1923 Cotton Club

Die Geschichten rund um die Prohibition und „Scarface“ Al Capone haben schon immer einen verklärten Blick auf die teils grausame Welt von New York der 20er-Jahre des letzten Jahrhunderts gefördert. Dieses Spiel ist da keine Ausnahme und sorgt für die richtige Stimmung am Tisch, als wäre man auf einmal in der Zeit der eigenen Urgroßeltern.

von KaiM

Kontrabass, Klavier, Saxophon, Trompete, rauchiger Gesang und polierte Steppschuhe. Zwei bis vier zwielichtige Gestalten versammeln sich um die Tische von verrauchten Clubs, zu denen auch Zwölfjährige schon Zutritt haben. Etwa 60 Minuten lang widmen sie sich der Musik und ihren dunklen Geschäften, um schließlich festzustellen, wer die gewichtigsten Promis in den eigenen Club locken kann.  Alle Angaben auf der Packung passen ziemlich gut, sodass wir hier nicht mehr viele Worte verlieren müssen und uns direkt dem Spiel widmen können.

Das Material

Beinahe in jede Handtasche dürfte diese kleine Box hineinpassen. Wie für diese Reihe von Originalverlag Looping Games üblich, ist man kaum größer als die Kollegen von „Tiny Epic“. Das heißt aber bei Weitem nicht, dass man sich auf Material für Kleinkindfinger einstellen muss. Im Gegenteil: die Holzkomponenten müssen sich hinter ihren großen Brüdern überhaupt nicht verstecken. Ressourcen, wie in diesem Fall die harte Währung $, werden auf einem Spielertableau mit einem handlichen Marker angezeigt. Auch Werte wie Kriminalität oder Initiative oder Siegpunkte werden auf weiteren enthaltenen Spielplänen auf diese Weise angezeigt und das funktioniert hervorragend, sodass platzraubende, große Tokens unnötig werden. Der Rest wird über Karten von guter Qualität gesteuert, die sich ja ohnehin für kleinere Packungen gut eignen.

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Die Regeln dieses Arbeitereinsatzspiels mit Elementen des Enginebuilding, lassen zunächst keine Fragen offen und sind schnell gelesen, sodass einer ersten Partie nichts entgegensteht. Dennoch gibt es einiges zu erklären und zu beachten, sodass man auf jeden Fall von einem Kennerspiel reden kann. Besonders schön ist auch hier, dass sehr viel Wert auf die thematische Einbettung gelegt wurde, denn mehrere Seiten des Regelhefts beschäftigen sich ausschließlich mit den Charakteren, mit denen man es im Spiel zu tun hat. So gelingt es dem Spiel, uns die ganze Zeit ins Flair der 20er-Jahre des zwielichtigen New Yorks zu entführen. 

Der Spielablauf

Über mehrere Runden setzen wir unsere Mitarbeiter reihum auf Feldern ein, die uns Karten bringen, die aktuell in der Auslage liegen. Auf diese Weise bauen wir unseren Club auf, verschaffen ihm Berühmtheit und locken damit wiederum die großen Persönlichkeiten New Yorks an, denn die bringen uns am Ende die Siegpunkte, die wir benötigen, um zu gewinnen. Um einen Club attraktiv zu gestalten, benötigen wir zwei Dinge: Musiker und Alkohol. Je mehr wir davon haben, desto leichter wird es, Gäste zu holen, wobei alle unterschiedliche Vorlieben haben. Ersteres lässt sich problemlos über Geld regeln, wohingegen es in Zeiten der Prohibition etwas schwieriger ist, an die passenden Getränke zu kommen. Daher wird dafür nicht nur Geld benötigt, sondern auch die eine oder andere Waffe, um die Ware zu beschützen und die Lieferung abzusichern. 

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Nun fuchteln Musiker doch wohl lieber mit Saxophon und Mikrofon herum und seltener mit Waffen. Also braucht man noch weitere Angestellte, die weniger Skrupel haben und auch gut mit Waffen umgehen können. Auch sonst können Waffen durchaus von Nutzen sein, wenn zum Beispiel mal wieder ein Bandenkrieg in der Stadt ausbricht. Dabei sollte man allerdings aufpassen, nicht zu kriminell zu werden und damit ins Visier der öffentlichen Hand zu geraten, denn in regelmäßigen Abständen rollen Ereignisse über uns hinweg, die unserer Vormachtstellung nutzen, aber eben auch schaden können. Zu guter Letzt braucht man als Clubbesitzer natürlich noch diverse Ausrüstung und Accessoires, die vielfältig helfen können, in diesem Haifischbecken zu überleben.

