7te See Grundregelwerk

Eine Welt voller Abenteuer und Entdeckungen, intriganter Adeliger, verwegener Halunken, mysteriöser Ruinen und geheimnisvoller Magie. Das ist Théah, die Welt des Rollenspiels „7te See“, nachempfunden dem Europa des 17. Jahrhunderts. Die Spieler schlüpfen in die Rollen mutiger Helden, die es mit grausamen Schurken aufnehmen, sich schrecklichen Gefahren aussetzen und uralte Geheimnisse ergründen.

von Michael Wilhelm

Die erste Ausgabe des Rollenspiels „7te See“ war 1998 auf Englisch bei Alderac Entertainment Group erschienen. Die deutsche Ausgabe brachte damals Welt der Spiele heraus. 2015 hat sich der Haupt-Autor John Wick dann nach über zehn Jahren ohne Neuerscheinungen die Rechte an „7te See“ von AEG wieder zurückgeholt, um mit einem neuen Team eine Neuausgabe zu schreiben. Wie heutzutage oft üblich, wurde die englische Ausgabe über Kickstarter finanziert. Im deutschsprachigen Raum hat sich Pegasus der Neuausgabe gewidmet.

Das vielfältige und spannende Setting von „7te See“ wird von der ersten Ausgabe unverändert weitergeführt. Wir befinden uns in einer alternativen Version vom Europa des 17. Jahrhundert. Die wesentlichen Nationen des Kontinents haben ihre Entsprechungen: England findet sich als Avalon wieder, Castillien entspricht Spanien, Montaigne Frankreich, Vodacce Italien und die Eisenlande sind einem von den Grauen des 30-jährigen Krieges zerrissenen Deutschen Reich ähnlich. Schon die Karte des Kontinents zeigt bekannte Umrisse, ohne der realen Welt zu ähnlich zu sein. Das führt dazu, dass das Setting gleichzeitig vertraut genug ist, um sich sofort heimisch zu fühlen, aber auch ausreichend exotisch, um als Hintergrund für spannende Geschichten voller Magie, Ungeheuer und vorzeitlicher Schätze zu dienen. Andererseits muss sich keine Kampagne der phantastischen Elemente bedienen. „7te See“ bietet auch ausreichend Stoff für Abenteuer ohne Zauberei und Monster.

Neben den Nationen finden sich auch historische und religiöse Parallelen zu unserer Welt. Der vorherrschende Glaube wird repräsentiert durch die Vaticinische Kirche des Propheten, mit Hauptsitz in der Vaticinischen Stadt, was mehr als nur geringe Anleihen beim Katholizismus und dem Vatikan nimmt. Die Eisenlande sind noch schwer gezeichnet vom Krieg des Kreuzes, der zwischen den Anhängern der Kirche und den Objektionisten tobte, die unschwer die Reformation und den 30-jährigen Krieg erkennen lassen.



So verschieden die europäischen Nationen im 17. Jahrhundert waren, so bieten ihre Entsprechungen in der Welt von Théah vielfältige Hintergründe für ganz unterschiedliche Geschichten. Das Spektrum reicht von adeligen Intrigen und Diplomatie am Hof des Sonnenkönigs von Montaigne über Piraten-Abenteuer in den Gewässern der Wikinger-Äquivalente von Vestenmennavenjar bis hin zu düster-gruseligen Spukgeschichten in den finsteren Wäldern der Eisenlande. Das verbindende Element ist aber das Mantel- und Degen-Genre, das als roter Faden durch die Welt führt. Das schlägt sich auch in der Charakter-Erschaffung nieder, den Spielsystemen für Action- und Drama-Szenen und in den Hintergrundbeschreibungen von Seefahrt und Geheimgesellschaften.

Wie üblich, und um gleich ein Feeling für das Setting zu bekommen, beginnt der vorliegende Band mit einer kurzen stimmungsvollen Erzählung aus den adeligen Sphären Montaignes. Schon hier sehen wir vor dem inneren Auge den grausamen Piraten Roberts aus der Braut des Prinzen, den Grafen von Monte Christo oder Errol Flynn als Captain Blood säbelschwingend, sprücheklopfend und edelfrauenrettend heldenhafte Taten vollbringen. Wobei es in der emanzipierten Welt von Théah auch, wie immer wieder betont wird, durchaus ein Edelmann sein kann, der von weiblichen Helden gerettet werden will.

Nach einem kurzen einleitenden Kapitel über Setting und Stimmung geht es in Kapitel 2 mit einer gründlichen Beschreibung Théahs und seiner Bewohner los. Kapitel 3 widmet sich der Charakter-Erschaffung. Dabei liegt das Hauptaugenmerk des 8-Punkte- und 20-Fragen-Katalogs ganz klar auf der Geschichte und dem „Charakter des Charakters“. Zwar hat jeder Held oder jede Heldin fünf Eigenschaften (Entschlossenheit, Gewandtheit, Muskeln, Stil und Verstand) und Punkte in bis zu 16 Fertigkeiten (wie Segeln, Verbergen oder Waffen), aber viel wichtiger für das Heldenleben sind „soft skills“ wie Hintergrund, Motivation, Stärken und Schwächen, Loyalitäten und Vorurteile, Ziele und Träume. Über all das soll sich bei der Heldenerschaffung Gedanken gemacht werden. Natürlich wird die weitere Ausgestaltung der Persönlichkeit der Helden auch im Spiel selbst eine wesentliche Rolle spielen.



