von Karl-Georg Müller
Mit „Die Burg“ von Rob Justice und Leonard Balsera steigen wir gleich in das umfangreichste der vier Abenteuer ein. Der Aufbau der Abenteuer ist immer gleich: Zuerst kann sich der Spielleiter in kurzen Abschnitten einen raschen Überblick verschaffen. In der Vorbereitung begegnen wir bei der „Burg“ in Person der Baronin der Widersacherin der Helden. Die Abenteuer sind meist bausteinförmig aufgebaut; es werden jeweils unterschiedliche Ereignisse angeboten, die dann je nach Belieben des Spielleiters oder nach Hintergründen der Helden eingesetzt werden können. Dies beginnt bereits bei der Baronin, die verschiedenartige Beweggründe für ihr Handeln haben kann, und geht weiter mit den Startoptionen der Helden, die beispielsweise auf der Suche nach Arbeit sein können und so eher zufällig in das Geschehen hinein schlittern.
Diverse Pfade führen im wahrsten Sinne weiter, denn je nach Gusto wählt der Spielleiter zum Beispiel im Pfad der Monster die Anfangsszene, Zwischensequenzen und das Ziel aus einem kleinen Vorrat an Vorschlägen aus. So hangelt er sich vom Start des Abenteuers bis zum Showdown in der Burg und im Angesicht der Baronin und weiterer Gegner zwischen Begegnungen und Dramasequenzen voran. Diese jeweils voneinander getrennt gefassten Textbausteine erfordern natürlich eines: Der Spielleiter muss das vollständige Abenteuer sehr aufmerksam von vorne bis hinten durcharbeiten. Mit einem kurzen Lesen vor dem Beginn der Spielsession ist es meiner Meinung nach nicht getan, denn der Spielleiter sollte einen umfassenden Überblick haben, wann welche Module eingesetzt werden und wann er auch auf bis dahin nicht eingeplante Sequenzen zurückgreift.
Das macht dieses und auch die anderen Abenteuer auf den ersten Blick verwirrend, auf den zweiten Blick offeriert es aber viele Wege, die zum Ziel führen, und birgt somit Chancen, die Handlung auf verschiedenen Pfaden zum Abschluss zu bringen. Natürlich sind die einzelnen Handlungsabschnitte auf den Punkt gebracht, also so kurz wie machbar, damit möglichst viele Optionen Platz im Abenteuerband finden. Das ist gut gelungen. Gar nicht gut gelungen dagegen finde ich, dass wie bei den drei anderen Abenteuern gar keine Lagepläne, Wegekarten oder Gebäudezeichnungen vorhanden sind. Die Burg samt Außenanlagen hätten sich auf jeden Fall angeboten, und jeder Spielleiter ist dankbar, wenn er sich diese Arbeit nicht selbst machen muss. Das hat dann auch nichts mit kreativer Leistung des Spielleiters zu tun, da er „nur“ die im Abenteuer erwähnten Örtlichkeiten zu Papier bringen muss. Das ist Fleißarbeit, die mir ein Kaufabenteuer abnehmen muss.
John Wick entführt in „Die Caliberi-Briefe“ wie in „Die Burg“ in die Eisenlande, genauer gesagt nach Bielefeld. Schon durch den Umfang unterscheiden sich beide Szenarien, denn John Wick unterhält uns auf nicht mehr als zehn Seiten. Das Abenteuer ist auch recht geradlinig aufgebaut, die Erläuterungen vergleichsweise ausführlich, die Hintergrundgeschichte zu Ulli Janz, einer wichtigen Person, umfassend.
Tobie Abad lässt uns die Segel setzen und leitet uns nach La Bucca, damit uns dort „Das Weinen der Kinder“ nicht nur zu Herzen geht, sondern auch unsere tatkräftige Hilfe herausfordert. Kinder verschwinden, und eigentlich kümmert das niemanden so recht. Wer ist da besser geeignet, sich um das Schicksal dieser Kinder zu sorgen, als wahrhafte Helden. Vielleicht aber bereuen die Helden das, denn sie werden in dem rund 15 Seiten umfassenden Abenteuer in Intrigen hineingezogen, die sich erst ganz am Ende auflösen werden.
Den Abschluss des Bandes bildet „Das Netz“ von, das in Avenegro an der vodaccischen Küste ausgeworfen wird. Auf 17 Seiten entspinnt sich ein Abenteuer in dem eigentlich idyllischen Küstenstädtchen, das mit einer Anzahl unterschiedlicher Szenarien aufwartet. Zudem werden zwei Pfade dargestellt, die entweder handfeste Action in den Mittelpunkt stellen oder investigative Momente. Die individuellen Heldengeschichten werden sinnvoll eingeflochten, womit sie intensiver mit den Vorkommnissen verbandelt werden. Die Wege führen zu einem prunkvollen Festball und in die finsteren Gassen von La Bucca. Ob die Verschwörung zum Scheitern gebracht werden kann, erweist sich natürlich erst ganz am Ende …
Fazit: Fast eine Handvoll Abenteuer für knapp 10 Euro – das ist gut. Die Abenteuer sind, sobald der Spielleiter sich mit dem Aufbau angefreundet hat, so ausführlich und detailliert beschrieben, dass einigen unterhaltsamen Abenden nichts im Wege steht. Das Buch macht Appetit auf weitere Abenteuerbände, die ruhig auch etwas mehr Finesse ins Spiel bringen können. Für ein erstes Hineinschnuppern aber empfiehlt sich „Das Netz und andere Abenteuer“ auf jeden Fall. Zwei Kritikpunkte bleiben: Den einen – die fehlenden Karten und Pläne – erwähnte ich bereits. Der zweite Kritikpunkt springt beim Lesen sofort ins Auge. Wo es haperte, weiß ich nicht, aber der gesamte Text wirkt nicht „rund“, liest sich stellenweise holprig und nicht geschmeidig. Zudem verblüfft der Abenteuerband wegen seiner großen Zahl an grammatikalischen Ungenauigkeiten oder einfachen Tippfehlern. Doch der gute Gesamteindruck stimmt mich versöhnlich.
Das Netz und andere Abenteuer
Abenteuerband
Rob Justice, Leonard Balsera, John Wick, Tobie Abad
Pegasus 2018
ISBN: 9783957891709
74 S., Softcover, deutsch
Preis: EUR 9,95
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