Dorohedoro 1

Ein Krokodil auf zwei Beinen und seine muskulöse Begleiterin treffen in einer Hintergasse auf zwei zwielichtige Kerle. Während die Frau den Typen mit der markanten Nase verdrischt, wird der Kopf des etwas Kräftigeren vom Maul des Krokodils umrahmt. Dazu lesen wir eine Stimme: „Du bist es nicht“. Kurze Zeit später fliegen filet-große Fleischstücke und ein Kopf durch die Luft. Was steckt hinter dem Hype um diesen Manga?

von Daniel Pabst

„Dorohedoro“ stammt aus der Feder der Mangaka Q-Hayashida und erschien zwischen 2000 und 2018 in Japan. Nun, da der Manga abgeschlossen ist, veröffentlicht Cross Cult die komplette Erzählung. Zu Beginn der Reihe umfasst „Dorohedoro“ mit 528 Seiten gleich die ersten drei Mangas in einem Band (ab „Dorohedoro 2“ werden jeweils zwei Mangas pro Ausgabe zusammengebunden sein). Da erwartet einen ordentliches Lesefutter …

In Goethes Klassiker „Faust I“ offenbart Faust: „Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust.“

Beim Protagonisten namens Kaiman aus „Dorohedoro“ ist es ähnlich. Auch er ist ein Mann, der zerrissen ist. In seinem Inneren steckt nämlich ein Mann, sein Kopf aber ist ein Krokodil. Mit dieser skurrilen Wahrheit werden nicht nur die Leserinnen und Leser direkt auf Seite eins konfrontiert, sondern auch die erstaunten Hexer namens Matsumura und Fujita. Doch ehe diese sich weitere Gedanken darüber machen können, folgt eine rasche und blutige Kampfszene, nach der Kaiman natürlich eins ist: ganz hungrig.

Dafür besucht er sein Stammlokal, den „Hungry Bug“, welches die stämmige Nikaido betreibt. Sie kümmert sich tagsüber um ihr Lokal und hilft abends Kaiman bei seiner Suche nach sich selbst. Dass dieser Weg die beiden zu so manch schrägen Typen führen wird, hat die Eröffnungsszene eindrucksvoll in Szene gesetzt.
 
So treffen sie im weiterer Verlauf auf zwei hünenhafte, maskierte Gestalten namens Shin und Noi, welche ekstatische Freude am Deformieren von Kleinkriminellen haben. Ihr Boss En besitzt rote Haare, welche ihm zu Berge stehen. Seine Spezialität und Faszination sind: Pilze. Ein paar Lese-Seiten weiter treffen wir auf humanoide Wesen, die statt eines menschlichen Gesichts ein Brathähnchen oder einen Fisch aufgesetzt haben. Der Manga beschreibt am Ende jedes Bandes stets sehr treffend: Es bleibt chaotisch!

Genauso wechselhaft wie der Lebensstil und Tagesablauf der Handlungsträger darf man sich die Erzählweise dieses Werkes vorstellen. Auf stumpfe, rohe Gewalt folgen Szenen, in denen die Akteure irrsinniges und infantiles Verhalten an den Tag legen. Ein Beispiel gefällig? Bei einem gemütlichen Bankett, bei dem erst einmal Dutzende Leichen von der Decke hängen, bricht plötzlich ein Kampf aus. Das Ganze endet in einer großen „Pilz-Explosion“ und mit mehreren Toten. Nach der Kampfhandlung ist für den mächtigen Magier En dann aber ausschließlich das Überleben seines Haustiers Kikurage wichtig. Als er die kleine Chimäre findet, strahlt er voll kindlicher Freude. Das Überleben der anderen Anwesenden (einschließlich Freunden und Familienmitgliedern) sowie der Kollateralschaden am Anwesen sind für ihn sodann „reine Nebensache“! Ein anderes Beispiel für den eigenen Stil der Mangaka Q-Hayashida? Der Protagonist Kaiman hat panische, irrationale Angst vor Geistern. Bei all den verrückten und durchaus brutalen Dingen, die er tagtäglich durchlebt, gruselt er sich dennoch vor solchen Ammenmärchen!

Doch nicht nur (unsinnige) Action und humorvolle Szenen wechseln sich ab. Es geht bei „Dorohedoro“ auch in der Story voran. Nur wird sich dabei etwas mehr Zeit gelassen als bei anderen Mangas. Schließlich ist Kaiman genauso unwissend über seine Wandlung und Herkunft, wie die Leserinnen und Leser. Ziellos fragt er sich wie wir, wer der Mann in seinem Inneren ist, und welcher Tor ihn diesem Zauber unterzogen hat?

Die Veröffentlichung von Cross-Cult im Jahr 2021 kommt genau richtig. Denn zeitlich passend zu dieser deutschen Manga-Neuerscheinung ist seit Ende letzten Jahres die erste Staffel des gleichnamigen Animes (beim Streaming-Anbieter Netflix) verfügbar. Wer also die Action auf den schwarz-weißen Mangaseiten parallel in Farbe und Bewegung genießen möchte, dem sei dieser Anime, in etwas anderem Art-Stil, empfohlen. Die aktuelle Staffel umfasst dabei den Großteil der ersten 40 Manga-Kapitel von insgesamt 167 Kapiteln.

Nennenswert ist zudem, dass das Cover der Manga-Ausgabe von Cross Cult mittels eines Relieflacks sehr passend eine Krokodil-Haut darstellt. Es sind solch kleine Details, mit denen Cross Cult die Freude am Lesen mit jeder neuen Ausgabe steigert und immer wieder aufs Neue überrascht.

Leseprobe

Fazit: Nicht jede Geschichte muss tiefgründige Botschaften vermitteln. Bei „Dorohedoro“ steht der Spaß am Spektakel und das Unvorhersehbare im Vordergrund. Es werden von der Mangaka Q-Hayashida viele Lese-Momente voll brutaler, überraschender Gewalt geboten, die Schlag auf Schlag durch komische, charmante und lebhafte Szenen abgelöst werden. Ach! Eine vortreffliche neue Manga-Reihe ist in Deutschland angekommen!

Dorohedoro 1
Manga
Q-Hayashida
Cross Cult 2021
ISBN: 978-3-96433-465-7
528 S., Softcover, deutsch
Preis: EUR 15,00

bei amazon.de bestellen