Kapitel 4 befasst sich dann mit den Mechanismen von Action und Drama. Eine Action-Szene findet im Kampf statt, oder allgemein wenn es auf Schnelligkeit oder Kraft ankommt, zum Beispiel bei der Flucht aus einem brennenden Haus oder einer Verfolgungsjagd über die Dächer einer Stadt. Eine Drama-Szene liegt vor, wenn das Tempo zwar gemächlicher, aber das Geschehen nicht unbedingt weniger gefährlich oder spannend ist. Das kann Intrigenspinnen bei einem Fest am Hofe sein oder das Verhör eines Gefangenen.

Wie auch immer: Es kommt besonders auf den Ansatz an. Der Ansatz beschreibt das Vorhaben eines Helden in einer Runde, wobei damit auch in Action-Szenen kein fester Zeitabschnitt gemeint ist. Anhand der vom Spielleiter beschriebenen Szenerie beschreiben die Helden ihr Vorhaben („Ich stürme zum Oberschurken, weiche unterwegs den Schlägern aus und versuche, das wertvolle Juwel in meinen Besitz zu bekommen.“), der Spielleiter weist dem Ansatz einen Würfelpool zu (Eigenschaft + Fertigkeit + evtl. Boni), dann werden so viele 10er geworfen, wie der Pool hergibt. Für jede 10 im Wurf und Würfel die zusammen 10+ ergeben, erhält man eine Steigerung, die für eine Aktion verwendet werden kann. Zum Beispiel hätte man in einem Wurf mit 10, 8, 7, 7, 5, 3, 2 insgesamt 4 Steigerungen (10, 8+2, 7+3, 7+5).

Diese Steigerungen können auch benutzt werden, um vom Spielleiter angedrohte negative Konsequenzen zu vermeiden oder Chancen für zusätzliche Vorteile zu nutzen. Nicht nur Helden können mit Steigerungen agieren. Auch die wichtigsten Antagonisten, nämlich namhafte Schurken (wie der fiese Kardinal bei den Musketieren oder der Sheriff von Nottingham), verfügen darüber und stellen ebenbürtige oder den Helden sogar überlegene Kontrahenten dar. Ganz anders das aus dem Genre bekannte, übliche Kanonenfutter, wie Wachen, Schlägertrupps, oder namenlose Piraten. Diese agieren gemeinsam im Trupp, machen wenig Schaden und werden leicht aus dem Weg geräumt. Nicht dass die Helden dann nichts zu tun hätten. Es ist nur einfach vollkommen klar, dass ein Held nicht einem namenlosen Schergen zum Opfer fallen sollte.



Zu diesem Zweck gibt es vielmehr Helden- und Gefahrenpunkte. Heldenpunkte werden für besonders heldenhafte Aktionen genutzt, während Gefahrenpunkte der einzige Weg sind, einen Helden wirklich umzubringen. Ein wehrloser Held (der so viele Wunden hat, dass er sich an der Schwelle des Todes befindet) kann durch Verwenden eines Gefahrenpunktes durch den Spielleiter in Gestalt eines Schurken ermordet werden. Für diesen Zweck sollten die Gefährten natürlich noch den einen oder anderen Heldenpunkt aufgespart haben.

Wesentlich dabei ist, dass nicht einzelne Würfelwürfe über den Ausgang von Action- oder Drama-Szenen entscheiden, sondern der Ansatz der Spieler, das heißt, dass selbst in Kampf, Gefahr und Flucht vielmehr das Rollenspiel über Erfolg und Misserfolg entscheidet.

Um Zauberei geht es dann in Kapitel 5. Selbstverständlich laufen in Théah nicht spitzhütige Magier herum, sondern die verschiedenen Nationen haben ihre eigenen ins Setting passenden Versionen der Zauberei: in Avalon den Glamour, der auf die an Feen angelehnte Sidhe zurückgeht, in den Eisenlanden das Hexenwerk (wo mit Salben aus Leichenteilen magische Effekte gewirkt werden) und im östlichen Ussura Mütterchens Berührung (Baba Jaga lässt grüßen). Zauberei ist immer ein zweischneidiges Schwert, da viele der Praktiken moralisch mehr als nur fragwürdig sind und von echten Helden nur in sehr begrenztem Umfang genutzt werden können, wenn überhaupt.



Kapitel 6 widmet sich dem Duellieren. Wer bei der Charaktererschaffung den Vorteil „Duellantenakademie“ erwirbt, kann sich hier mit speziellen Manövern ausstatten. In Kapitel 7 geht es dann um Seefahrt, mit allem was dazugehört. Immerhin ist der Kontinent Théah von Meeren umgeben, nicht zuletzt der mysteriösen 7ten See, sodass hier Regeln und Informationen über Seeschlachten, Seeungeheuer, Schifffahrt und Seeleute zu finden sind.

Den Abschluss bilden Kapitel 8 über Geheimgesellschaften (von denen ich hier nichts verraten möchte) und Kapitel 9 mit Informationen exklusiv für den Spielleiter.

Fazit: Das Grundregelwerk von „7te See“ bietet zu einem sensationellen Preis-Leistungs-Verhältnis den Einstieg in eine faszinierende und reichhaltige Welt voller Abenteuer. Der opulent gestaltete und reichhaltig bebilderte Band ist randvoll mit Hintergrund-Informationen, Charakter- und Abenteuer-Ideen. Schon beim ersten Lesen und Schmökern kann man es kaum erwarten, sich in der Welt Théah ins Abenteuer zu stürzen. Und von dem Grundregelwerk abgesehen, ist auch erstmal gar nicht so viel nötig, um loszulegen. Also, Charakter-Bögen ausdrucken, 10-Seiter bereitlegen und los geht’s!

7te See Grundregelwerk
Grundregelwerk
John Wick, Michael Curry, Rob Justice u.a.
Pegasus Spiele 2017
ISBN: 9783957891051
314 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 19,95

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