Die SPIEL 2019 – Ein Streifzug über die Messe (mit Fokus auf Brettspiele)

Es ist Donnerstag, der Eröffnungstag der Internationalen Spieltage SPIEL in Essen, der weltweit größten Publikumsmesse für Gesellschaftsspiele. Für die Ringboten-Redaktion ist das seit mehr als einem Jahrzehnt ein Traditionstermin. Wir verpassen ja viele Messen und Cons im Jahr – in Essen sind wir immer, manchmal in der Kleingruppe, manchmal als Einzelkämpfer über die Hallen verstreut. Dies ist eins der Abenteuer, die wir dieses Jahr zwischen Würfeln und Plastikminiaturen, Pappkarten und Holzmarkern sowie 209.000 Spielwütigen erlebt haben.

von Bernd Perplies

Mein Tag begann in aller Herrgottsfrühe. Stuttgart, Essen, Stuttgart an einem Tag, das ist eine Ansage. Aber ich wollte mir diesen Trip nicht nehmen lassen, nachdem ich schon im Jahr zuvor aus gesundheitlichen Gründen ausgefallen war. Die Bahnfahrt war entspannt. Es gibt tatsächlich sowas wie durchgehende ICs von Stuttgart nach Essen. Sie mögen nur einmal am Tag fahren, aber wenn man drinsitzt, ist der Rest ganz gemütlich, auch mit einem großen (zu dem Zeitpunkt noch leeren) Koffer für neue Spiele.

Dieser Koffer sollte mir dann direkt auf der Messe Ärger bereiten. Am Pressezentrum bei Halle 3 gab es natürlich gegen Mittag keine freien Schließfächer mehr (und wer eins hat, der gibt es auch ganz sicher den Rest des Tages nicht mehr ab). An der Garderobe von Halle 3 dann die nächste Ernüchterung: „Koffer werden nur an der Garderobe vor Halle 8 angenommen – am anderen Ende der Messe. Und wenn Sie schlau sind, machen Sie den Koffer vorher voll. Denn jeder Zugriff aufs Gepäck zwischendurch kostet extra.“ So sehr ich das mit den Extrakosten verstehe, der Servicemangel in Sachen Kofferannahme war erstmal ärgerlich.

Also begab ich mich – mit Koffer – erstmal zum Pressetermin bei Asmodee, der im Obergeschoss von Halle 3 stattfand. Dort war eine schöne Bandbreite an Novitäten aufgebaut, Familienspiele und Genre-Spiele gleichermaßen. Leider ließen sich primär die Familienspiele testen. Interessante Novitäten wie „Cthulhu: Death May Die“ (der CMON-Kickstarter, auf den Backer noch immer warten) oder „Arkham Horror: Letzte Stunde“ (von Fantasy Flight Games) waren bloß aufgebaut. Auch auf das Science-Fiction-Stratgiespiel „Black Angel“ (Pearl Games) und die Videospielumsetzung „God of War: Das Kartenspiel“ (CMON) konnte man einen ersten Blick werfen.



All diese Spiele – und weitere Novitäten aus dem Haus Asmodee – werden wir in den nächsten Wochen auch beim Ringboten genauer unter die Lupe nehmen. Vielen Dank an dieser Stelle an Asmodee, die eine unbürokratische Überlassung von Rezensionsexemplaren vor Ort vorbereitet hatten. (Natürlich nicht ganz uneigennützig: Sie haben dabei eine Menge Porto und Verpackungsarbeit gespart – und wir Pressevertreter durften unsere vollen Koffer nach Hause schleppen.) „Star Wars“-Spiele waren übrigens keine ausgestellt. Dafür hatte Fantasy Flight Games ein eigenes großes Spielareal unten in den Hallen.

Meinen nun vollen Koffer brachte ich erstmal auf die andere Seite der Messe, um ihn bei Halle 8 abzugeben. Danach begann ich meinen Rundgang durch die Hallen. Halle 8 und 7 waren komplett leer. Hier habe ich mich – naiv wie ich bin – nach dem Warum gefragt. Bis ich im Abschlussbericht der SPIEL ein Pressefoto sah, dass Halle 7 kurz vor Toröffnung am Samstag zeigte. Menschenmengen drängten sich dort! Unfassbar. Dagegen war es am Donnerstag, obwohl durchaus voll, noch angenehm.



