Jagd nach dem Ring

„Versteck dich, wo du willst. Wir kriegen dich, wir finden dich und dann nehmen wir, was uns gehört. Es gehörte immer schon uns, und du wirst uns nicht im Wege stehen.“ Wenn die Nazgûl gierig die Wälder durchstreifen, sollte man sich lieber zu Hause verstecken. Doch was ist, wenn du es bist, den sie suchen? Dieses Spiel kann fesseln, wenn man es nur lässt.

von Kai Melhorn

Jeder, der das Buch „Der Herr der Ringe“ gelesen hat oder die Filme sah, wird sich daran erinnern, wie es sich angefühlt hat, die machtlosen kleinen Hobbits nur auf Armeslänge entfernt von den Nazgûl zwischen den Wurzeln der Bäume kauern zu sehen. Schon damals musste ich über mehrere Buchseiten den Atem anhalten. Das klappte gerade noch, aber über mehrere Stunden könnte das schwierig werden. Hoffentlich ist das Spiel nicht ganz so dramatisch.

Ein kurzer Überblick


In diesem äußerst asymmetrischen Spiel übernimmt ein Spieler die Rollen von Frodo und Gandalf, die den Ring nach Bruchtal bringen wollen. Die anderen Spieler (einer bis zu vier) übernehmen die Nazgûl, die genau das verhindern müssen. Bei dem sogenannten „hidden movement“ Mechanismus bewegen sich Frodo und Gandalf geheim auf dem Spielbrett von Ort zu Ort. Dazu wird den Pfad hinter einem Sichtschirm aufgeschrieben, sodass der Weg nachvollziehbar ist, den Jägern aber verborgen bleibt. (Spiele-Veteranen kennen das vom Klassiker „Scotland Yard“.)

Die Nazgûl ihrerseits durchforsten die Waldwege auf der Suche nach dem Einen Ring und seinem Träger. Haben sie erst die Witterung aufgenommen, gehen sie auf die Jagd, und sollten sie ihn erwischen, bleibt Frodo oft nichts anderes übrig, als den Ring zu nutzen, um zu entkommen. Geschieht dies zu oft, kann er der Macht des Rings nicht mehr widerstehen und verfällt ihm. Das Spiel geht verloren.

Zudem ist das Spiel in zwei Hälften aufgeteilt. Zunächst steuert man Frodo direkt und vertraut auf die Hilfe von Gandalf, den anderen Hobbits und Bewohnern des Auenlandes. Hat man Bree erreicht, ist der erste Teil abgeschlossen und die Rollen werden gewechselt. Auf dem Weg von Bree nach Bruchtal ist es Gandalf, den man steuert. Frodo schleicht durch die Wälder, ohne dass wir dies direkt beeinflussen könnten. Stattdessen versucht man als Gandalf Verwirrung bei den Nazgûl zu stiften und sie von Frodos Spur abzulenken. Auch hier ist das Spielziel der Parteien wieder klar. Gelingt es den Nazgûl, Frodo mit Hilfe der Macht des Rings zu korrumpieren, bevor dieser Bruchtal erreicht, haben sie gewonnen.

Das Material



Viele Dinge gibt es zu entdecken, wenn man die Box öffnet. Die Miniaturen sind in jedem Fall erwähnenswert. Man hat sich für einen seltenen hybriden Ansatz zwischen abstrakter Spielfigur und Miniatur entschieden, was erstmal gewöhnungsbedürftig ist. Wie Statuen stehen die Charaktere auf einem Sockel, der etwa 50% der Höhe ausmacht. Der obere Teil zeigt die Charaktere mit ausdrucksstarker Gestik und ist gut gelungen. Der Sockel in der Farbe des jeweiligen Charakters ist ein gebogener, abgeschnittener Kegel. Da ich nicht der absolute Miniaturen-Fan bin, finde ich die Lösung gar nicht schlecht, denn sie dient dem Standvermögen und der Übersicht, da die Farben sehr auffällig sind.