Am Ende der Runde bekommt man Einkommen, und es werden die Ereignisse abgehandelt, die am Anfang der Runde ausgelegt wurden. Dabei wird immer ein zufälliges Ereignis ausgelegt, man kann aber selbst ebenfalls bis zu drei Ereignisse lostreten, um sich passende Boni zu verschaffen. Nach insgesamt sechs Runden und achtzehn eingesetzten Mitarbeitern pro Club kommt es zur Endwertung. Es wird gerechnet, wie viele Punkte die Prominenten, die Angestellten und die Ausstattung des Clubs bringen. Außerdem wird noch verglichen, wer die höchste Initiative und das größte Ansehen aufweist und dafür ein paar Punkte verteilt. Am Schluss wird noch geschaut, wer sich insgesamt am kriminellsten verhalten hat. Um das zu beeinflussen, kann man dann sogar noch einige Prominente bestechen, damit das eine oder andere Auge zugedrückt wird. Wer dann am höchsten auf dieser Leiste geklettert ist, muss einige Siegpunkte wieder abgeben.

Natürlich gewinnt schlussendlich die Person am Tisch mit den meisten Siegpunkten.

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Das Spielgefühl

Wenn ihr den vorherigen Abschnitt gelesen habt, dann wird euch vielleicht etwas aufgefallen sein. Wenn nicht, gebe ich euch noch mal fünf Minuten Zeit dafür …

… und? 

Das Schöne an diesem Spiel ist: Man kann es entlang der Story, die es erzählt, wunderbar erklären. Alle Aktionen und die Vorteile, die man durch sie bekommt, greifen wunderbar ineinander und fühlen sich sehr natürlich an. Man kann regelrecht hören, wie sich die jazzige Musik den Weg über die Köpfe der Gäste durch die, mit Zigarrenrauch geschwängerte Luft, bis zum Tresen bahnt. Man hat gleich das Bild vor Augen, wie sich ein unbedarfter Gast an einen Tisch setzen möchte, um gleich darauf von Scarface und seinen Schergen davongejagt zu werden. In Summe bringt die Stimmung hier schon allein eine Menge Spielspaß auf den Tisch. 

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Die Mechaniken sind dabei sehr klar und gut strukturiert, ohne unnötigen Schnickschnack. In einer Runde will man bestimmte Dinge erreichen, muss überlegen, wo die Prioritäten der Gegner liegen und sich für einen Weg entscheiden, der hoffentlich zum Ziel führt. Dabei behält man auch noch die verdeckten Ereignisse im Auge, von denen jede Runde ein zufälliges im Spiel ist und alle noch ein weiteres dazu legen können, wenn sie wollen. Um dem Zufall nicht gänzlich ausgeliefert zu sein und sich Gewissheit zu verschaffen, kann man Mitarbeiter zur Informationsbeschaffung losschicken. Diese sind dann nicht verloren, sondern können am Schluss noch eingesetzt werden, sodass man seinen Startspielervorteil verschenkt, den man sich hart über die Initiativleiste erkämpfen musste. Zu guter Letzt muss man noch das eigene Einkommen im Blick behalten, damit man handlungsfähig bleibt. Aber all das wird über die Karten der Auslage gesteuert, ohne weitere komplizierte Mechanismen zu benötigen. 

In Summe haben wir hier also ein Kennerspiel mit einem sehr schlanken Arbeitereinsatzmechnismus und einer Art Set-Collection in einer sehr stimmungsvollen Umgebung. Aber natürlich ist auch dieses Spiel nicht perfekt. Die Ereignisse können bestrafend sein und gerade bei Neulingen für Frustration sorgen. Aber es sind nur wenige, die man in der Erstpartie auch herausnehmen könnte. Außerdem bringt es die klare Struktur auch mit sich, dass es am Ende nicht zwanzig Wege zum Sieg gibt. Es sind dann eher die Nuancen, die den Unterschied zwischen Sieg und Niederlage ausmachen. Das wird manchen sicher nicht gefallen, die gerne immer wieder neue Wege suchen, ein Spiel für sich zu entscheiden. Das soll aber nicht heißen, dass dieses Spiel trivial ist. Im Gegenteil, auch das Management von Ruf, Initiative und Kriminalität sind nicht zu vernachlässigende Aspekte und es gibt immer wieder interessante Entscheidungspunkte.

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Fazit: Wer ein äußerst thematisches Spiel mit Workerplacement auf Kennerniveau sucht, welches zudem auch noch mit sehr gutem Material in einer extrem handlichen Schachtel daherkommt, muss hier eigentlich zuschlagen. Es könnte sonst sein, das euch ungemütliche Gestalten besuchen kommen …

1923 Cotton Club
Brettspiel für 2 bis 4 Personen ab 12 Jahren
Pau Carles
Biberstein Spiele 2025
EAN: 4270004843613
Sprache: Deutsch
Preis: 33,99 EUR

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