Der Trend, der sich in den letzten Jahren abgezeichnet hat, fiel mir auch dieses Jahr auf der SPIEL auf. Comics werden weniger. LARP wird weniger. Dafür sieht man an jeder Ecke einen Stand mit (Independent-)Verlagen, die ihre Kickstarter-Projekte (entweder fertig oder im Prototypenstadium) präsentieren. Postindustrial Games war mit „Human Interface“ vor Ort, Mythic Games mit „Time of Legends: Joan of Arc“, Steamforge mit „Dark Souls“ und Galakta mit „WasteKnights: Second Edition“. Awaken Realms, Kolossal, King Racoon Games und mehr: Sie alle waren – neben den Schwergewichten wie etwa Kosmos, Pegasus Spiele, Amigo, Games Workshop oder Days of Wonder (Teil der Verlagsgruppe Asmodée Editions) – zugegen und machten die SPIEL gerade für den Genre-Spieler interessanter denn je.

Es wäre unmöglich, all die spannenden Novitäten zu nennen, geschweige denn vorzustellen, auf die ich während meines Streifzugs gestoßen bin. Daher nur ein paar vermischte Eindrücke an dieser Stelle.



Das kooperative Spiel „Yggdrasil Chronicles“ (benannt nach dem Weltenbaum des nordischen Mythos) von Ludonaute/Asmodee präsentierte sich mit einem ungewöhnlichen, dreidimensionalen Spielbrett, das mir gleich ins Auge fiel. In dem Spiel müssen die Spieler in die Rolle nordischer Götter schlüpfen und dem Angriff der Kräfte des Bösen während des Ragnarök widerstehen, um das Gleichgewicht des Universums zu bewahren und das Überleben von Yggdrasil zu sichern.

Am Stand von Modiphius gab es die ganze Produktpalette zu „Fallout: Wasteland Warfare“ – dem Tabletop und Rollenspiel zum Videogame „Fallout“ – zu bestaunen. Diese war in einem zweigeschossigen Diorama eindrucksvoll in Szene gesetzt. Die kleinen makabren Scherze, etwa Skelette beim Picknick, waren da nur das Tüpfelchen auf dem i. (Ich wünschte, ich hätte nur das geringste Talent, um solche Spielumgebungen zu bauen).



Hätte ich mehr Zeit gehabt, hätte ich zumindest meine Fähigkeiten üben können. Denn an gleich mehreren Stellen (unter anderem beim Stand von Army Painter) wurden 2-stündige Kurse im Bemalen von Miniaturen angeboten, die auch gut besetzt aussahen. Das Hobby boomt ungebrochen, was auch an zahlreichen Tabletop-Anbietern mit Vitrinen zu sehen war, in denen spektakulär bemalte Miniaturen präsentiert wurden.

Über tolle Papp-Gelände zum Zusammenstecken staunte ich am Stand des britischen Verlags Battle Systems (der auch sein Kickstarter-Spiel „Core Space“ dabeihatte). Egal ob futuristisch oder mittelalterlich: Die Szenerien für 28-mm-Figuren sahen wirklich klasse aus (gerade mit ein bisschen Abstand) und kosteten auch nur einen Bruchteil ähnlicher Ausstattung aus Plastik – von der Bemalung, die man normalerweise noch vornehmen (lassen) muss, ganz zu schweigen.



Bei unserem „Heimatverlag“ Pegasus Spiele schaute ich natürlich auch vorbei. Neben einer Unmenge an Brettspielerweiterungen, etwa für „Mystic Vale“, „Munchkin Warhammer 40.000“, „Roll Player“, „Smash Up“ und „Roll for the Galaxy“ interessierten mich hier vor allem die Rollenspiel-Novitäten. „Shadowrun 6“ sieht zumindest beim ersten Durchblättern richtig gut aus, der „Berlin“-Band ist auf meine Einkaufsliste gewandert (ich liebe so Hintergrundbände) und den neuen Roman „Toxische Erlösung“ von Autorenkollegin Sonja Rüther habe ich mir direkt gekauft. Auf „Cthulhu“-Seite wurde neben einem „Regelwerk für Spieler“ und „Investigatoren-Dossiers“ (Deluxe-Charakterbögen) vor allem der Quellenband „Von unaussprechlichen Kulten“ vorgestellt, der spannende Feinde für unerschrockene Ermittler verspricht. Seid euch versichert, dass wir all diese Sachen demnächst beim Ringboten ausführlicher vorstellen werden.