Der Sichtschirm dient dem Verdecken der Bewegungen und hilft noch, weitere verdeckte Informationen im Auge zu behalten. Besonders der Kniff, das Spielbrett auf der Innenseite abzudrucken, war eine gute Idee, damit die Gegner anhand der Augenbewegung keine Position ablesen kann. Leider funktioniert das nur bedingt, denn für eine Gesamtübersicht mit den Nazgûl und ihren Möglichkeiten ist es wieder besser, auf den Hauptplan zu schauen.

Die Würfel der Nazgûl zeigen verschiedene Symbole, die gut zu erkennen und außerdem stimmungsvoll gewählt wurden. Eine gute Qualität, so sollte es immer sein.

Das Design ist durch die Bank toll und stimmungsvoll geworden, auch das Regelwerk ist sehr hübsch anzusehen. Dieses hat mit seinen 40 Seiten erstmal einen gehörigen Umfang. Es liest sich grundsätzlich gut, aber auf der anderen Seite scheinen viele Kleinigkeiten zu umständlich erklärt. Es gibt Wiederholungen und die Struktur ist etwas unübersichtlich, denn trotz oder gerade wegen der vielen Überschriften für kurze Absätze weiß man nicht genau, wo man sich befindet und wie man einzelne Regeln wiederfindet. So kostet ein Nachschlagen im Spiel eine Menge Zeit. Das Glossar hilft immerhin, Unsicherheiten von Wortdefinitionen schnell zu klären.

Weiterhin enthalten sind ein doppelseitiger Spielplan sowie diverse Marker und Karten für die besonderen Kräfte der Nazgûl und Frodos Unterstützer. Alles in allem ein hochwertiges Paket mit mittelmäßigem Regelwerk und Miniaturen, die nicht allen gefallen werden.

Das Spiel



Gerade für Fans von „Der Herr der Ringe“ ist das Spiel unglaublich stimmungsvoll. Als Frodo sieht man die Horde der Nazgûl auf sich zurasen und versucht verzweifelt, eine Lücke in ihren Bewegungen zu finden. Durch das Spielen von Handkarten kann man sich die Unterstützung von Freunden sichern oder auch einige Aktionen der Jäger kontern. Das nimmt aber kaum das Gefühl, hoffnungslos unterlegen zu sein. Schließlich zieht sich das Netz enger und man weiß, dass man nur unbeschadet entkommen kann, wenn die Nazgûl-Spieler vielleicht doch etwas übersehen. Denn durch die Hinweise, die sie sammeln können, haben sie irgendwann genug Informationen, um treffsicher zuschlagen zu können. Eine erfolgreiche Jagd der Ringgeister bedeutet aber zum Glück nicht gleich das Ende. Mit Hilfe des Rings kann man entkommen und sich ein gutes Stück weit in Richtung der Zuflucht bewegen.

Hat man diese erreicht, beginnt der zweite Teil. Von nun an kontrolliert man Gandalf und Frodo reist anhand einer festgelegten Route nach Bruchtal. Gandalf und die verschiedenen Karten, die einem auch in diesem Teil zur Verfügung stehen, können dabei helfen. Dabei versucht der Gandalf-Spieler, falsche Fährten zu legen und kann bei Bedarf auch wenige Male eingreifen, um die Nazgûl zu vertreiben. Dennoch fühlt man eine gewisse Machtlosigkeit, denn durch den Verlust der Kontrolle über den Weg des Ringträgers ist man weniger direkt involviert und fühlt sich hin wieder zum Zuschauer degradiert. Hinzu kommt, das ein Glückstreffer am Anfang auch mal spielentscheidend sein kann. Soetwas kann man im ersten Teil verhindern, im zweiten Teil leider nicht immer.

Zu erwähnen bleibt noch der Fürst der Nazgûl, der im zweiten Teil des Spiels hinzu kommt. Er bietet den Ringgeistern besondere Fähigkeiten und erschwert Frodos Reise noch zusätzlich. Ein gelungenes Element.

