von Karl-Georg Müller
212 Seiten, aber nur drei Kapitel. Das verspricht Übersichtlichkeit. Und dem ist auch so, denn Kapitel 1 befasst sich mit der „Einführung“, während die beiden anderen Kapitel jeweils den Helden und den Schurken vorbehalten sind.
In der Einführung erfahren wir zuvorderst allgemeines zu Helden- und Schurkentypen, zu ihrem Verhalten und ihren Unterschieden. Hiernach werden die einzelnen Typen voneinander unterschieden; die Helden sortieren sich in Unbeugsame, Geschickte, Taktiker, Unerschütterliche und Trickster, die Schurken in Bestien, Chamäleons, Masterminds, Unaufhaltsame und Wahnsinnige. Diese Typen werden erläutert, wobei sich schurkische Masterminds fast von selbst erklären (Moriarty wäre ein modernes Beispiel), während erhellende Worte zu den Trickstern hilfreich sind, stellen sie sich doch als Schwindler dar, die „ungewöhnliche Tricks zur Problemlösung“ anbieten. Nun ja, gut und böse gibt es nicht immer in Reinkultur, und deshalb wird abschließend in der Beschreibung zu den Trickstern festgehalten: „Sie sind im Herzen wahre Helden. Und das ist alles, was zählt.“
Mit „Heilsbringer“ wird uns noch ein neuer Vorteil angeboten – ein Schurke darf bekehrt werden. Sauron hätte sicher dankend abgewunken, aber die Schurken der 7ten See sind vielleicht von einem anderen, windelweicheren Kaliber. Wir werden sehen …
Nachdem wir noch einige Worte zu „Wie man dieses Buch benutzt“ lesen, begegnen wir auf den folgenden Seiten den Helden. Jeder Heldin und jedem Held sind zwei Seiten gewidmet, die sowohl bei den Helden, wie auch bei den Schurken gleich aufgebaut sind. Sie sind übersichtlich gestaltet und machen die Übernahme ins Spiel einfach.
Zu jedem Typ stehen acht weibliche oder männliche Helden zur Verfügung. Die linke Seite wird optisch halbiert, links sehen wir eine Porträtzeichnung, rechts davon die Werte zu Eigenschaften und so weiter, wie wir es von den Charakterbeschreibungen gewohnt sind. Dazu gesellen sich Ausführungen zu den Vorteilen, Spleens, Tugenden und Untugenden.
Die Porträtzeichnungen sind gewöhnungsbedürftig, bei Isabeau Durpan (Seite 24) wirkt der Kopf zu groß geraten, bei Isaac Paige (Seite 22) zu klein, und Marrok (Seite 28), der als Vorteile über Boxen und Perfekte Balance verfügt, macht den Eindruck, als ob er nicht nur kein Wässerchen trüben könnte, sondern auch einen übern Durst getrunken hätte. Wenn ich meinen Spielern Marrok als Helden verkaufen will, der ihnen das Leben retten wird, werden sie sich halb totlachen und Marrok (und mich) zum Spielen ins Bällebad schicken ...
Aufmerksam widmen wir uns dann der rechten Seite, denn diese führt uns den Helden plastisch vor Augen: mit seiner Vorgeschichte, den Zielen und einem kurzen Abschnitt dazu, wie man den Helden ins Rollenspiel einbinden kann.
Einen Blick werfen wir auf den genannten Marrok. Seine Vorgeschichte erstreckt sich über eine halbe Seite, beginnt mit einer Affäre seiner Mutter, weshalb er im Wald zum Sterben ausgesetzt wird. Ein Rudel Wölfe rettet den Kleinen, und – man ahnt es – er wächst wie ihresgleichen bei ihnen auf. Das Rudel wird gejagt, als er erwachsen ist, er rettet sich auf einen Bauernhof. Gute Menschen päppeln ihn auf, und nachdem er seine unglaubliche Geschichte erzählt hat, macht er sich auf, um die Mörder seiner Wolfsmutter zu stellen. Hiermit verbunden sind die nachfolgenden Ziele: Wolfsrudel finden, Mörder zur Rechenschaft ziehen und den richtigen Namen seines Vaters erfahren. Aus diesen Zielen können nun Aufgaben oder Situationen für die Spieler gestaltet werden. Wie Marrok dabei zu handhaben ist, lesen wir unter „Marrok spielen“ (wobei hier festgehalten wird, dass der junge Mann „ein Berg von einem Mann ist“ – womit wir wieder beim wenig überzeugenden Porträtbild sind.)