Gefreut habe ich mich über die Anwesenheit des Uhrwerk Verlags, der mit einem recht üppigen Verkaufsstand zugegen war. Der in letzter Zeit arg gebeutelte Verlag wirkte zumindest äußerlich und was die Produktpalette angeht erfreulich gesund. Mit der großen Fahne erweckte das Ganze den Eindruck, als wäre man auf Kurs „Volle Fahrt voraus.“ Was mich persönlich besonders begeistert, war übrigens die Information, dass die deutsche Übersetzung des „Star Trek“-Rollenspiels von Modiphius doch stattfinden wird. Nach der Insolvenz von Uhrwerk im Juni habe ich schon nicht mehr daran geglaubt.



Unvernünftig viel Geld habe im am Ares-Stand gelassen, die neben Novitäten im Bereich „Wings of War“ und „Sword & Sorcery“ mit zwei ganzen Regalbrettern voll Neuheiten zu ihrem „Battlestar Galactica Starship Battles“ vor Ort waren. Dazu zählten auch Neuheiten, die ich bislang in keinem Shop gefunden hatte! Anders als „X-Wing“ von FFG leidet das Spiel aber merklich am Modellemangel. Wer drei nur im Detail unterschiedliche Viper Mark VII, drei Cylon Raiders, drei Raptors und drei Cylon Heavy Raiders verkaufen will, der braucht wirklich fanatische Kunden und Fans.

Apropos Geldausgeben: Dieses Jahr ließ sich einiges an Schnäppchen machen. Deutlich mehr als in vergangenen Jahren – zumindest kam es mir so vor. Beim Stand des F-Shops (Ulisses Spiele war als Verlag nicht selbst vor Ort) konnte, wer wollte, zum guten Preis ein deutsches Komplettpaket „Fireteam Zero“ erwerben. Und in einer Hallenecke gab es gar einen eigenen Stand mit einem „X-Wing“-Lagerverkauf. Hier wurden alle Schiffe der ersten Edition von der Palette zum Dumpingpreis rausgeschleudert. Wenn man, wie ich, die meisten dieser Modelle ursprünglich zum Vollpreis erworben hat, dann traten einem bei Preisen von 3 Euro pro Jäger und 7 Euro für größere Schiffe schon die Tränen in die Augen.



Nach ein paar Stunden in den Hallen begab ich mich zum obligatorischen Fototermin in der Neuheitenschau am Eingang von Halle 1. Ich kann zu den einzelnen Spielen gar nicht viel sagen, daher an dieser Stelle nur ein paar Foto-Impressionen. Auffällig war, dass viel Fantastisches gezeigt wurde – und dass 3D-Spielbretter sich offenbar aktuell einiger Beliebtheit erfreuen.









Im Grunde wäre der Ausflug nach Essen ein rundum erfreulicher Trip geworden, hätte nicht zum Ende noch die Bahn für Chaos gesorgt. So wurde mir zeitlich mehr als knapp mitgeteilt, dass mein Spätzug ab Mannheim wegen technischer Störung entfallen sollte – ohne Ersatz wohlgemerkt. Da ich nicht scharf drauf war, in Mannheim zu übernachten, war ich urplötzlich zum hektischen Aufbruch gezwungen, um eine Alternativverbindung zu bekommen, deren Zug praktisch schon abfahrbereit am Essener Bahnhof stand. Dass ich dabei einen schweren Koffer und eine Tasche voller Rezensionsexemplare und Messebeute mit mir herumschleppen musste, machte die Angelegenheit nicht leichter. Ein Dank an dieser Stelle an die Erfinder des Smartphones, ohne das ich in den kommenden Stunden echt aufgeschmissen gewesen wäre.

Fazit für mich in diesem Jahr: Die Messe hat richtig Spaß gemacht. Tolle Novitäten, interessante Schnäppchen, gute Gespräche und noch nicht zu volle Gänge waren genau das, was ich mir von der SPIEL wünsche. Aber: Bahnfahren ohne vorher geprüfte Plan-B-Verbindungen ist echt ein Risikospiel, das ich mir zukünftig nicht mehr geben werde. Mal sehen, wie es nächstes Jahr wird …