Der Ringkrieg – 2. Edition

Auch wenn es in J.R.R. Tolkiens Romantrilogie „Der Herr der Ringe“ primär darum geht, wie der Ringträger Frodo und seine Gefährten den Einen Ring nach Mordor bringen: Spätestens seit Peter Jacksons Filmadaption hat man vor allem die Bilder der spektakulären Schlachten um Helms Klamm oder Minas Tirith im Kopf, wenn man an das Epos denkt. „Der Ringkrieg“, ein thematisches Strategiespiel, setzt das Ganze nun für den Spieltisch um.

von Bernd Perplies

Eigentlich müsste man fast zwei Rezensionen zu diesem Spiel schreiben: Eine aus der Sicht eines „Der Herr der Ringe“-Fans, eine aus der eines Strategiespielers ohne sonderliche Affinität zu Tolkiens Epos. Vermutlich würden die Urteile merklich unterschiedlich ausfallen. Ich will im Folgenden versuchen, zu erläutern, warum.

Zunächst einmal wird man vom Inhalt der Spielbox beinahe erschlagen. Ein riesiges Spielbrett, das die bekannten Regionen Mittelerdes zeigt, unzählige unterschiedliche Plastikminiaturen, ein dicker Stapel großer und textlastiger Ereigniskarten und ein 48-seitiges Regelheft (dessen Regelteil aber erst richtig auf S. 18 beginnt) lassen das Herz des Strategiefans höher schlagen. Das Spielmaterial ist schön verarbeitet, allerdings kann es leicht geschehen, dass sich die Miniaturen beim Transport verbiegen und dann sehr windschief etwa im Sattel ihrer Pferde sitzen. Hier kann nur heißes Wasser Abhilfe schaffen. Des Weiteren fiel uns etwas negativ auf, dass gerade die Elite-Einheiten zu Pferd sich mit etwas Abstand recht ähnlich sehen, sodass man genau aufpassen muss, ob man nun einen Reiter von Rohan, einen aus Gondor oder einen aus dem Volk des Nordens im dichten Figurengewimmel auf dem Spielbrett hat. Hier wären unterschiedlich geformte Basen (etwa einmal rund, einmal quadratisch, etc.) sehr schön gewesen.

Die Regeln sind an und für sich gut und anschaulich geschrieben. Dennoch stellen sie zu Beginn eine nicht unerhebliche Einstiegshürde dar. Vor der ersten Partie wird allen Mitspieler dringend geraten, die Regeln zumindest einmal gelesen zu haben, sonst kann die Erklärung allein Stunden dauern – und da es viele Detailregeln gibt, häufen sich auch die Fehler, wenn nicht mehrere Spieler mit den Abläufen vertraut sind. Zum Glück gibt es auch noch 2 Kurzregelbögen, die auf je 2 Seiten die wichtigen Infos für den Einsatz während einer Partie zusammenfassen.

Für Sauron und seine Verbündeten liegt das Ziel des Spiels darin, entweder Mittelerde zu unterjochen, indem sie 10 Siegpunkte an eroberten Städten (1 Punkt) und Festungen (2 Punkte) anhorten, oder den Ringträger zu korrumpieren. Die Freien Völker wollen die Ringgemeinschaft heimlich zum Schicksalsberg bringen oder müssen 4 Siegpunkte durch militärische Gegenangriffe erzielen. Genau wie in den Romanen gibt es also zwei parallele Handlungsebenen, die auch tatsächlich weitgehend unabhängig voneinander bespielt werden. So können sich sowohl Ringgemeinschaft als auch Nazgûls fröhlich durch feindliche Armeen und Regionen bewegen, weil Armeen nur auf Armeen reagieren, nicht auf „Charaktere“.