Spielerzahl, Spielzeit und Wartezeiten



Als Frodo oder Gandalf muss man natürlich alle Fluchtwege genau im Auge behalten. Die Überlegungen für den nächsten Schritt sind komplex und Grübler können hier ein ums andere Mal an den Nerven der Mitspieler zerren. Zwar können sich die Ringgeister inzwischen weiter austauschen, aber natürlich werden sie ihre Taktik nicht verraten wollen. Die Wartezeiten auf Seiten des Frodo-Spielers sind aus meiner Sicht weniger kritisch, da die Überlegungen der Ringgeister, die auf gute Absprachen angewiesen sind, die Spannung nur noch steigern. Das gilt natürlich aber auch nur für ein Spiel mit mehreren menschlichen Gegnern. Im Spiel zu zweit wird oft ein grübelndes Schweigen am Tisch herrschen. In diesem Kontext würde ich auch davon abraten, das Spiel mit fünf Spielern zu spielen. Es verlängert die Wartezeiten durch zusätzliche Diskussionen und nimmt dem Spiel die Intensität. Es gewinnt durch mehr Spieler leider nichts hinzu, außer Spielzeit. Daher halte ich die Kombination von einem Frodo-Spieler gegen zwei Spieler der Nazgûl für optimal.

In den Regeln selbst wird dazu geraten, die beiden Teile an zwei Abenden zu spielen, denn pro Teil wird die Spielzeit mit etwa 90 Minuten angegeben. Mit etwas Erfahrung wird man etwas schneller durchkommen, aber dennoch kann man eine Spielzeit von deutlich mehr als zwei Stunden für beide Teile veranschlagen. Die Möglichkeit das Spiel, nach Teil eins abzuspeichern und an einem anderen Abend mit dem zweiten Teil weiterzumachen, hilft da nur bedingt, denn eigentlich beginne ich ungern ein Spiel, von dem ich weiß, dass ich es an diesem Abend nicht beenden werde.

Verknüpfung mit „Der Ringkrieg“



Ein weiteres Brettspiel knüpft thematisch direkt dieses Spiel an. Es behandelt die Reise der Gemeinschaft von Bruchtal zum Schicksalsberg und ist von den selben Autoren wie „Jagd nach dem Ring“. Um die beiden Spiele zu einem epischen Erlebnis miteinander zu verknüpfen, haben sich die Autoren etwas Besonderes ausgedacht. Je nach Ausgang der Reise nach Bruchtal geht eine der Parteien mit einem Vorteil in das folgende Spiel. Verliert Frodo, muss er von Elrond gerettet werden und braucht eine lange Zeit der Genesung, die die Schatten zur Stärkung ihrer Macht nutzen können. Somit gehen sie mit einem Vorteil in das nächste Kapitel. Gelingt es Frodo jedoch, Bruchtal mit all seinen Freunden zu erreichen, geht die Gemeinschaft gestärkt aus dem ersten Teil der Reise hervor und der Vorteil liegt auf ihrer Seite.

Wie sich dieses Konzept genau auf „Der Ringkrieg“ auswirkt, kann ich leider nicht beantworten, da ich dieses Spiel nicht kenne. Die Idee, die beiden Teile miteinander zu verknüpfen, finde ich allerdings genial und könnte von mir aus auch gerne in weiteren Spielen Verwendung finden.

Fazit: Das Spiel bringt einiges mit, dass man kritisieren kann. Die Regeln sind umfangreich, die Spielerzahl sollte beschränkt werden und das Spiel ist sehr lang, sofern man nicht auf die Notlösung eines Abspeicherns zurückgreifen will. Zudem fällt der zweite Teil gegenüber dem ersten etwas ab. Für Fans von „Der Herr der Ringe“ halte ich das Spiel dennoch für ein Muss. Es ist intensiv, stimmungsvoll und macht Spaß. Die Spannung ist greifbar und teilweise fühlt man sich wie gefesselt. Sollte man kein Fan sein, „Hidden-Movement“-Spiele aber lieben, ist es auch auf jeden Fall einen Blick wert.  

Jagd nach dem Ring
Brettspiel für 2  bis 4 ab 12 Jahren
Roberto Di Meglio, Marco Maggi, Francesco Nepitello
Heidelberger Spieleverlag - Asmodee (2018)
EAN: 4015566600232
Sprache: Deutsch
Preis: EUR 49,95

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