von André Frenzer
Der Autor der Novelle „Manor“, Karl Heinrich Ulrichs, war nicht unbedingt als Erzähler von Schauergeschichten bekannt. Tatsächlich war Ulrichs – neben seinen Tätigkeiten als Journalist, Verleger und Schriftsteller – bekannt für seine Vorkämpferrolle im Kampf um die rechtliche Gleichstellung von Homosexuellen. Blickt man auf seine Lebensdaten – geboren wurde er 1825, er verstarb 1895 – kann man sich vorstellen, dass er gesellschaftlich durchaus aneckte. Als er auf dem deutschen Juristentag 1867 erstmals öffentlich die Straffreiheit gleichgeschlechtlicher sexueller Handlungen forderte, kam es zu tumultartigen Aufständen, Ulrichs musste seine Rede abbrechen. Da er selbst bekennend homosexuell war, gilt er als einer „der erste Schwule der Weltgeschichte“, wie ihn Sexualwissenschaftler Volker Sigusch später betitelte.
Dieser Karl Heinrich Ulrichs verfasste unter dem Titel „Manor“ eine Geschichte, die zwar bereits 1885 im Band „Matrosengeschichten“ Veröffentlichung fand, erst 1995 aber als „Manor: eine Novelle“ wiederentdeckt werden sollte. Ulrichs starkes Selbstbewusstsein im Umgang mit Homosexualität findet sich auch in dieser Geschichte wieder:
„Manor“ spielt auf den sturmumtosten Färöer-Inseln, zur „Zeit der Heiden“, wie der Erzähler preisgibt. Der junge Har fährt mit seinem Vater zum Fischen aufs Meer. Als ein unerwartetes Gewitter aufzieht, wird der Junge über Bord geschleudert und von Manor, einem jungen Mann einer Nachbarinsel, aus den tobenden Fluten gerettet. Zwischen den beiden jungen Männern entwickelt sich eine Freundschaft, die weit über ein freundschaftliches Verhältnis hinausgeht. Ihr Band der Liebe bricht auch dann nicht, als Manor bei einem Schiffsunglück ums Leben kommt: Aus seinem Dünengrab hinaus besucht er weiterhin den jungen Har, der den untoten Besucher mit offenen Armen empfängt.
„Manor“ wurde von Marc Gruppe sehr stimmungsvoll inszeniert. Insbesondere die von Windböen umtosten Färöer-Inseln, ein tatsächlich ungewohnter Schauplatz, sind in der gesamten Geschichte sehr präsent. Sturm, Wind und Regen sind ein ständiger Begleiter, ja, oft so laut, dass die Protagonisten ihre Stimmen deutlich erheben müssen, um gegen den Wind anzukommen. Und auch, wenn sich die Geschichte wenig „gruselig“ präsentiert, so versteht es Gruppe dennoch, eine zumindest beklemmende Atmosphäre aufzubauen. Auch das sehr präsente Thema Homosexualität wird stilvoll und nicht plakativ präsentiert.
Die Sprecher der beiden Protagonisten Har und Manor, Tom Raczko und Louis Friedemann Thiele, erledigen ihre Aufgabe unaufgeregt und souverän. Besonders der Erzähler Peter Weis, dessen Stimme Genre-Fans aus zahlreichen Hörspielproduktionen wie „Die vergessene Welt“, „Sherlock Holmes“-Erzählungen oder „Die schwarze Sonne“ bekannt sein dürfte, hat es mir angetan. Das Drehbuch weist ihm als Erzähler eine für „Gruselkabinett“-Verhältnisse ungewohnt wichtige Rolle zu, doch Weis versteht es, den Hörer im Bann der eigentlich sehr ruhigen Geschichte zu halten.
Fazit: Mit „Manor“ liegt eine auf ihre Art ungewöhnliche Geschichte vor, die technisch hervorragend umgesetzt wurde und stimmungsvoll erzählt wird. Wirklich gruselig ist die Geschichte allerdings nicht.
Gruselkabinett 129: Manor
Hörspiel nach der Geschichte von Karl Heinrich Ulrichs
Marc Gruppe
Titania Medien 2017
ISBN: 9783785755617
1 CD, ca. 47 min., deutsch
Preis: EUR 7,99
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