von KaiM
Das Leben vor 5000 Jahren im alten Ägypten in der Großstadt Men-Nefer. Taucht für zwei bis drei Stunden ein in die Welt der Mumien, Pyramiden und Göttergaben. Bringt am besten noch zwei bis drei Expertenspieler*innen mit, die laut Packung mindestens 12 Jahre alt sein sollten und dann kann es auch schon losgehen (wenn ihr die Regeln gelesen und den Spielaufbau absolviert habt, was beides definitiv eine Weile dauern wird). Auf der Packung steht zwar, dass eine Partie auch in 60 Minuten absolviert sein könnte, aber das halte ich für einen theoretischen Wert oder vielleicht für erfahrene Solospieler schaffbar. Pro Person werden 36 Aktionen durchgeführt, plus Vorbereitungs- und Wertungsphasen. Da bleiben vielleicht noch 40 Sekunden pro Spielzug und das klingt in meinen Ohren doch eher unrealistisch. Die Altersangabe und die angegebene Personenzahl passen aus meiner Sicht aber sehr gut. Also schnappen wir uns das Ruder, das Steinmetzwerkzeug, die Einbalsamierungsinstrumente und die Opfergaben und dann auf in die alte Hauptstadt Ägyptens.
Das Material
„Men Nefer“ ist eine wahre Materialschlacht: Ein großer Spielplan plus ein kleiner Anbauteil belegen einen großen Teil des Spieletisches. Hinzu kommen noch in etwa DIN-A5-große Spielertableaus und insgesamt mehr als 200 Holzteile und beinahe 200 Plättchen. Die wollen alle erstmal sortiert auf dem Tisch, dem Spielbrett und den Tableaus untergebracht werden. 29 Einzelschritte sind notwendig, bis das Spiel schließlich aufgebaut ist. Die Tischpräsenz ist dabei wirklich bemerkenswert, obwohl alles im typischen Beige eines Eurogames gehalten ist, denn die Holzteile sind doch sehr individuell gestaltet und thematisch passend. Alles in allem also trotz der ausgelutschten Farben eine wahre Pracht. Ein schrecklicher Kampf muss jedoch ausgefochten werden, um die Einzelteile der Pyramiden zu positionieren. Diese müssen nach Größe sortiert aufeinander gestapelt werden und Grobmotoriker, wie wir sie sind, haben an dieser Aufgabe wirklich keinen Spaß. Ich war kurz davor, kleine Stoffsäcke zu kaufen, damit ich sie zufällig ziehen kann und nie wieder stapeln muss.
Die Anleitung hat stolze 20 Seiten, ist jedoch großzügig illustriert und klar strukturiert. Das Expertenniveau des Spiels wird während der Lektüre deutlich, aber dennoch ist alles verständlich und klar formuliert, sodass nach spätestens dem zweiten Durchlesen das meiste verinnerlicht sein sollte. Die anfängliche Einordnung der Spezialbegriffe und Ressourcen inklusive thematischer Erklärungen finde ich grandios, da man nebenbei auch noch ein wenig Allgemeinwissen über das alte Ägypten geschenkt bekommt. Zwei Beiblätter für das Solospiel und die Runden-/Symbolübersicht sind auch noch vorhanden, wobei ich das Spiel nicht solo ausprobiert habe. Die Rundenübersicht ist eher verschwenderisch auf dem schachtelgroßen Blatt, da hätte ich mir eine handlichere Lösung gewünscht. Die Symbolübersicht auf der Rückseite beinhaltet auch die detaillierte Funktionsweise der Effekte, was absolut positiv ist. Aber auch hier wäre es mir lieber, wenn man zwei oder drei Übersichten noch auf dem Tisch platzieren könnte.
Der Spielablauf
Das Spiel besteht aus vier Zeitaltern, die je aus drei Phasen bestehen: Die Überschwemmung, die Aussaat und die Ernte (Akhet, Peret und Shemu) stellen den Rahmen des Ablaufs dar, wobei während der Aussaat der weitaus größte Teil des Spiels absolviert wird. Die Überschwemmung ist eher eine Art Rundenvorbereitung, während bei der Ernte (sehr passender Name) vor allem Siegpunkte geerntet werden.
Jede Aussaat besteht aus neun Aktionen. Dabei ist festgelegt, dass je drei Aktionen drei Mal gemacht werden müssen. Man platziert Arbeiter von seinem Board auf dem Spielplan im Lebenshaus, lässt sie dort die gewünschten Aktionen durchführen oder man nimmt sich ein Aktionsplättchen aus der Auslage. Diese Aktionsplättchen bieten Boni und verschiedene reduzierte Aktionsmöglichkeiten und sie werden ausgelöst, wenn man seine Arbeiter vom eigenen Board nimmt. Somit bereitet man sich durch eine Aktionsmöglichkeit (Aktionsplättchen nehmen) auf die nächste Runde vor. Platziert man seine Arbeiter, triggert man zwar wie gesagt ein Aktionsplättchen, bereitet die Aktion im Lebenshaus aber lediglich vor. Mit einer weiteren Aktion wird die gewählte Aktion ausgelöst. Hier, wie auch an vielen anderen Stellen des Spiels, ist das Timing relevant, denn bereits besetzte Felder sind zwar nicht blockiert, führen aber zu Kosten, die mit Fisch bezahlt werden müssen. Zudem werden Aktionen mit jeder Durchführung stärker, sodass man sich immer weiter spezialisiert.
