Geschichten aus dem Cthulhu-Mythos

Der Phantastik-Autor Jeffrey Thomas legt hier 13 seiner Horror-Kurzgeschichten vor, die alle zum literarischen Umfeld des „Cthulhu-Mythos“ gehören. Dieser wurde von Horror-Autor H. P. Lovecraft erfunden und von seinen Zeitgenossen und denen, die nach ihm schrieben, mit weiteren Geschichten ausgebaut. Die Geschichten bieten viel Neues zum Thema und bedienen verschiedene Genrekombinationen. Ob Thomas an Lovecraft heranreichen kann, erfährt man in dieser Rezension.

von Markus Kolbeck

Der Hardcover-Band umfasst 336 Seiten, ist mit einem Schutzumschlag mit einem gruseligen Umschlagbild und einem Lesebändchen versehen. Auf Deutsch erschienen ist er 2012 im „Festa“-Verlag als Band 28 der Reihe „H. P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens“. Die Reihe beläuft sich auf insgesamt 47 Bände plus vier limitierte Sonderausgaben, die allesamt vom Verlag nicht mehr neu aufgelegt werden. Restbestände sind aber oftmals noch beim Verlag und im Buchhandel erhältlich.

H. P. Lovecraft: Das Vorbild

Howard Phillips Lovecraft (1890-1937) gilt heute als einer der renommiertesten Autoren unheimlich-phantastischer Geschichten und wurde oft nachgeahmt, aber nie erreicht. Eine seine bekanntesten Geschichten ist „Cthulhus Ruf“, in der es unter andrem um die Umtriebe eines Kultes des Cthulhu geht, einem praktisch unsterblichen Wesen mit der Macht eines Gottes. Dieser ist einer von mehreren sogenannten Großen Alten und Äußeren Göttern. Auch wenn Lovecraft den „Cthulhu-Mythos“ erfunden hat, benutzt hat er dieses Wort nie. Er sprach vielmehr von „Yog-Sothothery“ (Yog-Sothoth ist ein Äußerer Gott in Lovecrafts Werk) und seinem „Arkham-Zyklus“ (Arkham ist eine seiner fiktiven Städte). Den mächtigen Wesen der Großen Alten und Äußeren Götter stehen Dienerrassen und Kultisten zur Seite, die ihre Wiederbeschwörung auf den Tag hin, an dem die Sterne günstig stehen, vorantreiben. Auch hat Lovecraft das fiktive Buch „Necronomicon“ erfunden, das er dem verrückten Araber Abdul Alhazred zuschreibt und in dem dunkle Geheimnisse niedergelegt sind. In der literarischen Welt von Lovecraft ist der Mensch unbedeutend und hilflos den kosmischen Kräften und dem kosmischen Grauen ausgeliefert. Vor ihm haben mächtigere Rassen auf der Erde geherrscht und nach ihm werden sie es wieder!

Jeffrey Thomas: Der Autor

Der Autor Jeffrey Thomas (geb. 1957) lebt in den USA und schreibt immer noch. Im Buch ist eine kurze Information zum Schriftsteller abgedruckt: Er gelte als einer der kreativsten Autoren der Gegenwart, stelle einen Hieronymus Bosch der Literatur dar. „Fantastische Literatur at it's best.“ heißt es dort.

Inhalt

Thomas' 13 Kurzgeschichten sind im Bereich des Horrors angesiedelt und zwar sowohl in der Gegenwart als auch der Vergangenheit und der Zukunft. Mit „Aus dem Bauch der Hölle“ liegt eine Story vor, die in der biblischen Antike verortet ist. Jonas wird darin nicht von einem Wal verschluckt, sondern von Cthulhu selbst. Mit den drei Fortsetzungsgeschichten „Die Gebeine der Großen Alten“, „Die Avatare der Großen Alten“ und „Die Abkömmlinge der Großen Alten“ betritt Thomas das Feld der Science-Fiction und der bleihaltigen Action. Seine Protagonisten haben Albträume von unnatürlichen Veränderungen in der Physiologie beziehungsweise Biologie. Immer wieder wird mit dem Gedanken gespielt, dass die Großen Alten und Äußeren Götter in anderen Dimensionen hausen und von dort in die Welt der Menschen vordringen wollen. Aus dem Kanon von Lovecraft entleiht sich Thomas Namen von Wesenheiten wie Cthulhu, Yog-Sothoth, Nyarlathotep, Shub-Niggurath, Cthugha, Azathoth, Tsathoggua und Dagon. An anderen Rassen tauchen Ältere Wesen, Shoggothen, Gugs, Feuervampire und Tiefe Wesen auf. Der Autor benutzt aber auch eigene Namenskreationen wie Ugghiutu in „Der Tanz der Ugghiutu“.

