sie und wissen Sie, was sie tun?“, der wird in diesem Anhang auf äußerst interessantes Material stoßen. So räumt er darin auch ein: „Wenn ein Comic über seine Schöpfer hinauszuwachsen beginnt, verspürt man natürlich eine gewisse Nervosität, da man nicht weiß, in welche Richtung der Comic nun geht. (…) Es ist toll, solange man noch dabei ist, aber man ist sich eigentlich nicht sicher, wo man landen oder ob man noch in einem Stück sein wird, wenn man dort ankommt“.

Fazit: Unabhängig von tagesaktuellen Nachrichten über die Politik in unserer Welt betrachtet, hat „V wie Vendetta“ auch im Jahre 2025 seine Faszination nicht verloren. Die Guy-Fawkes-Maske, welche einst als Symbol eines fiktiven Aufstands betrachtet wurde, ist längst in der realen Welt angekommen. Viele Zitate dieses Werkes wurden und werden bei Protesten und Widerständen verwendet. So gewaltsam sie auch klingen mögen, so populär sind sie geworden, wie etwa die beiden Zitate: „Ein Volk sollte keine Angst vor seiner Regierung haben, eine Regierung sollte Angst vor ihrem Volk haben“ („People should not be afraid of their governments, governments should be afraid of their people“), oder auch „Ideen sind kugelsicher“ („and ideas are bulletproof“). Wer diesen Comic bislang nicht gelesen hat, der hat etwas verpasst und sollte hier zugreifen.

V wie Vendetta
Comic
Alan Moore, David Lloyd
Panini Comics 2025
ISBN: 978-3-7416-4601-0
288 S., Softcover, deutsch
Preis: 29,00 EUR

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