Auge um Auge

Mit bewundernswerter Regelmäßigkeit erscheint pünktlich zur SPIEL ein Abenteuerband für „Private Eye“. Mit „Auge um Auge“ liegt nun das elfte kriminalistische Abenteuer aus der Redaktion Phantastik vor. Lohnt sich der alljährliche Ausflug ins Detektivgenre erneut?

von André Frenzer

Bei „Auge um Auge“ handelt es sich um die Wiederveröffentlichung eines Abenteuers, dass bereits 1994 für eine frühere Regelinkarnation von „Private Eye“ – damals noch unter B&B Productions – veröffentlicht wurde. Autor Jan Christoph Steines ist auch seither kein Unbekannter in der deutschen Rollenspielszene, hat er doch zahlreiche Texte für „Cthulhu“ oder „Private Eye“ verfasst und ist darüber hinaus Verlagsleiter bei Pegasus, dem Herausgeber von „Cthulhu“, „Shadowrun“ und seit Neuestem auch „7te See“.

Eine Warnung für alle, die das Abenteuer noch als Spieler erleben wollen: In den folgenden Absätzen werde ich einen groben Handlungsabriss wiedergeben. Auch wenn ich grobe Spoiler zu vermeiden trachte, ist natürlich gerade bei einem Detektivfall fast jedes Wort zu viel. Daher empfehle ich Spielern eindrücklich, die nächsten Absätze nicht zu lesen.

Das Abenteuer beginnt ganz klassisch, nämlich mit einer Leiche. Dass die Detektive die junge Frau tot im Fluss treibend finden, zieht sie in einen komplexen und nur schwer zu durchschauenden Mordfall. Ihre Recherchen führen sie recht bald in das Dörfchen Bellington, in dem vor wenigen Tagen der Vater der Toten ebenfalls ums Leben kam. Für die Dorfbevölkerung ist klar, dass die junge Frau ihren Vater im Affekt tötete und dann ihr Heil darin suchte, sich selbst das Leben zu nehmen. Doch nicht immer ist die offensichtlichste Lösung auch die richtige, wie jeder erfahrene Detektiv weiß. Mit viel Beinarbeit, Kombinationsgabe, Einfühlungsvermögen und Überzeugungsarbeit können die Detektive schließlich ein Verbrechen aufdecken, dass über „einfachen Mord“ deutlich hinaus geht …

„Auge um Auge“ ist wohl einer der komplexesten Fälle, die mir bei „Private Eye“ bislang untergekommen sind. Nahezu zwei Drittel der 72 Seiten sind denn auch der Auflistung von Indizien, Personen, Alibis, potenziellen Spuren und Verhaltensweisen der auftauchenden Personen gewidmet. Ein „idealer Handlungsverlauf“ wird nur sehr grob skizziert, tatsächlich breitet der Autor ein komplexes Geflecht von Spuren, Hinweisen, Hinweisgebern und falschen Fährten vor dem Spielleiter aus, das es für diesen nun zu einem spannenden Detektivfall zu verweben gilt. Die Aufbereitung des Materials ist vorbildlich gelungen – übersichtlich, greifbar, mit zahlreichen Hilfslisten und sogar einer Relationship-Map unterstützt. Nichtsdestotrotz bleibt eine Menge Arbeit für den Spielleiter übrig, wenn er seine Detektive zu einem erfolgreichen Abschluss des Falles führen will.

Ähnlich schwer wie der kriminalistische Anspruch wiegt auch der Hintergrund des Mordkomplotts. Tatsächlich hat das Mordopfer vor seinem Ableben furchtbare Dinge getan, weswegen im Vorwort des Abenteuers eindringlich darauf hingewiesen wird, dass sich das Abenteuer eher an erwachsene Spieler richtet. Durch die Tragweite der Vergehen und durch die sich entspinnenden Ereignisse während der Recherche der Detektive, bekommt das Abenteuer einen sehr ernsten, ja geradezu faden Beigeschmack. Es gibt wohl keinen Sieger und keine Gerechtigkeit in diesem Fall, egal ob die Detektive ihn aufklären können oder nicht. Wer damit umzugehen weiß oder gerade die moralisch-graue Komponente in seinem Spiel hervorheben möchte, erhält hier eine trefflichst vorbereitete Bühne für seine Tragödie.

Der Band erscheint wie üblich als schwarz-weißes Softcover und ist liebevoll und reichhaltig bebildert. Das Layout zeigt sich gewohnt schlicht aber sehr gut lesbar und gerade die Zusatzinformationen und Zusammenfassungen des Anhangs sind gut lesbar gesetzt. Das Cover gestaltete wieder einmal Manfred Escher, und es fügt sich gut in die Reihe der „Private Eye“-Abenteuerbände ein. Lektorat und Korrektorat haben gute Arbeit geleistet, womit ich für die technische Seite nur eine gute Note vergeben kann.

Fazit: Mit „Auge um Auge“ legt die Redaktion Phantastik einen hoch komplexen, sehr gut aufbereiteten und für Kriminalisten absolut empfehlenswerten Fall vor. Einzig das ernste Thema und die Tragik des Falles könnten ein Ausschlusskriterium für manchen sein, weswegen ich jedem interessierten Spielleiter einen Blick in das Vorwort empfehlen möchte. Handwerklich definitiv ein hervorragender Band.

Auge um Auge
Abenteuerband
Jan Christoph Steines
Redaktion Phantastik 2017
ISBN: 978-3946759058
72 S., Softcover, deutsch
Preis: EUR 16,95

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