Jenseits der Grenzen – Die Feenwelten von Lorakis

Wer kennt das nicht? Da betritt man nichtsahnend bei einer bestimmten Mondkonstellation unbekleidet und rückwärts einen Steinkreis irgendwo auf einer Lichtung im Wald, hört seltsame Stimmen flüstern, findet sich von wilden Tieren umgeben, und ehe man sich versieht, hat man mir nichts, dir nicht das Diesseits hinter sich gelassen und ist in eine Feenwelt geplumpst. Wohl dem, der den „Splittermond“-Regelband „Jenseits der Grenzen“ gelesen hat und weiß, was es mit Feenwelten auf sich hat.

von Bastian Ludwig

Die Welt von „Splittermond“ ist in vier Existenzebenen, sogenannte Domänen, aufgeteilt. Neben der physischen Domäne, dem Diesseits, in dem auch der Kontinent Lorakis liegt, in dem die meisten Abenteuer von „Splittermond“ stattfinden, gibt es noch die Götterwelt, die Geisterwelt und die magische Domäne, die Feenwelt. Mit Letzterer beschäftigt sich „Jenseits der Grenzen“. Somit stellt das Buch eine Ergänzung zum Weltenband „Splittermond: Die Welt“ dar.

„Fee“ ist in der Welt von „Splittermond“ ein Sammelbegriff für sämtliche Bewohner der magischen Domäne, Wesen, die eng mit der Magie verbunden sind und immer wieder auch im Diesseits auftauchen. „Jenseits der Grenzen“ beginnt mit einem Überblick über die Regeln, die für Feenwesen gelten. Welche Grenzen sind ihrer Macht gesetzt? Wie geht man einen Pakt mit ihnen ein? Wie funktioniert ihr Glimmer, ein magisches Trugbild, das das wahre Wesen einer Fee verschleiert?

Danach wird das Verhältnis von magischer Domäne und Diesseits etwas genauer beleuchtet, in kurzen Regionalbeschreibungen wird erläutert, wo und in welcher Weise sich der Einfluss der Feenwelten in Lorakis zeigt.

Anschließend geht es um die Feenwelten selbst. Wie sind sie aufgebaut? Welche Regeln gelten in ihnen? Ein besonderer Blick wird dabei auf die Mondpfade gerichtet, Feenwelten, die von den Lorakern als Reiserouten und Abkürzungen auf dem riesigen Kontinent genutzt werden und denen deswegen für das Diesseits eine besondere Bedeutung zukommt. Anschließend werden weitere beispielhafte Feenwelten vorgestellt, bevor ein Kapitel über Wesen der magischen Domäne und ein Anhang mit einigen Regelergänzungen und Übersichtstabellen den Band abschließen.

In „Splittermond“ sind die Feenwelten magische Orte, die durch ihre irritierenden Regeln mit den Erwartungen der Loraker an die Realität brechen. Diese Wirkung zu uns Spielerinnen und Spielern zu transportieren, ist gar nicht so einfach, denn für uns ist ja Lorakis selbst schon eine magische Fantasywelt, die unserer eigenen Realität widerspricht. Die Feenwelten müssen also so gestaltet sein, dass wir nachvollziehen können, dass die auf die Bewohner einer Fantasywelt mindestens so fremdartig wirken wie die Fantasywelt auf uns. Gleichzeitig müssen die Feenwelten aber so greifbar bleiben, dass man sie als Abenteuergruppe auch bespielen kann.

Dieser Herausforderung begegnen die Autoren, indem sie die magische Domäne an Märchen anlehnen. Wo ein High-Fantasy-Kontinent wie Lorakis im Kern die sozialen, politischen und wirtschaftlichen Strukturen nachbildet, die wir auch von unserer Welt kennen, brauchen Märchenwelten das nicht. Niemand interessiert sich für die Wirtschaft in Dornröschens Königreich oder die diplomatischen Beziehungen des Froschkönigs.

Märchenwelten sind immer auf genau das reduziert, was für die jeweilige Geschichte und deren Moral nötig ist. Und genau so kann man sich die Feenwelten von „Splittermond“ auch vorstellen. Nicht umsonst benennt das Regelwerk die Gesamtheit der Merkmale einer Feenwelt als „Metapher“. Durch diesen Ansatz wirken die Feenwelten entrückter als Lorakis, was dafür sorgt, dass wir als Spielerinnen und Spieler nachvollziehen können, wie sie auf die Loraker wirken müssen. Insgesamt haben die „Splittermond“-Macher hier also einen sehr cleveren Weg eingeschlagen. Es bleibt abzuwarten, ob das gleiche auch gelingt, wenn die Götterwelt und die Geisterwelt ihre eigenen Ausarbeitungen bekommen.

Natürlich haben die Eigenarten der Feenwelten auch Einfluss auf die harten Regeln. So ist beispielsweise die „Fremdartigkeit“ ein Zahlenwert, ein Maß dafür, wie irritierend ein Element der Feenwelt auf einen Bewohner des Diesseits wirkt. Der Fremdartigkeitswert beeinflusst wiederum Proben z. B. auf Wahrnehmung oder Diplomatie; logisch, denn wenn Naturgesetze und Gesellschaft anderen Regeln folgen, ist es schwieriger, bestimmte Fähigkeiten erfolgreich anzuwenden.

Für wen könnte „Jenseits der Grenzen“ nun interessant sein? Der Band ist wohl kein Muss für alle „Splittermond“-Spielerinnen und -Spieler. Notwendig für das Spiel in Lorakis sind eigentlich nur die Mondpfade, und die auch nur, wenn man größere Teile des Kontinents bereisen möchte. Und für einfache Reisen durch diese Feenwelten reichen die Erklärungen im Grundregelwerk und im Weltenband vollkommen aus. Einen Blick wert ist der gut geschriebene und schön illustrierte Band aber auf jeden Fall für Spielerinnen und Spieler, die den um Plausibilität bemühten High-Fantasy-Stil von Lorakis durch märchenhafte Elemente anreichern oder gleich um eine märchenhafte Spielwiese erweitern wollen.

Fazit: „Jenseits der Grenzen“ ergänzt dank eines cleveren Konzepts den „Splittermond“-Kosmos auf sinnvolle Weise um eine Welt für Spielerinnen und Spieler, die gerne Abenteuer in einem märchenhaften Umfeld erleben oder Märchenelemente nach Lorakis bringen möchten.


Jenseits der Grenzen – Die Feenwelten von Lorakis
Quellenbuch
Lars Reißig, Thomas Römer (Hrsg.)
Uhrwerk Verlag 2015
ISBN: 978-3-958670-38-9
144 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 29,95

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