Das Spiel folgt, ungeachtet vieler Details, im Prinzip einem einfachen Mechanismus: Zu Beginn zieht jede Seite (die aus ein oder zwei Spielern bestehen kann) 2 Ereigniskarten, die entweder Armee-Effekte oder Charakter-Effekte aufweisen – neben zusätzlichen Kampfeffekten im unteren Teil der Karte, die nur bei einer Schlacht zum Tragen kommen. Dann kann die grundsätzlich verborgen marschierende Ringgemeinschaft (das Element erinnert ein wenig an „Scotland Yard“) entscheiden, ob sie sich zeigt. Tut sie das in Städten oder Festungen, werden die verschiedenen Fraktionen der Freien Völker, die zunächst, von den Elben abgesehen, kein Interesse am Kampf mit Sauron haben, aktiviert, das heißt, sie können nun in den Krieg ziehen, sofern Ereigniskarten oder feindliche Angriffe ihren Politikmarker auf der Politikleiste entsprechend auf das Kriegsfeld ziehen. Dieser Mechanismus spiegelt schön die mangelnde Einigkeit der Zwerge, Elben und Menschenvölker zu Beginn des Ringkriegs wider. Außerdem kann sich die Ringgemeinschaft bei seinen Verbündeten ausruhen und die Macht des Rings reduzieren, die auf einer speziellen Gemeinschaftsleiste vermerkt wird. Erreicht der „Macht des Rings“-Marker je den Wert 12, ist das Spiel sofort vorbei und für die gute Seite verloren.

Danach kann der Schatten einige seiner zu Beginn 7 Aktionswürfel (3 zusätzliche kann er gewinnen, wenn er seine Schergen Saruman, Hexenkönig und Saurons Mund ins Spiel bringt) in den Jagdwürfel-Pool legen, der genutzt wird, um die Ringgemeinschaft zu entdecken, wenn sie sich bewegt. Ein regelmäßiges Entdecken ist wichtig, weil nur so den Ringträgern und ihren Gefährten durch spezielle Jagdplättchen Schaden zugefügt wird und diese auf ihrem Weg aufgehalten werden. Die übrigen Würfel werden geworfen (bei den Freien Völkern sind es 4 mit Option auf 2 mehr). Die erwürfelten Symbole werden dann in der wichtigsten Phase einer Spielrunde, der Aktionsphase, genutzt, um Armeen zu bewegen, mit Armeen anzugreifen, die Ringgemeinschaft zu bewegen, Ereigniskarten zu spielen, Truppen zu rekrutieren und mehr. In dieser Phase findet ein Großteil des Spiels statt. Die Mechanismen – und auch viele Regeldetails – kennt man aus anderen Strategiespielen. So geben Städte und Festungen Verteidigungsboni, Armeen können geteilt oder verschmolzen werden, die Kampfeffekte von Ereigniskarten bieten kleine Vorteile beim Kampf.

Hierzu vielleicht noch zwei Sätze. Ein Kampf wird über mehrere Kampfrunden ausgespielt. Dabei kann jede Partei zuerst eine Ereigniskarte mit Kampfeffekt ausspielen, der für die Runde gilt. Dann wird ein Kampfwurf durchgeführt. Jede Einheit (egal ob Elite oder Regulär) gibt einen Würfel, wobei man maximal 5 Würfel werfen darf. Normalerweise ist jede 5 oder 6 ein Treffer, wobei Effekte den Wurf modifizieren können. Sind Anführer („normale“ Anführer, Nazgûl, Schergen oder Charaktere) Teil der Armee, darf der Spieler so viele Würfel, die nicht getroffen haben, neu werfen, wie der Führungswert angibt. Normale Anführer und Nazgûl gegen 1 Punkt, Charaktere und Schergen auch mal 2. Danach wird für jeden Treffer eine Einheit entfernt, wobei Elite-Einheiten 2 Schäden abfangen können. Am Ende jeder Runde kann man sich zurückziehen, wobei es gerade bei den Freien Völkern eine beliebte Strategie ist, sich in Festungen zu verschanzen und die Schlacht so in die Länge zu ziehen, da der Angreifer dort nur bei einer 6 trifft und mit jedem Aktionswürfel nur 1 Kampfrunde auslösen kann, es sei denn, er ersetzt eine Elite-Einheit durch eine reguläre.