Eine der Kurzgeschichten will ich hier kurz skizzieren, um einen weitergehenden Eindruck vom Inhalt des Buches zu vermitteln: In „Meine Frau, der Shoggoth“ (22 Seiten) stößt der Protagonist durch seinen Freund Cavel auf das „Necronomicon“. Er beschwört mit dessen Hilfe einen Shoggothen, den er in seine Dienste zwingt. Er befiehlt ihm, sich in attraktive Frauen wie Marilyn Monroe und die Freundin von Cavel, Susan, zu verwandeln. Er hat Sex mit diesen „Frauen“ und eine Weile geht das auch gut. Jedoch kommt ihm Cavel auf die Schliche! Er leiht sich den Shoggothen aus und dann nimmt das Drama seinen Lauf. Wird der Protagonist Herr der Lage oder droht auch ihm das Verderben?

Es gibt noch ein Extra: In „Zwischen Providence und Punktown. Im Gespräch mit Jeffrey Thomas“ liefert Christian Endres ein neunseitiges Interview mit dem Autor. Ich hätte gerne noch etliche Seiten mehr an Extras gehabt, aber außer einer Liste der englischen Originaltitel der Storys und kurze Informationen zum Autor gibt es da nicht mehr. Das führt zur Kritik ...

Kritik

Praktisch alle Leser von Lovecraft werden es bedauern, dass der Autor schon früh verstorben ist. So dürfte es viele freuen, dass es Schriftsteller wie Jeffrey Thomas gibt, die sein Werk fortführen und erweitern. Es weht hier ein durchaus frischer Wind durch das Horror-Genre, allerdings handelt es sich bei Thomas' Geschichten um überwiegend – sieht man von der Action ab – klassische Cthulhu-Mythos-Storys. Darunter kann man idealtypisch verstehen, dass Kultisten die Großen Alten beschwören wollen und der Held sie daran hindern muss. Aber nicht alle Kurzgeschichten sind so, unter anderem weicht „Meine Frau, der Shoggoth“ angenehm von dieser Linie ab, hat sogar etwas Humor, wenn auch von der makaberen Art.

Die hier vorliegenden Geschichten sind oft in anderen Kulturen angesiedelt, als wir sie unmittelbar gewohnt sind, etwa der von Vietnam in „Die Kinder des Drachen“. Nicht immer assoziiert man diese Kulturen mit dem Cthulhu-Mythos, umso mehr ist man dann davon angenehm überrascht. Thomas benutzt den Cthulhu-Mythos als Ausgangspunkt für die eigene Vorstellungskraft, geht also weitgehend in seinen Interpretationen eigene Wege! Wie gut da Action-Elemente hinpassen, wie etwa in den bereits genannten Sci-Fi-Storys, bleibt dem Leser vorbehalten. Die Geschichten wissen zu unterhalten (mir ist beim Lesen nie langweilig geworden), jedoch lassen sie den Sense of Wonder, der Lovecrafts Werk zu eigen ist, etwas vermissen. So ist dann auch mein Urteil über Thomas, dass er zwar gut schreibt, aber an Lovecraft nicht heranreicht!

Muss man Lovecraft bereits kennen, wenn man Thomas liest? Nicht unbedingt! Wenn man den Cthulhu-Mythos kennt, findet man sich zwar schneller in das Werk von Thomas hinein, doch vieles kommt einem dann vertraut vor, und man gruselt sich wohl weniger in so einem Fall. Wenn man den Vorgänger nicht kennt, versteht man vielleicht nicht die großen Zusammenhänge auf Anhieb, aber eigentlich wird das meiste früher oder später erklärt. Man kann sich also durchaus „Geschichten aus dem Cthulhu-Mythos“ zu Gemüte führen, auch wenn man Lovecraft nicht kennt.

Fazit: Es gibt in den Geschichten Grusel mit vielen Gesichtern, gewürzt mit teilweise Action und Spannung, sowie auch ein Mal Humor. Jeffrey Thomas schreibt flüssig und interessant und bietet eine teilweise neue Sicht auf den Cthulhu-Mythos. H. P. Lovecraft bleibt aber unübertroffen! Ich empfehle den Band allen Fans der Reihe „H. P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens“ sowie allen, die mehr aus dem Cthulhu-Mythos lesen wollen!

Geschichten aus dem Cthulhu-Mythos
Horror-Anthologie
Jeffrey Thomas
Festa-Verlag 2012
ISBN: 978-3-86552-121-7
336 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 28,00

bei amazon.de bestellen