Gruselkabinett 126: Kalte Luft

Der Einzug in eine neue Wohnung gestaltet sich bisweilen zu einer Horrorfahrt ins Ungewisse. Unentdeckte Altlasten verwandeln die frisch gestrichene Decke in ein Sumpfgebiet und unheimliche Nachbarn lassen jeden Weg durchs Treppenhaus wie den Gang durch die Minen Morias erscheinen. In der Mythos-Geschichte „Kalte Luft“ von Howard Phillips Lovecraft bezieht der Protagonist ein Appartement im New York der 20er-Jahre und stößt dort auf einen reichlich merkwürdigen Nachbarn. Diese Geschichte ist nun als Hörspiel in der Reihe „Gruselkabinett“ erschienen.

von Oliver Adam

Mehrere Wochen nach dem Einzug des jungen Redakteurs James Russel in das alte Brownstone Building in der West Fourteenth Street bemerkt dieser ein sonderbares Tröpfeln, das von der Decke kommt. Die Flüssigkeit stinkt ätzend nach Ammoniak und von der Vermieterin erfährt er, dass über ihm ein seltsamer, alter Arzt wohnt. Tage später erleidet er einen leichten Herzanfall und als er sich die Treppen hinaufschleppt, trifft er zum ersten Mal Dr. Muñoz. Im Verlauf der Geschichte kehrt er immer wieder zu Dr. Muñoz zurück, und es entsteht eine Vertrauensbasis zwischen den beiden einsamen Männern, die immer deutlicher die Obsession des Arztes, dem Tod durch alle verfügbaren Mittel zu widerstehen, aufzeigt. Dazu kühlt er sein Zimmer mit einem Ammoniak-basierten Kälte-System auf etwa 13 Grad Celsius herunter.

Im Laufe der Zeit sinkt die Gesundheit des Arztes und sein Verhalten wird zunehmend exzentrisch. Eines Tages versagt das Kühlsystem und da Russel es nicht schafft, die Maschine zu reparieren, gerät Dr. Muñoz in Panik. In einer Badewanne voll Eiswasser versucht der Arzt seinen Körper vor dem Verfall zu bewahren und Russel beauftragt einen abgebrannten Tagelöhner damit, beständig Eiswürfel nachzulegen, während er nach einem Ersatzteil für die Kühlpumpe sucht. Erst einige Tage später kehrt er zurück und da macht er eine grausige Entdeckung.

Das Thema des Alters oder des Alterns und der Kampf gegen den Tod ist in vielen Aspekten der Erzählung zu finden: das einst prachtvolle Haus, das zunehmend verfällt. Der New Yorker Stadtteil, der an Bedeutung verliert. Der exzentrische Wissenschaftler, der sich an eine Jugend klammert, die weit in der Vergangenheit liegt. Dabei erinnert das Hörspiel an ein Kammerspiel, in dessen Mittelpunkt die wachsende Beziehung der beiden Männer James Russel und Dr. Muñoz steht. Wie bei vielen anderen Geschichten versteckt Lovecraft auch in „Kalte Luft“ zahlreiche biografische Details. So lebte einer seiner Freunde in einem Brownstone-Haus auf der 14th West Street. Sein langjähriger Freund Frank Belknap Long erlitt tatsächlich einen Herzanfall, und Lovecraft selbst war bekannt für seine Phobie gegen kalte Luft.

Fazit: Das Hörspiel „Kalte Luft“ setzt Lovecrafts Erzählung spannend und professionell inszeniert um. Die überzeugende Sprechleistung, die hervorragende technische Umsetzung und die beklemmende Untermalung durch Geräuscheffekte bis zur abschließenden gruseligen Pointe bietet eine gute Stunde spannenden Hörgenuss. Einige Titel der Reihe „Gruselkabinett“ – darunter auch „Kalte Luft“ – sind übrigens mittlerweile in Amazon Music verfügbar und können von Amazon-Prime-Abonnementen kostenlos angehört werden.

Gruselkabinett 126: Kalte Luft
Hörspiel nach der Geschichte von Howard Phillips Lovecraft
Marc Gruppe
Titania Medien 2017
ISBN: 978-3-7857-5558-7
1 CD, ca. 60 min., deutsch
Preis: EUR 6,99

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