Kommen wir zur Kritik und damit dem eingangs erwähnten Zwiespalt: Durch die Startaufstellung – der Schatten hat anfangs sehr viele Einheiten im Südosten des Spielplans (Mordor) –, die relativ mühsame und langsame Bewegung über den Spielplan, die Kampfvorteile in Festungen und die Siegbedingungen, wird vom Spiel selbst eine gewisse Strategie merklich befördert. So bietet es sich für den Schatten an, die Region um Minas Tirith anzugreifen, weil sie für große Truppenbestände nah liegt und viele Städte und Festungen bietet, die Siegpunkte darstellen. Die Freien Völker verschanzen sich am Besten in ihren Festungen, also Minas Tirith und dem durch Orthanc bedrohten Helms Klamm, während gleichzeitig die Ringgemeinschaft auch unter personellen Verlusten durchs Land getrieben wird, damit der Ring möglichst rasch im Schicksalsberg landet. Das entspricht witzigerweise weitgehend der Handlung der Romane.

Natürlich wird es in jeder Partie Abweichungen davon geben. Aber dass in der Gondor-Region gepflegte Langeweile herrscht, während sich der Krieg im Westen des Spielsplans zu trägt, ist sehr unwahrscheinlich. Viel eher wird die Region westlich von Bruchtal, obwohl dort ein paar einzelne Einheiten stehen, vermutlich kaum beachtet werden. Zu wenig Punkte lassen sich dort erzielen. Zumal Orte wie das Auenland oder die Grauen Anfurten einfach zu weit ab vom Schuss liegen, um sie mit Armeen gut erreichen zu können. Für einen „normalen“ Strategiespieler mag es etwas frustrierend sein, dass ganze Landstriche der Spielkarte (so die komplette Westküste Mittelerdes) nur gut aussehen, aber keinen Spielzweck erfüllen. Man könnte von Platzverschwendung auf dem Spieltisch sprechen.

Dem Spielspaß selbst tut das allerdings wenig Abbruch. Noch immer existieren genug Krisenherde. So können die Elben in Lórien und Bruchtal Moria und den Gundabadberg bedrohen. Ostlinge mögen gegen Thal, Erebor und das Waldlandreich vorrücken. Sarumans Truppen stürmen gegen Rohan, und Mordor bedrängt Gondor. Das alles wird mit einem erstaunlichen Flair für Tolkiens Romane präsentiert. Als thematisches Strategiespiel, das halt auch die regionalen Begebenheiten eines bekannten, militärischen Konflikts berücksichtigt, kann „Der Ringkrieg“ daher voll punkten.

Fazit: Für Fans von Strategiespielen, die völlig ergebnisneutral einen Kampf um eine ganze Welt erlauben, ist „Der Ringkrieg“ vielleicht das falsche Spiel, da das Setting eine gewisse Spielentwicklung begünstigt, die sich an Tolkiens Romanen orientiert. Wer allerdings den „Herrn der Ringe“ mag und sich an den zahlreichen, klug in Spielmechanismen umgesetzten Verweisen auf die Romane erfreuen kann, für den ist das Spiel genau das Richtige. Die umfangreichen Regeln stellen eine gewisse Einstiegshürde dar, doch nach 1-2 Partien hat man die allesamt logischen und auch dem gesunden Menschenverstand entsprechenden Details verinnerlicht und kann sich ganz der durchaus dramatischen, durch unerwartete Ereigniskarten und Würfelglück bzw. -pech beförderten Atmosphäre am Spieltisch hingeben. (Und, oh ja, die Schlacht um Lórien war dramatisch!)

PS: Es existieren ein paar kleinere Fehler auf einigen Ereigniskarten, deren Errata man beim Heidelberger Spieleverlag runterladen kann.


Der Ringkrieg – 2. Edition
Brettspiel für 2 bis 4 Personen ab 14 Jahren
Roberto Di Meglio, Marco Maggi, Francesco Nepitello
Ares Games/Heidelberger Spieleverlag 2012
EAN: 4015566030916
Sprache: Deutsch
Preis: EUR 60,00

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