Hinter jeder Aktion wiederum verbirgt sich ein eigener kleiner Mechanismus. Es geht um das Bauen von Pyramiden, betende Priesterinnen und ihre Opfergaben, Einbalsamierung und Beerdigung, den Bau von Sphinxen und Schiffsbewegungen auf dem Nil. In allen Bereichen lohnt sich das Investment der Arbeitskraft und überall gibt es Synergien. Das ist sehr spannend umgesetzt, heißt aber auch, dass man fünf Bereich verstehen muss und dann noch nicht mal genau weiß, was man zu tun hat.
Aber ich greife dem Spielgefühl vor. Jedenfalls ist nach neun Aktionen eine Aussaatphase vorbei und die Ernte beginnt. Nach einem bestimmten Schema werden nun Effekte abgehandelt und in allen Bereichen werden Punkte vergeben. Das bedeutet, dass man schon während des Spiels einiges an Punkten machen kann. Am Ende gibt es nicht mal eine besondere Endwertung mit geheimen Zielen oder Ähnlichem, sondern wird eine normale Rundenendwertung durchgeführt. Dennoch werden die einzelnen Bereiche dann so stark, dass man jede Menge Punkte kassieren kann. In den ersten drei Runden werden lediglich 50 bis 60% der gesamten Punktzahl vergeben. Das stärkt den Charakter eines spannenden Wettrennens, bei dem nicht selten am Schluss noch einmal die Überholspur genutzt wird.
Das Spielgefühl
Was soll ich sagen? Selten habe ich in der ersten Partie eines Spiels so offensichtlich keine Ahnung gehabt, was ich da tue. Häufig bieten Spiele einfache und offensichtliche Strategien oder geben eine Richtung vor, auf die sich ein Spieler fokussieren kann. Hier wird man in die Wüste geworfen und darf dann wirklich selber sehen, wie man klarkommt. Durch die vergleichsweise beachtliche Komplexität der einzelnen Teilbereiche und wie sie sich gegenseitig beeinflussen können, wurde ich maximal überfordert, wobei ich zugegebenermaßen nicht ganz alleine dastand. Gewonnen habe ich keine einzige Partie, aber immerhin habe ich es auf eine Niederlage im Tiebreaker mit 91 zu 91 Punkten (zu 83) gebracht und auch sonst immer nur knapp verloren.
Besonders reizvoll ist die Tatsache, wie sich alle Aktionen gegenseitig beeinflussen und man ständig etwas vorbereiten oder durchführen kann, was sich gut anfühlt. Nur selten verkommen Aktionen zu einer billigen Anhäufung von Ressourcen. Es gibt immer das kleine Extra, was einem erlaubt, einen strategischen Schritt zu machen, und immer gibt es mehrere Dinge zu beachten, wenn man sich für eine Aktion entscheidet. Diese Kombination aus Timing, strategischer Verstärkung von Aktionen, Verzahnung der einzelnen Bereiche und dem starken Wettrenncharakter auf der Punkteleiste, machen das Spiel zu einem Expertenkracher der Sonderklasse. Wäre jetzt gerade ein Spielpartner zur Hand, würde ich die Rezension auf morgen vertagen und lieber das Spiel nochmal auf den Tisch bringen.
Aber natürlich muss man auch offen sein: Es ist ein Expertenspiel und kann an vielen Stellen frustrieren. Man entdeckt aufgrund der Verzahnung bestimmte Möglichkeiten zu spät und lässt viele Punkte liegen. Oder ein Plan geht nicht auf, weil die Aktion meines Vordermanns Kosten für mich verursacht. Oder man merkt in der zweiten Runde, dass man einen Fehler gemacht hat und weiß eigentlich schon, dass man verlieren wird. Noch ärgerlicher ist es natürlich, wenn ein Anfänger mit den Erfahrenen spielt und in jeder Runde immer weiter zurückfällt, ohne Chance auf Sieg oder wenigstens befriedigende Teilerfolge. Auch die Downtime kann frustrieren, denn natürlich führt die Komplexität zu rauchenden Köpfen. Zudem hat sich nach einigen Partien gezeigt, dass man mit zwei Personen auch wunderbar aneinander vorbei spielen kann. Die Möglichkeit, sich strategisch auf unterschiedliche Bereiche festzulegen und am Ende doch ähnlich viele Punkte zu machen, führt zu weniger Interaktion, als man in den ersten Spielen vermutet. Dann waren es am Ende rein destruktive Aktionen, bei denen man dem Gegner etwas vorenthält, um einige Punkte zu verhindern, die die Interaktion ausgemacht haben. Auch wenn dieser Aspekt erst nach einigen Partien sichtbar wurde, finde ich es dennoch schade. Damit ist das Spiel insbesondere mit drei oder vier Personen empfehlenswert, wobei ich es trotz dieses Makels auch für zwei Personen für ein tolles Spiel halte. Aber mit wenigstens drei Spielern wird es halt noch besser.
Wenn man „Men Nefer“ also nimmt, wie es ist, und sich dessen bewusst ist, dann bekommt man einen Leckerbissen auf Expertenniveau von einem Autor, der bewiesen hat, dass er epische, komplexe Spiele erschaffen kann und mit diesem Werk definitiv sein Meisterstück abgeliefert hat.
Fazit: Was bleibt noch zu sagen? Wer Expertenspiele mag, bei denen die Köpfe qualmen, und wer vor Grübelzeit nicht zurückschreckt, kann hier bedenkenlos zuschlagen.
Men Nefer
Brettspiel für 1 bis 4 Personen ab 12 Jahren
Germán P. Millán
Pegasus Spiele 2025
EAN: 4250231741517
Sprache: Deutsch
Preis: 69,99 EUR
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