von KaiM
In diesem Familienspiel machen wir uns auf die gemeinsame Reise, wie wir sie spätestens seit der Jackson-Verfilmung am Anfang dieses Jahrtausends kennengelernt haben. Es ist im Wesentlichen ein Kartenspiel, angereichert mit einem variablen Spielplan und einigen wenigen anderen Elementen auf dem Tisch. Mit drei oder vier Personen ab 10 Jahren ist es innerhalb von 45 Minuten gespielt. Tatsächlich, und das ist außergewöhnlich, kann ich auch wirklich allen drei Angaben folgen. Schon alleine das ist erstaunlich, aber wie viel erstaunliche Dinge dieses Kartenspiel noch im Gepäck hat, sehen wir uns jetzt mal an.
Das Material
Wirklich schade, viel mehr kann man dazu kaum sagen. Der enthaltene Ring ist ein nettes Gimmick, was den Clou des Spiels noch hervorhebt, aber dazu später mehr. Der Rest ist eine Mischung aus günstigem Papp- und Kartenmaterial. Die optische Mischung aus Filmszenen, lieblosen Landschaftsillustrationen und einem fast ebenso lieblosen Kartendesign gibt dem guten Ersteindruck den Gnadenstoß. Die Regeln sind immerhin gut verständlich geschrieben, also haken wie die Optik sowie die Qualität mal ab und hoffen, dass das Spiel selbst besser überzeugen kann.
Das Spiel
Die Spielenden sind die Gemeinschaft des Rings und auf dem Weg nach Mordor, um den Ring zu vernichten. Eine Person ist dabei immer der Ringträger, der die dunkle Macht des Rings und Saurons auf sich zieht. Die Nazgûl sind ihnen auf der Spur und versuchen die Gemeinschaft einzuholen. Erreichen sie den Schicksalsberg, haben sie gemeinsam gewonnen. Werden sie jedoch von den Ringgeistern eingeholt, verlieren sie auch gemeinsam. Um das Ziel zu erreichen, werden Karten ausgespielt. Diese können entweder normal oder verkehrt herum auf der Hand gehalten werden, sodass man selbst nur die Rückseite, die Mitspieler aber die Vorderseite sehen können.
Ist man am Zug, legt man zunächst alle sichtbaren Karten aus, die Saurons Macht symbolisieren. Also auch jene, die andere verkehrt herum auf der Hand halten. In der Aktionsphase darf man Karten an die Landschaftsplättchen legen oder neue Landschaften aufdecken. Beim Ausspielen der Karten können auch wieder die Karten gelegt werden, die man selbst sehen kann – das heißt Karten, die man normal auf der Hand hat, oder solche, die die Mitspieler verkehrt herum halten. Dabei darf man sich zwar über das generelle Vorgehen unterhalten, es ist aber verboten, über die Karten selbst zu sprechen.
Im nächsten Schritt werden die ausliegenden Karten für die Reise genutzt. Dabei muss die Farbe der Karte mit dem farbigen Kreis übereinstimmen, den die Gemeinschaft als nächstes betreten will. So kann sie sich Stück für Stück nach vorne bewegen. Einige Karten haben zusätzliche Aktionssymbole, die ebenfalls hilfreich sein können. Diese darf man auch verwenden, dann können sie aber nicht mehr für den Reisefortschritt verwendet werden.
Durch die Karten „Saurons Macht“ bewegen sich die Ringgeister vorwärts, und so entwickelt sich ein Wettrennen, das für ein außergewöhnliches Spielerlebnis aber noch nicht reichen würde. Sammeln sich aber zu viele dieser Karten in der Auslage, verfällt der Ringträger der dunklen Macht. In diesem Moment ändert sich das Spiel komplett. Der Ringträger legt seine Karten ab und bekommt ein neues Kartendeck. Als Saurons Gehilfe versucht er nun, die Gemeinschaft von der Vernichtung des Rings abzuhalten und gewinnt alleine, wenn die Ringgeister die Gemeinschaft einholen. Schaffen die anderen Mitspieler es dennoch, den Ring zu vernichten, verliert er jedoch alleine.
So fühlt es sich an
Die Auslage von verschiedenen Farbkarten, um das Wettrennen gegen die Ringgeister zu gewinnen, ist an sich nichts Aufregendes. Auch die zusätzlichen Aktionskarten bringen keinen besonderen Flair, und wäre das alles, könnte man das Spiel getrost im Laden liegen lassen. Aber zum Glück ist das eben nicht alles. Man startet mit einem gemeinsamen Ziel, muss aber nach und nach feststellen, dass der Ringträger eine schwere Bürde trägt. Auch er selbst spürt die Macht Saurons immer weiter wachsen. Aber was wäre, wenn man alleine gewinnen könnte? Die Gemeinschaft ist doch sowieso verloren, da Sauron am Ende obsiegen wird. Um die Versuchung des Rings zu unterbinden, werden die Mitspieler versuchen, den Ring an sich zu bringen, was ihnen durch die Aktionskarten möglich wird, aber dann gibt es plötzlich einen neuen potenziellen Verräter. Wird er genauso standhaft sein, wie Frodo?
Dieses Für und Wider gibt dem Spiel eine spezielle Note und erzeugt eine besondere Stimmung am Tisch. Es kommt also stark auf die Spielrunde an. Halten alle lammfromm zusammen, wird die Bedrohung der schwarzen Reiter in den meisten Fällen abzuwenden sein und die Gruppe wird gewinnen. Wenn sich aber auch nur ein paar Zweifel einschleichen, Misstrauen entsteht und Anschuldigungen ausgesprochen werden, kann das Gleichgewicht ins Wanken geraten, und dann entsteht auch diese Dynamik am Tisch, die viel Kommunikation und Gelächter auslösen kann. Aber es braucht eben dieses Misstrauen untereinander, und niemand darf es übel nehmen, wenn man den eigenen Sieg über den der Gruppe stellt. Oder noch lustiger, wenn die Gruppe den Ringträger kurz vor dem Sieg der Gemeinschaft noch ins offene Messer laufen lässt und Saurons hilfloser Sklave zusehen muss, wie er alleine verliert. Das alles gehört zu diesem Spiel dazu und hat bei uns hervorragend funktioniert. Das muss es aber nicht in jeder Gruppe.
In diesem einen Punkt muss man dem Autor aber wirklich Respekt zollen. Bisher habe ich noch kein Spiel gefunden, dass den Zwiespalt des Ringträgers spielerisch wirklich umsetzt und nicht nur thematisch darauf hinweist. Das ist wirklich gelungen.
Fazit: Dieses Familienspiel hat durchaus seinen Reiz und nutzt mit dem sehr interaktiven Verrätermechanismus eine wenig genutzte Nische in der weiten Welt der Spiele, was bei uns sehr gut funktioniert hat. Die lieblosen Komponenten rauben aber leider jede Menge Flair, den das Spiel haben könnte. Da hilft auch der Ring in der Box nur wenig. Da das Spiel sehr von der Gruppe lebt, ist auch eine Proberunde vor dem Kauf sicherlich keine schlechte Idee. Daher kann ich nur eine eingeschränkte Kaufempfehlung geben.
Herr der Ringe – Der Ringträger
Brettspiel für 3 bis 4 Spieler ab 10 Jahren
Klaus-Jürgen Wrede
Schmidt Spiele 2024
EAN: 4001504494421
Sprache: Deutsch
Preis: 31,99 EUR
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