von Daniel Pabst
Der abgeschlossene Comic von Si Spencer unterteilt sich in acht Kapitel. Ursprünglich veröffentlicht wurde er bei dem einstigen Vertigo-Label von DC. Nun ist er in Kombination mit der Netflix-Adaption bei Panini Comics in die deutsche Sprache übersetzt worden. Wer wissen will, worauf die Netflix-Serie „Bodies“ basiert, hat die Gelegenheit, dies hier nachzulesen. Die Zeichnungen des Comics wurden entsprechend der vier Zeitebenen auf vier Künstler und Künstlerinnen aufgeteilt, die da lauten: Dean Ormston, Meghan Hetrick, Phil Winslade und Tula Lotay.
Das Wichtigste direkt am Anfang: Die Comic-Geschichte von „Bodies“ entspricht nicht eins zu eins der Netflix-Serie. Bereits bei den Ermittlern und Ermittlerinnen wurden Anpassungen gemacht. Die Grundidee jedoch ist gleich geblieben: Eine nackte männliche Leiche taucht auf und wirft Fragen auf. Vor allem die Ermittlungsmöglichkeiten sind je nach Situation und Zeitebene limitiert. Um ein Gefühl hierfür zu gewinnen, sollen zunächst die vier Zeiten vorgestellt werden, in denen der Comic spielt. Ort des Geschehens ist jeweils Großbritannien. Es gibt das Jahr 1890, in dem „Jack the Ripper“ mordend umherzieht, gefolgt vom Jahr 1940, mitten im Zweiten Weltkrieg, sowie das Jahr 2014, in dem eine Art Bürgerkrieg herrscht. All das wird abgerundet durch das Jahr 2050, das zeigt, wie Großbritannien aussehen könnte, nachdem die Apokalypse eingetreten ist und die Technik die Oberhand erlangt hat.
Diese vier Ebenen wechseln sich schnell ab und zeigen jeweils, wie die Ermittelnden versuchen, dem Rätsel der Leiche(n) auf die Spur zu kommen. Für die Lesenden bietet diese Erzählform die Möglichkeit, sowohl in die vier Zeitebenen einzutauchen, als auch verschiedene Personen und deren Schwierigkeiten kennenzulernen. Der Autor des Comics, Si Spencer, porträtiert besonders die Verletzlichkeiten der Ermittelnden. Im Jahr 1890 zum Beispiel steht die Homosexualität noch unter Strafe. Der Detektiv, den Si Spencer geschaffen hat, kennt die Gesetze hierzu in- und auswendig und sorgt auch für die Einhaltung dieser, obwohl er sie für grundfalsch hält. Im Jahr 2014 kämpft eine kopftuchtragende Ermittlerin gegen den „Male Gaze“ und den Rassismus. In der Zeit dazwischen lenkt Si Spencer den Blick auf den Zweiten Weltkrieg und die Spionage, welche durch einen männlichen Ermittler begleitet wird. Mit der letzten Zeitebene im Jahr 2050 erhält wieder eine weibliche Detektivin die Oberhand. Sie scheint als Einzige die Erinnerung behalten zu haben und wird schmerzhaft mit der (eigenen) Vergangenheit konfrontiert.
Da der Comic „Bodies“ lautet, sind die eigentlichen Hauptpersonen eigentlich die männlichen Leichen. Wobei, sind es tatsächlich vier Leichen? Denn die vier Leichen sehen alle gleich aus und haben an den identischen Stellen ihre Narben und Verletzungen. Ist es ein und dieselbe Person? Wie kann das sein? Ist das ein Zeichen? Apropos Zeichen: Die Toten haben jeweils ein sonderbares Symbol, welches im Laufe des Comics zu bluten anfängt. Wie ein roter Faden zieht sich dieses Symbol durch die Geschichte(n). Es taucht unter anderem an einer Fensterscheibe auf oder wird als Manschettenknopf verwendet. Ist das ein Identifikationssymbol einer Sekte oder eines elitären Kreise? Si Spencer lässt die Lesenden lange Zeit im Dunkeln tappen. Oder sollte man besser sagen: Er lässt die Lesenden sehr lange im Dunkeln tappen! Denn dieser Comic ist völlig rätselhaft. Es sind immer wieder Momente dabei, wo man sich fragt, zu welcher Lösung das Ganze gebracht werden soll? Überall sind Spuren und spätestens in dem Moment, wo eine der Leichen wieder lebendig wird, zerbricht man sich den Kopf. Dies wird dadurch gesteigert, dass die vier Zeitebenen von verschiedenen Künstlern gezeichnet worden sind, wodurch der Comic uneinheitlich ist.