Was auffällt: Keine Heldin und kein Held sind Überhelden, manche wohl eher lokale Berühmtheiten, die den Spielern unter die Arme greifen. Aus meiner Sicht spricht das für sie, denn so können sie, ohne das Spielgleichgewicht im Übermaß zu belasten, eingesetzt werden.
Kapitel 3 ist sodann für die Schurken reserviert. Hingeführt werden wir mit allgemeinen Anmerkungen zu Schurken in „7te See“, beispielsweise wie für diese Angriffsziele ausgewählt werden können oder zu den besonders heftigen Bestien-Schurken. Und zu Intrigen, in denen Schurken richtig aufleben können und die in einem Rollenspiel oft das Salz in der Suppe sein können. Letztlich finden wir uns mitten in der Beschreibung zu einem Duell von Schurke und Held wieder – das ultimative Highlight am Ende eines Abenteuers.
Natürlich sind die Schurken ein anderes Kaliber als die Helden – und das macht sie fürs Spiel umso interessanter. Die richtigen Widersacher erst bringen Spannung in eine Begegnung, Nervosität vielleicht, den Wunsch, die Bedrohung in Gestalt beispielsweise von Madre Guineu zu überwinden, die auf den ersten Blick ein gutes Herz hat, denn sie gibt notleidenden Kindern ein Dach über dem Kopf. Unter ihrem Decknamen Madre Guineu aber zeigt sich Gräfin Eloise als bösartig und durchtrieben, die Intrigen wie einen Spionagering ausweiten oder einen Padre erpressen verfolgt. Daraus lassen sich dann geeignete Aufgaben für die Spieler weben.
Nützlich sind natürlich die Rollenspielhinweise, die das Erzählte auf das Wesentliche zusammenfassen und Tipps an die Hand geben, wie der Schurke im Spiel agiert. Außerdem wird noch die Möglichkeit angerissen, den Schurken zu retten, also auf die gute Seite zu ziehen. Die Angaben dazu sind oft kurz, manchmal verbunden mit dem Hinweis, dass der Schurke lieber ein Schurke bleiben will …
Die Beschreibungen zu den Schurken sind nicht selten überaus blutig, brutal und nicht unbedingt so, dass ich diese in jeder Spielgruppe weitergeben würde. Menschenfresser sind nicht jedermanns Sache, Abschlachten und Foltern machen noch kein gutes Rollenspiel, und so gilt es, den Grad der Brutalität, den der Spielleiter vermitteln wird, genau auf die Spielgruppe abzustimmen.
Knapp eine Handvoll neue Regeln, Hintergründe und mehr runden das Kompendium ab.
Fazit: Gediegene Aufmachung, sehr robuste Hardcover, schöne Illustrationen im allgemeinen Teil, eigenwillige Porträtbilder, eine bunte Auswahl an Schurken und Helden – 80 Beschreibungen, die es in sich haben. Die Brutalität bei den Schurken irritiert, weil sie für „7te See“ ungewohnt und in meinen Augen auch nicht notwendig ist. Dem Spielleiter werden aber eine erkleckliche Anzahl höchst unterschiedlicher Charaktere offeriert, auf die er ohne große eigene Vorbereitung zurückgreifen kann. Zudem bieten die Beschreibungen der 80 Persönlichkeiten den einen oder anderen Aufhänger, um Ideen aufzugreifen und weiterzuspinnen. Das wiederum bedeutet eigene Arbeit, auf der anderen Seite braucht es manchmal ja gerade einen solchen Anstoß, um eine gute Abenteueridee ins Rollen zu bringen.„Helden & Schurken“ ist wohl kein Muss für „7te See“, aber eine begrüßenswerte Ergänzung zu den mittlerweile zahlreichen Regionalbeschreibungen.
Helden & Schurken
Quellenbuch
Elizabeth Chaipraditkul u. a.
Pegasus Press 2017
ISBN: 9783957891143
212 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 19,95
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