Was wollte Si Spencer mit „Bodies“ ausdrücken? Wer die Netflix-Serie geschaut hat, der wird wissen, dass auch das Serienende nicht leichtfiel. Auch hier stellten sich während des Abspanns mehr Fragen, als es Antworten gab. Dennoch hat die Serie was. Warum wiederholt sich der Mutmacher-Spruch: „Know You Are Loved“ in der Serie oder im Comic in deutscher Übersetzung: „Wisse, du wirst geliebt“? Ist der Spruch möglicherweise am Ende gar kein Mutmacher, sondern in Verbindung zu setzen mit der menschlichen Vergänglichkeit – in Anlehnung an den Satz: „Memento mori“ („Bedenke, dass du sterben wirst“ oder auch „Sei dir der Sterblichkeit bewusst“)?
Trotz all der Gedankenspielereien, die der Comic anregt, wirkt so manches nicht zu Ende gedacht. Wie so häufig bei sehr kreativen Geschichten, ist die Fallhöhe umso größer, je mehr offene Fragen an den Leser oder die Leserin gestellt werden. Bei solchen Geschichten wünscht man sich, dass sich am Ende der Nebel – zumindest teilweise – gelichtet hat und man nicht weiter im Dunkeln tappen muss. Bei „Bodies“ besteht genau dieses Problem. Das sollte vor einem potenziellen Kauf beachtet werden. Si Spencer, der im Jahr 2021 verstorben ist, war zudem ein britischer Autor, dessen Liebe zu Großbritannien bemerkt wird. Die Zeitebenen spielen auf der einen Seite in Großbritannien und gewisse Themen sind stark landesspezifisch. Auf der anderen Seite nahm er sich allgemeingültigen Fragen an.
Wer gerne beim Lesen rätselt und nichts dagegen hat, wieder und wieder die sonderbarsten Erklärungen und mysteriöse Zeichnungen vorgesetzt zu bekommen, der kann sich den Comic „Bodies“ zu Gemüte führen. Die Handlungsstränge in den unterschiedlichen Zeiten enthalten gute Ansätze und die Ermittlungen sind schon erlebnisreich. Jedoch schweifen die Ermittlungen vermehrt ab, was dem Lesefluss schadet. Irritierend sind zudem die Andeutungen zu geheimen Logen, die mit dem Symbol der Leiche(n) in Verbindung gebracht werden. In Zeiten, in denen Verschwörungsmythen umhergeistern, braucht es nicht unbedingt noch Comic-Geschichten hierzu, die solche Mythen befeuern könnten. Zumindest der Spruch: „Wisse, du wirst geliebt“ macht doch etwas Hoffnung.
Fazit: „Bodies“ ist ein Comic von Si Spencer, der die Gedanken durcheinanderwirbelt. Die Grundidee, dass Leichen in vier Zeitebenen auftauchen und Verwirrung stiften, ist eine solide Basis für eine spannende Geschichte. Leider ebbt das Interesse beim Lesen zunehmend ab. Viele Fragen werden gestellt, nur um am Ende unbeantwortet zu bleiben. Wer Mystery-Serien gern hat, der mag einen Blick in „Bodies“ riskieren. Für diejenigen, die die Netflix-Serie gestreamt haben, kann es interessant sein, zu sehen, wo die Serie ihre Ursprünge hat. Was der Comic „Bodies“ auf alle Fälle zeigt, ist, dass Streaming-Serien nicht vom Himmel fallen, sondern zunehmend auf Comics und Mangas basieren. Wer hätte das gedacht? Man darf gespannt sein, welche Comics in Zukunft noch so adaptiert werden!
Bodies
Comic
Si Spencer, Dean Ormston, Meghan Hetrick
Panini Comics 2024
ISBN: 978-3-7416-3831-2
220 S., Softcover, deutsch
Preis: 26,00 EUR
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